2. Ehefrau und Königin
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neunten und zehnten Jahrhundert eine ganze Reihe aufsehenerregender Pro-
zesse wegen Unzuchtsvergehen gegen Ehefrauen karolingischer Herrscher und/
oder ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Liebhaber statt.
2. Ehefrau und Königin
Die Frau des Herrschers war wie jede andere (Ehe-)Frau im Reich an die gän-
gigen Moralvorstellungen von ehelicher Treue gebunden. Als Königin kam ihr
darüber hinaus eine herausgehobene Stellung am Hof zu, die sowohl mit
Rechten als auch mit besonderen Pflichten verbunden war. Daher stellt sich die
Frage nach der spezifischen Rolle* * 144 der Königin in der Ordnung sowohl des
frühmittelalterlichen Hofes als auch des Reiches. Diese Ansprüche an das Ver-
halten und die Persönlichkeit einer Königin sollen im Folgenden skizziert wer-
den, wobei das Hauptaugenmerk auf den moralisch-sexuellen Bezügen liegt.
a. Von der Frau zur Königin
Wenn in modernen Geschichtswerken im Bezug auf das fränkische Frühmittel-
alter von einer Königin die Rede ist, so meint das in der Regel die Frau eines
amtierenden Herrschers. In Hinblick auf polygame Praktiken der fränkischen
Herrscher ist fraglich, inwiefern ein König nicht nur mehr als eine (Ehe-)Frau,
sondern auch mehr als eine Königin - zur gleichen Zeit - haben konnte. Mit
Ausnahme des diesbezüglich nicht ganz eindeutigen Fredegar-Kommentars zu
den Königinnen und Konkubinen Dagoberts I. finden sich jedoch keine weiteren
Hinweise auf derartige Fälle.145 Vielmehr berichtet der sogenannte Fredegar über
Brunichildes Angst, ihr Enkel Theuderich II., für den sie einst die Regentschaft
geführt hatte, könne seine Konkubinen verstoßen und sich eine rechtmäßige
Ehefrau und Königin nehmen, die Brunichilde von ihrer Stellung am Hof ver-
drängen würde.146 Für die späten Jahre Karls des Großen hat allerdings Janet L.
wurde, ist nicht überliefert, was in jedem Fall dafür spricht, dass diese Angelegenheiten keine
Brisanz besaßen. Zur Herrscherkritik auch unten in diesem Kapitel.
144 Da die Begriffsbildung innerhalb der Soziologie nicht einheitlich ist, sei verwiesen auf die Arbeit
von Linton, The Study of Man, S. 113-131, sowie bes. Dahrendorf, Homo Sociologicus, hier etwa
S. 21: „Soziale Rollen bezeichnen Ansprüche der Gesellschaft an die Träger von Positionen, die
von zweierlei Art sein können: einmal Ansprüche an das Verhalten der Träger von Positionen
[Rollenverhalten], zum anderen Ansprüche an sein Aussehen und seinen Charakter [Rollenattri-
bute].“ Vgl. auch die Diskussion bei Gerhardt, Rollenanalyse, hier S. 41-45, sowie allgemein
Hillmann, Wörterbuch, Lemma ,Rolle', S. 756-758, dort, S. 758, mit weiterer einschlägiger Li-
teratur.
145 Zu Dagobert I. Fredegar, Chronicae, ed. Krusch, IV, c. 60, S. 151, zitiert oben bei Anm. 99.
146 Jonas von Bobbio, Vita Columbani, ed. Krusch, I, c. 18, S. 86: Theudericus ergo, quia infra terminus
regni sui beatum Columbanum haberet, gratulabatur. Ad quem saepissime cum veniret, coepit vir Dei
eum increpare, quur concubinarum adulteriis misceretur et non potius legitimi coniugii solaminafru-
eretur, ut regalis prolis ex honorabilem reginam prodiret et non potius ex lupanaribus videretur emergi.
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neunten und zehnten Jahrhundert eine ganze Reihe aufsehenerregender Pro-
zesse wegen Unzuchtsvergehen gegen Ehefrauen karolingischer Herrscher und/
oder ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Liebhaber statt.
2. Ehefrau und Königin
Die Frau des Herrschers war wie jede andere (Ehe-)Frau im Reich an die gän-
gigen Moralvorstellungen von ehelicher Treue gebunden. Als Königin kam ihr
darüber hinaus eine herausgehobene Stellung am Hof zu, die sowohl mit
Rechten als auch mit besonderen Pflichten verbunden war. Daher stellt sich die
Frage nach der spezifischen Rolle* * 144 der Königin in der Ordnung sowohl des
frühmittelalterlichen Hofes als auch des Reiches. Diese Ansprüche an das Ver-
halten und die Persönlichkeit einer Königin sollen im Folgenden skizziert wer-
den, wobei das Hauptaugenmerk auf den moralisch-sexuellen Bezügen liegt.
a. Von der Frau zur Königin
Wenn in modernen Geschichtswerken im Bezug auf das fränkische Frühmittel-
alter von einer Königin die Rede ist, so meint das in der Regel die Frau eines
amtierenden Herrschers. In Hinblick auf polygame Praktiken der fränkischen
Herrscher ist fraglich, inwiefern ein König nicht nur mehr als eine (Ehe-)Frau,
sondern auch mehr als eine Königin - zur gleichen Zeit - haben konnte. Mit
Ausnahme des diesbezüglich nicht ganz eindeutigen Fredegar-Kommentars zu
den Königinnen und Konkubinen Dagoberts I. finden sich jedoch keine weiteren
Hinweise auf derartige Fälle.145 Vielmehr berichtet der sogenannte Fredegar über
Brunichildes Angst, ihr Enkel Theuderich II., für den sie einst die Regentschaft
geführt hatte, könne seine Konkubinen verstoßen und sich eine rechtmäßige
Ehefrau und Königin nehmen, die Brunichilde von ihrer Stellung am Hof ver-
drängen würde.146 Für die späten Jahre Karls des Großen hat allerdings Janet L.
wurde, ist nicht überliefert, was in jedem Fall dafür spricht, dass diese Angelegenheiten keine
Brisanz besaßen. Zur Herrscherkritik auch unten in diesem Kapitel.
144 Da die Begriffsbildung innerhalb der Soziologie nicht einheitlich ist, sei verwiesen auf die Arbeit
von Linton, The Study of Man, S. 113-131, sowie bes. Dahrendorf, Homo Sociologicus, hier etwa
S. 21: „Soziale Rollen bezeichnen Ansprüche der Gesellschaft an die Träger von Positionen, die
von zweierlei Art sein können: einmal Ansprüche an das Verhalten der Träger von Positionen
[Rollenverhalten], zum anderen Ansprüche an sein Aussehen und seinen Charakter [Rollenattri-
bute].“ Vgl. auch die Diskussion bei Gerhardt, Rollenanalyse, hier S. 41-45, sowie allgemein
Hillmann, Wörterbuch, Lemma ,Rolle', S. 756-758, dort, S. 758, mit weiterer einschlägiger Li-
teratur.
145 Zu Dagobert I. Fredegar, Chronicae, ed. Krusch, IV, c. 60, S. 151, zitiert oben bei Anm. 99.
146 Jonas von Bobbio, Vita Columbani, ed. Krusch, I, c. 18, S. 86: Theudericus ergo, quia infra terminus
regni sui beatum Columbanum haberet, gratulabatur. Ad quem saepissime cum veniret, coepit vir Dei
eum increpare, quur concubinarum adulteriis misceretur et non potius legitimi coniugii solaminafru-
eretur, ut regalis prolis ex honorabilem reginam prodiret et non potius ex lupanaribus videretur emergi.



