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Hartmann, Florian; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ars dictaminis: Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 44: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34760#0156

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4 Die Auseinandersetzung mit der französischen ars diefamiais

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Anyüci, Boomi, Poioni, Rdfcni afpuc Sciaoi pofnm smim cumj/cfM pcrmisccnf doncc
odrioddo srorf a^ccfi, cf da romanonf sodfo iocdudids consoiafi/"
Boncompagno hat die Ausartungen dieses barocken und zugleich streng formalisier-
ten Regelsystems dieser Musterbriefe erkannt; im Fall von Beileidsschreiben deutete
er schon an, welche Schwächen er insgesamt in den voluminösen neuen arfos dicdmdi
erkannte. Die langen Reihungen von Musterbriefen zu allen erdenklichen Fällen, The-
men und Situationen waren in der Tat nahezu absurd und letztlich sogar nicht allzu
pragmatisch. Wer wollte die eigenen obszönen Verfehlungen wirklich so rhetorisch
versiert zu Pergament bringen, wie es Boncompagno in seinen Briefmustern tat? ' Es
blieb letztlich doch die Aufgabe jedes einzelnen dicfafop. im Einzelfall selbst den Brief
an die konkreten Begebenheiten anzupassen. Der Rückgriff auf Briefmuster diverser
Sammlungen ist nach Meinung Boncompagnos aber nicht nur unmöglich und im Ein-
zelfall nicht exakt zutreffend, sondern auch Ausdruck der individuellen Unfähigkeit,
selbst einen Brief mit eigenen Worten stilsicher zu entwerfen. Schon vorher richtete sich
die Kritik Boncompagnos an diese Unfähigkeit der dicddoros. Die antiklerikalen Satiren
sind deswegen nicht die einzigen Invektiven. Sie sind eher Ausdruck von Boncompa-
gnos insgesamt sehr streitbarem Wesen, das der zeitgenössische Chronist Salimbene de
Adam ausdrücklich bezeugt. "
Für die These, dass Boncompagno in seinem Boncompaymis die Auswüchse der
Gattung angreifen und in satirischer Form verarbeiten wollte, lassen sich eine Reihe
weiterer Belege anführen. Die in den arfos dicdmdi seit Alberich verbreiteten, streng for-
malisierten Empfehlungsschreiben in ganz bestimmten Angelegenheiten nimmt sich
Boncompagno ebenfalls vor. Ein traditioneller Musterbrief aus der oberitalienischen
Aurea Gemma in der Redaktion II der Prager Handschrift, der den gängigen Briefmus-
tern in den arfes dicdmdi um 1130 entspricht, lautet:
[...] darum poriüorcm üdcraram /odamzcm ucsirc /raicrniddi diriyimus rogando cf
suppdcando, rd eum cariddioe suscipiafis ef ei dumdiddis Ojfjdcia impendafis. Quem
efiam per singrdos gradns ad presdpferii donorem a nodis promofnm, non sna neprdfia
a nodis exprdsnm, sed msfa ef rafionadid cansa canonice dimissnm pndzcnm dumiiem
denemorigerafum^ore cognoscafis. Tesfre z'ydnr /raicrndah snppdcamns, pnahnns in
oesfreparrocdie ecciesia missarnm soiemnia enm ceiedrarepermidafis.^
Eines von Boncompagnos Empfehlungsschreiben lautet dagegen:
Bafor presenhnm nomine Paiandredns e^ecfnm per oocem nddnr imdari, pnoniam
doris ojfjdcio exprimere cerndnr dioersas ooincrnm canfiienas, ei pnod esf miradidns,
sic ferfias promere nddnr asininas, pnod si^oref adsens, esse asinns crederefnrA
Noch ironischer wird es, wo Boncompagno statt zu empfehlen von bestimmten Perso-
nen abrät. So konzipierte er einen Musterbrief, anhand dessen man einem Freund von

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Boncompagno: Boacompagaas, ed. Wicm, I, 26,11, http://scrineum.unipv.it/wight/bon126.l1tm.
Vgl. ScHALLER, Erotische und sexuelle Thematik in Musterbriefen des 12. Jahrhunderts, S. 71.
Vgl. Salimbene de Adam: Croaica, S. 112 ... Boacoaipagaas Horeadaas, t?ai aiagaas aiagisfer ia gra-
aiad'ca ia cmdafe Boaoaic/aii et d'dros & dicfaan'ae scripsif. Hie caa: aiore Fioreadaoraa: fripafor aiaxi-
a:as esset, ^aeaidaa: ridmiaai/ecif ia derisioaeai/rafris fodaaais de Viaceada.
Aurea Ceamia Widedeiaii, Nr. 39, S. 167.
Boncompagno: Boacoaipagaas, ed. WiGHT, VI, 8, 7, http://scrineum.unipv.it/wight/bon68.htm.
 
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