I. Thema und Methodik
1. Einleitung
Tocius mali causa - die Ursache allen Übels. Keine Geringere als die Kaiserin
Judith, Gemahlin Ludwigs des Frommen, trifft dieses Verdikt des Erzbischofs
Agobard von Lyon.1 Er liefert damit zugleich seine Begründung für den aufse-
henerregenden Aufstand gegen den Kaiser 830, in dessen Verlauf Judith von
ihrem Gemahl getrennt und ins Kloster verbracht wurde. Die Aufständischen
von 830 hatten der Kaiserin vorgeworfen, sie unterhalte ein ehebrecherisches
Verhältnis zum Kämmerer des Reiches, Graf Bernhard von Barcelona, mit dem
zusammen sie den Umsturz und damit den Untergang des Reiches plane.
Neben Judith sind mit Theutberga, Richgard, Uta und Emma gegen vier
weitere Gemahlinnen karolingischer Herrscher schwere öffentliche Vorwürfe
von Unzucht überliefert. So wurde Theutberga zur Last gelegt, sie habe vor ihrer
Ehe mit König Lothar II. ein inzestuöses Verhältnis zu ihrem Bruder Hukbert,
dem Abt von St-Maurice d'Agaune, unterhalten. Richgard soll ihren Gemahl
Kaiser Karl III. (den Dicken) mit dessen Erzkanzler, Bischof Liutward von Ver-
celli, betrogen haben. Über Uta, die Gemahlin Kaiser Arnulfs von Kärnten, ist ein
ähnlicher Vorwurf überliefert; ihr vermeintlicher Liebhaber ist allerdings unbe-
kannt. Über Emma von Westfranken schließlich hieß es, sie habe eine Affäre mit
Bischof Adalbero von Laon, dem ehemaligen Kanzler ihres Mannes König Lo-
thar. Dass diese Vorwürfe nicht lediglich hinter vorgehaltener Hand, sondern im
Rahmen von Reichsversammlungen oder Synoden diskutiert wurden und Ein-
gang in die historiographischen Werke der Zeit fanden, zeigt die Bedeutung, die
die Zeitgenossen ihnen beimaßen.
Wenn das sexuelle Verhalten der Königin2 und damit ihre Beziehung zu
ihrem Ehemann und Herrscher zum Gegenstand öffentlicher Debatte wurden
und weitere führende Große in die Vorwürfe involviert waren, hatte das in einer
auf personalen Bindungen beruhenden Gesellschaft wie der frühmittelalterli-
chen3 konkrete Auswirkungen auf die Ordnung des Hofes und damit Bedeutung
1 Agobard, Liber Apologeticus II, ed. van Acker, in: Agobardi Lugdimensis Opera omnia, Nr. 21,
S. 313-319, c. 2 [8], S. 316. Zu dieser Quelle ausführlich unten Kap. B.l. Die gängigen Beinamen
der Herrscher werden der Einfachheit halber zur Unterscheidung verwendet, unabhängig von
ihrem Entstehungszusammenhang.
2 Obschon der Begriff der Königin sich qualitativ von dem der königlichen Gemahlin abhebt und
durchaus diskutiert werden kann, ob es sich bei allen Frauen mittelalterlicher Herrscher um
Königinnen handelte (vgl. dazu Nelson, Medieval Queenship, bes. S. 183), soll im Folgenden der
Einfachheit halber von einer „Königin" die Rede sein, sofern es sich um die „legitime" Ehefrau
eines Herrschers handelte. Zu diesem Problem ausführlicher unten Kap. A.II.2.
3 Vgl. dazu grundlegend Theodor Mayer, der den Begriff des,Personenverbandsstaates' prägte, in
Ansätzen bereits Mayer, Geschichtliche Grundlagen, S. 17, und dann besonders ders., Der Staat,
hier S. 5 f., der allerdings eindeutig nationalsozialistischen Denkstrukturen verhaftet ist; vgl. zu
1. Einleitung
Tocius mali causa - die Ursache allen Übels. Keine Geringere als die Kaiserin
Judith, Gemahlin Ludwigs des Frommen, trifft dieses Verdikt des Erzbischofs
Agobard von Lyon.1 Er liefert damit zugleich seine Begründung für den aufse-
henerregenden Aufstand gegen den Kaiser 830, in dessen Verlauf Judith von
ihrem Gemahl getrennt und ins Kloster verbracht wurde. Die Aufständischen
von 830 hatten der Kaiserin vorgeworfen, sie unterhalte ein ehebrecherisches
Verhältnis zum Kämmerer des Reiches, Graf Bernhard von Barcelona, mit dem
zusammen sie den Umsturz und damit den Untergang des Reiches plane.
Neben Judith sind mit Theutberga, Richgard, Uta und Emma gegen vier
weitere Gemahlinnen karolingischer Herrscher schwere öffentliche Vorwürfe
von Unzucht überliefert. So wurde Theutberga zur Last gelegt, sie habe vor ihrer
Ehe mit König Lothar II. ein inzestuöses Verhältnis zu ihrem Bruder Hukbert,
dem Abt von St-Maurice d'Agaune, unterhalten. Richgard soll ihren Gemahl
Kaiser Karl III. (den Dicken) mit dessen Erzkanzler, Bischof Liutward von Ver-
celli, betrogen haben. Über Uta, die Gemahlin Kaiser Arnulfs von Kärnten, ist ein
ähnlicher Vorwurf überliefert; ihr vermeintlicher Liebhaber ist allerdings unbe-
kannt. Über Emma von Westfranken schließlich hieß es, sie habe eine Affäre mit
Bischof Adalbero von Laon, dem ehemaligen Kanzler ihres Mannes König Lo-
thar. Dass diese Vorwürfe nicht lediglich hinter vorgehaltener Hand, sondern im
Rahmen von Reichsversammlungen oder Synoden diskutiert wurden und Ein-
gang in die historiographischen Werke der Zeit fanden, zeigt die Bedeutung, die
die Zeitgenossen ihnen beimaßen.
Wenn das sexuelle Verhalten der Königin2 und damit ihre Beziehung zu
ihrem Ehemann und Herrscher zum Gegenstand öffentlicher Debatte wurden
und weitere führende Große in die Vorwürfe involviert waren, hatte das in einer
auf personalen Bindungen beruhenden Gesellschaft wie der frühmittelalterli-
chen3 konkrete Auswirkungen auf die Ordnung des Hofes und damit Bedeutung
1 Agobard, Liber Apologeticus II, ed. van Acker, in: Agobardi Lugdimensis Opera omnia, Nr. 21,
S. 313-319, c. 2 [8], S. 316. Zu dieser Quelle ausführlich unten Kap. B.l. Die gängigen Beinamen
der Herrscher werden der Einfachheit halber zur Unterscheidung verwendet, unabhängig von
ihrem Entstehungszusammenhang.
2 Obschon der Begriff der Königin sich qualitativ von dem der königlichen Gemahlin abhebt und
durchaus diskutiert werden kann, ob es sich bei allen Frauen mittelalterlicher Herrscher um
Königinnen handelte (vgl. dazu Nelson, Medieval Queenship, bes. S. 183), soll im Folgenden der
Einfachheit halber von einer „Königin" die Rede sein, sofern es sich um die „legitime" Ehefrau
eines Herrschers handelte. Zu diesem Problem ausführlicher unten Kap. A.II.2.
3 Vgl. dazu grundlegend Theodor Mayer, der den Begriff des,Personenverbandsstaates' prägte, in
Ansätzen bereits Mayer, Geschichtliche Grundlagen, S. 17, und dann besonders ders., Der Staat,
hier S. 5 f., der allerdings eindeutig nationalsozialistischen Denkstrukturen verhaftet ist; vgl. zu



