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B.I. Der Idealtypus? - der Fall,Judith1
Während Irmingard, mit der Ludwig schon seit seiner Zeit als Unterkönig in
Aquitanien verheiratet gewesen war, 816 durch Papst Stephan IV. in Reims zur
Kaiserin gekrönt worden war, ist für Judith keine Krönung, weder zur Kaiserin
noch zur Königin, eindeutig belegt. Allein die ,Annales Mettenses priores' er-
wähnen in ihrem zeitgenössischen Nachtrag zu den Ereignissen von 830/831 eine
Krönung für Ludwigs zweite Gemahlin.15 Der Eintrag ist von einer deutlich
Judith-freundlichen Tendenz geprägt. Es spricht sogar einiges für eine Abfas-
sung im Kloster Chelles unter der Aufsicht von Judiths Mutter Heilwig.16 Inso-
fern ist die Nachricht der Krönung sicher nicht über jeden Zweifel erhaben.
Insgesamt aber erscheint Judith in zeitgenössischen Quellen - ob in der Histo-
riographie, in Urkunden oder Briefen - so oft als regina, imperatrix oder augusta,
dass sie zweifelsfrei als Königin und sogar Kaiserin bezeichnet werden kann,
auch wenn eine förmliche Erhebung mit Akklamation und Krönung nicht erfolgt
sein sollte.17
2. Inhalt und Chronologie der Vorwürfe
Trotz Judiths Präsenz in den Quellen, vor allem nach der Geburt ihres Sohnes
Karl am 13. Juni 823,18 gleicht es einem Paukenschlag, wenn im Zusammenhang
der ersten großen Regierungskrise Ludwigs des Frommen im Jahr 830 - der
15 Annales Mettenses priores, ed. von Simson, [a. 830], S. 95 f.: Ante iam dictus enim domnus Imperator
Hlodowicus habebat quandam reginam nomine ludith, pulchram nimis et sapientiae floribus optime
instructam, sociatam sibi in coniugio, quae etiam imperatrix coronata et augusta ab omnibus est accla-
mata.
16 Zur Tendenz des letzten Teils der, Annales Mettenses' Nelson, Gender and Genre, S. 191-194, die
für Judiths Mutter Heilwig, Äbtissin von Chelles, als Verfasserin oder Auftraggeberin argu-
mentiert. Nach der ersten Lokalisierung der Annalen in Metz durch den Editor von Simson hatten
Levison, Zu den Annales Mettenses, S. 474 f., und Rutau, Beiträge, S. 61, eine Entstehung am
Königshof wahrscheinlich gemacht, jedoch weist der geographische Schwerpunkt des Werkes
nach Nordfrankreich, weshalb Pückert, Über die kleine Lorscher Frankenchronik, S. 142-145,
und Kurze, Über die Karolingischen Reichsannalen, S. 31, 48 f., für St-Denis als Entstehungsort
vor allem des ersten Teils bis 806 plädiert haben. Die Chelles-These geht zurück auf Hoffmann,
Untersuchungen, S. 53-60. Zwischen Chelles und St-Denis unentschieden Haselbach, Aufstieg,
bes. S. 23, sowie zuletzt Hen, The Annals, S. 177, mit leichter Tendenz für Chelles. Heilwig
übernahm um 825/826, wohl nach dem Tod ihres Mannes Welf, die dortige Äbtissinnenwürde,
siehe Translatio s. Baltechildis, ed. Holder-Egger, c. 1, S. 284. Zur Quelle Laporte, Le tresor, S. 151—
155.
17 VgL Koch, Kaiserin Judith, S. 37 f., der allerdings von einer förmlichen Erhebung zu 819 ausgeht;
Wolf, Königinnen-Krönungen, S. 65 f., nimmt eine Krönung im Winter 829/830 oder Februar 831
an; Zey, Imperatrix, S. 7 ff., betont, dass eine (Kaiserinnen-) Krönung nicht durch den Papst
erfolgt sein kann. Zum Problem der Krönungen von Frauen im Frühmittelalter auch Brühl,
Fränkischer Krönungsbrauch, der, S. 322, Judiths „Kaiserkrönung" als sechste Krönung auf
fränkischem Boden aufzählt und für 819 plädiert.
18 Für eine Aufstellung der verzeichnenden Quellen vgl. RI I, 2,1 Nr. 1.
B.I. Der Idealtypus? - der Fall,Judith1
Während Irmingard, mit der Ludwig schon seit seiner Zeit als Unterkönig in
Aquitanien verheiratet gewesen war, 816 durch Papst Stephan IV. in Reims zur
Kaiserin gekrönt worden war, ist für Judith keine Krönung, weder zur Kaiserin
noch zur Königin, eindeutig belegt. Allein die ,Annales Mettenses priores' er-
wähnen in ihrem zeitgenössischen Nachtrag zu den Ereignissen von 830/831 eine
Krönung für Ludwigs zweite Gemahlin.15 Der Eintrag ist von einer deutlich
Judith-freundlichen Tendenz geprägt. Es spricht sogar einiges für eine Abfas-
sung im Kloster Chelles unter der Aufsicht von Judiths Mutter Heilwig.16 Inso-
fern ist die Nachricht der Krönung sicher nicht über jeden Zweifel erhaben.
Insgesamt aber erscheint Judith in zeitgenössischen Quellen - ob in der Histo-
riographie, in Urkunden oder Briefen - so oft als regina, imperatrix oder augusta,
dass sie zweifelsfrei als Königin und sogar Kaiserin bezeichnet werden kann,
auch wenn eine förmliche Erhebung mit Akklamation und Krönung nicht erfolgt
sein sollte.17
2. Inhalt und Chronologie der Vorwürfe
Trotz Judiths Präsenz in den Quellen, vor allem nach der Geburt ihres Sohnes
Karl am 13. Juni 823,18 gleicht es einem Paukenschlag, wenn im Zusammenhang
der ersten großen Regierungskrise Ludwigs des Frommen im Jahr 830 - der
15 Annales Mettenses priores, ed. von Simson, [a. 830], S. 95 f.: Ante iam dictus enim domnus Imperator
Hlodowicus habebat quandam reginam nomine ludith, pulchram nimis et sapientiae floribus optime
instructam, sociatam sibi in coniugio, quae etiam imperatrix coronata et augusta ab omnibus est accla-
mata.
16 Zur Tendenz des letzten Teils der, Annales Mettenses' Nelson, Gender and Genre, S. 191-194, die
für Judiths Mutter Heilwig, Äbtissin von Chelles, als Verfasserin oder Auftraggeberin argu-
mentiert. Nach der ersten Lokalisierung der Annalen in Metz durch den Editor von Simson hatten
Levison, Zu den Annales Mettenses, S. 474 f., und Rutau, Beiträge, S. 61, eine Entstehung am
Königshof wahrscheinlich gemacht, jedoch weist der geographische Schwerpunkt des Werkes
nach Nordfrankreich, weshalb Pückert, Über die kleine Lorscher Frankenchronik, S. 142-145,
und Kurze, Über die Karolingischen Reichsannalen, S. 31, 48 f., für St-Denis als Entstehungsort
vor allem des ersten Teils bis 806 plädiert haben. Die Chelles-These geht zurück auf Hoffmann,
Untersuchungen, S. 53-60. Zwischen Chelles und St-Denis unentschieden Haselbach, Aufstieg,
bes. S. 23, sowie zuletzt Hen, The Annals, S. 177, mit leichter Tendenz für Chelles. Heilwig
übernahm um 825/826, wohl nach dem Tod ihres Mannes Welf, die dortige Äbtissinnenwürde,
siehe Translatio s. Baltechildis, ed. Holder-Egger, c. 1, S. 284. Zur Quelle Laporte, Le tresor, S. 151—
155.
17 VgL Koch, Kaiserin Judith, S. 37 f., der allerdings von einer förmlichen Erhebung zu 819 ausgeht;
Wolf, Königinnen-Krönungen, S. 65 f., nimmt eine Krönung im Winter 829/830 oder Februar 831
an; Zey, Imperatrix, S. 7 ff., betont, dass eine (Kaiserinnen-) Krönung nicht durch den Papst
erfolgt sein kann. Zum Problem der Krönungen von Frauen im Frühmittelalter auch Brühl,
Fränkischer Krönungsbrauch, der, S. 322, Judiths „Kaiserkrönung" als sechste Krönung auf
fränkischem Boden aufzählt und für 819 plädiert.
18 Für eine Aufstellung der verzeichnenden Quellen vgl. RI I, 2,1 Nr. 1.



