Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Dohmen, Linda; Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn [Editor]; Jan Thorbecke Verlag [Editor]; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Die Ursache allen Übels: Untersuchungen zu den Unzuchtsvorwürfen gegen die Gemahlinnen der Karolinger — Mittelalter-Forschungen, Band 53: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2017

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.51256#0463

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
462 C.II. Von Reinigungseiden und Gottesurteilen - Überlegungen zur Beilegung der Konflikte

3. Fall ,Richgardz: ein nicht weiter verfolgter Vorwurf und
eine Ehetrennung in beiderseitigem Einvernehmen
Während Lothar II. eindeutig als Gegner seiner Ehefrau Theutberga in Erschei-
nung tritt, ist die Rolle Kaiser Karls III. im Skandal um seine Gemahlin Richgard
und seinen Erzkanzler Bischof Liutward von Vercelli schwerer zu fassen. Nach
Regino von Prüm - der als einziger Zeitgenosse eine kausale Verknüpfung
zwischen Liutwards Sturz und der Trennung Richgards und Karls III. überliefert,
war es der Kaiser selbst, der sowohl Liutward als auch Richgard mit dem Vor-
wurf des Ehebruchs konfrontiert habe. Mit den beiden Fortsetzungen der ,An-
nales Fuldenses' ist sich Regino zunächst einig, dass Liutward gewissermaßen
formlos, ohne Verhandlung oder Ähnliches, seine Ämter und seine Stellung
verlor und die Gegenwart des Kaisers meiden musste, weil er mit den „Ge-
heimnissen der Königin vertrauter war, als sich ziemte". Anschließend habe Karl
eine Versammlung (contio) einberufen, auf der er seine Gemahlin ebenfalls mit
dem Vorwurf konfrontierte. Zugleich habe er behauptet, im Verlauf ihrer Ehe
niemals fleischlichen Umgang mit ihr gepflegt zu haben. Dass es sich hierbei um
den entscheidenden Wendepunkt in dem Verfahren handelte, gibt Regino durch
den Ausruf mirum dictu m verstehen. Als Antwort habe Richgard sich erboten,
nicht nur ihre Unschuld, sondern überhaupt ihre Jungfräulichkeit zu beweisen,
indem sie einen Vertreter in den gerichtlichen Zweikampf schicken oder sich
selbst dem Gottesurteil des Pflugscharengangs unterziehen werde. Von einem
Vollzug des Zweikampfes oder des Gottesurteils ist anschließend nicht mehr die
Rede. Vielmehr sei die Ehe geschieden worden, und Richgard habe sich in das
von ihr gegründete Kloster Andlau zurückgezogen.77 Obschon der rund 20 Jahre
später schreibende Regino das einzige zeitgenössische Zeugnis für den Ehe-
skandal von 887 liefert, konnte gezeigt werden, dass es keine stichhaltigen Ar-
gumente gibt, seine Version der Ereignisse als unglaubwürdig oder konstruiert
abzutun, Reginos Erinnerung an die Ereignisse von 887 also durchaus Beachtung
verdient.78
So entspricht etwa Reginos Bericht den rechtlichen Gepflogenheiten der Zeit.
Der gerichtliche Zweikampf war ein bilaterales Beweismittel, bei dem beide

77 Regino, Chronicon, ed. Kurze, a. 887, S. 127: Et primo quidem Liudwardum episcopum Vercellensem,
virum sibi percarum et in administrandis publicis utilitatibus unicum consiliarium, obiecto adulterii
crimine, eo quod reginae secretis familiarius, quam oportebat, inmisceretur, a suo latere cum dedecore
repulit. Deinde paucis interpositis diebus coniugem Richgardem - sic enim augusta vocabatur - pro
eadem re in contionem vocat et, mirum dictu, publice protestatur numquam se carnali coitu cum ea
miscuisse, cum plus quam decennio legitimi matrimonii foedere eins consortio esset sociata. Illa econtra
non solum ab eins, sed etiam ab omni virili commixtione se inmunem esse profitetur ac de virginitatis
integritate gloriatur, idque se approbare Dei omnipotentis iudicio, si marito placeret, aut singulari cert-
amine aut ignitorum vomerum examine, fiducialiter adfirmat; erat enim religiosafemina. Facto discidio in
monasterio, quod in proprietate sua construxerat, Deo famulatura recessit.
78 Dazu ausführlich oben Kap. B.III.
 
Annotationen