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Hartmann, Florian; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ars dictaminis: Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 44: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34760#0197

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186

Teil III: Die artes dicfaud; als Spiegel des Diskurses

So konnten sie ihre Tätigkeit als Türöffner für die bedeutenden Kanzleien defi-
nieren^ und schließlich erreichen, dass das kunstgerechte Abfassen von Briefen in den
Kommunen einen solchen Stellenwert erreichte, dass die dzcfafores schließlich Positio-
nen erlangen konnten wie der schon erwähnte Magister Fratellus, den die Statuten von
Viterbo privi legieren,"' oder der Rhetoriklehrer Boncompagno da Signa, der zum engs-
ten Vertrauten des Podestä Hugolino Gosia avancierte. Guido Faba ist als Notar Kaiser
Ottos IV. belegt und war zuvor im Dienste Bischof Heinrichs von Bologna tätig.' Ihre
Stellung wiederum verdankten die dzcfafores nur der Überzeugung ihrer Auftraggeber,
dass die rhetorische Fähigkeit auch diesen selbst zu Ruhm und Ehre gereichte. Dieser
Befund deckt sich mit der Vermutung JOHANNES HELMRATHS zur Funktion von Auftrags-
rednern: »Insofern erfüllen sie [die Redner] für die denjenigen, in dessen Dienst sie ste-
hen, bzw. den sie in der Rede repräsentieren, sehr konkret eine Funktion «A
Die Kunst der Autoren der arfes dzchtndz bestand demnach auch darin, einer Ge-
sellschaft erfolgreich vermittelt zu haben, dass gerade ihre Fähigkeit so bedeutsam war,
dass die Herrschenden die Ausbildung im dzcfamen förderten und die darin geschulten
dzcfafores für ihre Kenntnisse entsprechend entlohnten. Darum war es für die Verfasser
der arfes dzcfandz beziehungsweise für die Lehrer auch wichtig, in den Musterbriefen
den Anschein zu erwecken, über vermeintlich authentische Briefe aus bedeutenden
Kanzleien zu verfügen. So konnte man demonstrieren, dass man mit diesen angesehe-
nen Personen in Kontakt stand. Es war der Sache nach und im didaktischen Kontext un-
bedeutend, dass ein Musterbrief in Boncompagnos BoncompagüMS von diesem selbst an
seine commafer Waldrada, die Witwe Guidos Guerras, gerichtet war: Tz'dcrc consolahoms
t?Mas dzrexz comzhsse WaMrade commafn mee post morfem uzn sm Gtüdonzs Gnerre comzhs pa-
lahnzA Es ist nicht einmal gesichert, dass Boncompagno tatsächlich in diesem Verhält-
nis zu den Conti Guidi stand, zudem hätte der Musterbrief seine rhetorisch-didaktische
Funktion auch erfüllt, wenn Boncompagno hier fiktive Namen eingesetzt hätte. Darum
ging es aber nur bedingt. Boncompagno nutzt diese Quelle ganz gezielt auch zu sei-
nem »Self-fashioning«. Die Botschaft lautete daher auch: Seht her, Boncompagno steht
in engstem Vertrauensverhältnis zur mächtigen Familie der Conti Guidi. Verbunden
damit ist auch seine elitäre Haltung gegenüber den damals aufstrebenden populäres^
sowie generell gegenüber allen diese Haltung war unter den dzctatores allge-
mein verbreitet.^
Man ist hier an die Renaissancehumanisten erinnert, die handschriftlich überlie-
ferte Briefe wie Trophäen Freunden und Schülern vorzeigten, wenn sie von angesehe-
nen, berühmten Persönlichkeiten verfasst worden waren."" »Ebenso wie durch die An-
zahl der empfangenen Briefe das Sozialprestige wuchs, stieg mit dem Bekanntheitsgrad

Albert von Asti: Flores dtctaudt, Paris BN nouv. acq. lat. 610, f. 1 .
Croraidzc e Statut;' della cz'tta A Vz'terFo, III. 36/37,306; vgl. zum Zitat oben Kap. III.
8i Vgl. KANTOROwicz, An > Autobiography< of Guido Faba, S. 209, dort auch, S. 210, über seine wei-
tere Karriere; vgl. WARD, Rhetorical Theory, S. 192 f.
HELMRATH, Der europäische Humanismus und die Funktion des Rhetorik, S. 21.
88 Boncompagno da Signa: Boucompaguus, I, 23,11.
84 Boncompagno di Signa: Cedrus, 6.27: mutt;' populäres per dzüersas muudt partes/raferuttates et cou-
sortz'a seeuutui; ut peutrem possüzt et stomac/zum adz'zzzplere; zu seinem Sarkasmus gegenüber den
populäres vgl. GiANSANTE, Boncompagno da Signa e l'autonomia comunale, S. 33 f.
88 Vgl. Boncompagno da Signa: R/zetorz'ca uoo/'ss/'ma, S. 233, 260 f., 296 f.
88 Vgl. JoNES, The Italian City-State, S. 434.
8i Mit weiterer Literatur vgl. zur Sache Kipp, Humanistische Freundschaft im Brief, S. 496; vgl.
auch BERNSTEIN, Humanistische Standeskultur, S. 107.
 
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