Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Hartmann, Florian
Ars dictaminis: Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 44: Ostfildern, 2013

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34760#0162

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
5 Fazit
Paradigmen einer Gattungsgeschichte

Ziel dieses einleitenden ersten Abschnitts war nicht, eine philologische Gattungsge-
schichte vorzulegen. Das dürfte auf Grundlage des derzeitigen Forschungsstandes
auch noch gar nicht möglich sein. Es konnte aber gezeigt werden, welchen Wandlungen
diese Gattung ausgesetzt war. Diese sind dabei wohl weniger Ausdruck einer beson-
deren Kreativität der dzcMores als vielmehr die Konsequenz eines gewaltigen Anpas-
sungsdruckes. Schon die »Erfindung« der Gattung der ars dzcfawmzs im Umfeld von
Reformpapsttum und Investiturstreit dokumentiert, wie eng ihre Entwicklung mit po-
litischen, sozialen und mentalen Bedürfnissen verbunden war. Da Briefe viel stärker
als die Geschichtsschreibung Teil der Alltagskultur waren, war die Nachfrage nach
kundigen Briefschreibern naturgemäß größer. Zudem dürfte die Briefrhetorik mit ih-
ren sozial bedingten Regeln weit stärkeren Veränderungen unterlegen haben als an-
dere Quellengattungen. Die Form von Geschichtsschreibung und die Gestaltung von
Königs- und Papsturkunden wandelten sich über die Zeit zwar auch. Der Hang zu Tra-
dition und eine genuin konservative Grundhaltung waren dort allerdings in gewisser
Weise stärker ausgeprägt als bei den Briefen der kommunalen Alltagskultur. Zudem
waren Briefe stärker auf die Bedürfnisse der einzelnen Rezipienten ausgerichtet, als es
bei Geschichtsschreibung möglich war. Damit ist grundsätzlich leicht erklärbar, warum
sich die Briefrhetorik und in der Folge auch die Anleitungen zum Verfassen von Briefen
offenbar wesentlich schneller wandelten. Wie schnell die ars dzcfammzs neuen Bedürf-
nissen angepasst wurde, ist deswegen nicht besonders erstaunlich. Aufschlussreich ist
eine detaillierte Analyse dieser Anpassungen gleichwohl.
So hängen die Anfänge der ars dzcfawmzs offenbar mit dem Bedarf des Reform-
papsttums nach einer größeren Zahl versierter dzcfafores zusammen. Der Ursprung der
ars dzcfawmzs lag also nicht, wie angenommen, in Montecassino, sondern in Rom, in un-
mittelbarer Nähe zur sich etablierenden CMna Roa;ana.' Dort war man in dem Bemü-
hen, die Kirche in Europa »größer und dichter« zu machen/ gezielt daran gegangen,
neues Personal zu schulen. Auch in der Folge blieben die ersten arfes dzcfandz - noch
nach Alberich von Montecassino - von den Auseinandersetzungen des Investiturstreits
geprägt. So zeigten sich bei sorgfältiger Analyse auch die ersten arfes dzcfandz aus der
kommunalen Welt noch zu Beginn des 12. Jahrhunderts beeinflusst von dem zähen Rin-
gen zwischen Papsttum und Kaisertum.

Vgl. JoRDAN, Die Entstehung der päpstlichen Kurie, sieht den Beginn des Begriffs »Kurie« für
den päpstlichen Hof erst um das Jahr 1100 belegt. Den Weg dorthin hatte das Reformpapsttum
mit Vertretern wie Leo IX., vor allem aber durch Kardinal Humbert von Silva Candida geebnet,
die damit ideell die Übertragung der antiken Senatsidee auf das Kardinalskollegium zum Aus-
druck bringen wollten. Den ersten Beleg für can'a im Sinn von Hofstaat fand JoRDAN, ebd., S. 128,
in einer Urkunde Urbans II. aus dem Jahr 1089; vgl. Italia pontificia II, Nr. 2, S. 104.
HEHL, Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts, S. 9; zu diesem Prozess in seinen Facetten
vgl. die Beiträge bei JoHRENDT/MÜLLER, Römisches Zentrum und kirchliche Peripherie.
 
Annotationen