II. Weiterführende Überlegungen
Uber diese konkreten Ergebnisse der Einzelfallanalysen und des systematisch-
analytischen Vergleichs hinaus ergeben sich aus der vorliegenden Untersuchung
zahlreiche weiterführende Überlegungen, insbesondere zur sogenannten kon-
sensualen Herrschaft, dem Verhältnis von König und Großen und natürlich zur
Rolle der Königin in diesem Spannungsgefüge.
Dass sich die in der Zusammenfassung noch einmal skizzierten Konflikte in
der Person der Königin kristallisierten, unterstreicht die Schlüsselposition, die
der Königin beim Verständnis frühmittelalterlicher Herrschaft zukommt. Sie
war nicht nur die Gemahlin des Herrschers, sondern im Idealfall zugleich Mutter
seiner Söhne und zudem selbst Tochter einer adligen Familie des Reiches. Sie
konnte - aber musste nicht - Beraterin sein, Anlaufstelle für diejenigen, die ein
Anliegen an den Herrscher heranzutragen hatten, Förderin der Künste und
Gelehrsamkeit.
Eine diesbezügliche Erwartungshaltung an die Königin aber scheint nicht
existiert zu haben. Zumindest ist sie weder in solchen Texten formuliert, die im
weitesten Sinne als,Fürstenspiegelliteratur' bezeichnet werden können, noch ist
mir im Gegenzug zeitgenössische Kritik bekannt, eine bestimmte Königin habe
zu wenig Einfluss auf die Politik ihres Mannes genommen. Im Gegenteil, die
Kritik der Zeitgenossen kapriziert sich stets auf jene Frauen, deren politischer
Einfluss zu groß gewesen sei - unter den hier behandelten Frauen allein die
Kaiserin Judith.
Der Blick auf andere in den Quellen gut greifbare königliche Gemahlinnen
macht jedoch etwas deutlich: Diese Frauen sahen sich nicht gewissermaßen
automatisch dem Vorwurf der Unzucht ausgesetzt, quasi als zwangsläufige
Antwort ihrer - männlichen - Umwelt auf ihren politischen Einfluss. Vielmehr
sind für etliche Herrschergemahlinnen, die sich in sogenannte politische' An-
gelegenheiten einmischten, wie Karls des Großen vierte Ehefrau Fastrada,9
Kaiserin Angilberga, Gemahlin Ludwigs II.,10 oder Liutgard, Gemahlin Ludwigs
9 Zu ihr Konecny, Die Frauen, S. 68 f.; Hartmann, Die Königin, bes. S. 101-103. Insbesondere zu
Fastrada und dem Frankfurter Konzil von 794 Nelson, The Siting; Staab, Königin Fastrada.
Einhard, Vita Karoli, edd. Waitz - Holder-Egger, c. 20, S. 25 f., hier S. 26, macht Fastradas
„Grausamkeit" für zwei Aufstände gegen Karl verantwortlich: Harum tarnen coniurationum
Fastradae reginae crudelitas causa et origo extitisse creditur. Et idcirco in ambabus contra regem con-
spiratum est, quia uxoris crudelitati consentiens a suae naturae benignitate ac solita mansuetudine
inmaniter exorbitasse videbatur.
10 Angilbergas Einfluss etwa negativ vermerkt in Hinkmars Annales Bertiniani, edd. Grat - Viel-
liard - Clemencet, a. 871, S. 183: Nam Adalgisus cum aliis Beneuentanis aduersus ipsum imperatorem
conspirauit, quoniam idem imperator factione uxoris suae eum in perpetuum exilium deducere dispo-
nebat, sowie bes. Chronicon Salemitanum, ed. Westerbergh, c. 109, S. 121 f.: [...] dum fere trium
annorum <spacia> ipse memoratus Lodogoicus una cum dicta uxore Beneventanos preesset, Beneventani
eum ex sua urba expulerunt in hunc modum, quemadmodum subsequens sermo declarat. Igne vero
undique palacium succenderunt, ubi ipse imperator cum sua coniuge degebat, et sic armis tuleruntet ibi
cum grandi strepitu adierunt. Ille imperator veniam postulabat, et inter hec verba suam coniugem cum
Uber diese konkreten Ergebnisse der Einzelfallanalysen und des systematisch-
analytischen Vergleichs hinaus ergeben sich aus der vorliegenden Untersuchung
zahlreiche weiterführende Überlegungen, insbesondere zur sogenannten kon-
sensualen Herrschaft, dem Verhältnis von König und Großen und natürlich zur
Rolle der Königin in diesem Spannungsgefüge.
Dass sich die in der Zusammenfassung noch einmal skizzierten Konflikte in
der Person der Königin kristallisierten, unterstreicht die Schlüsselposition, die
der Königin beim Verständnis frühmittelalterlicher Herrschaft zukommt. Sie
war nicht nur die Gemahlin des Herrschers, sondern im Idealfall zugleich Mutter
seiner Söhne und zudem selbst Tochter einer adligen Familie des Reiches. Sie
konnte - aber musste nicht - Beraterin sein, Anlaufstelle für diejenigen, die ein
Anliegen an den Herrscher heranzutragen hatten, Förderin der Künste und
Gelehrsamkeit.
Eine diesbezügliche Erwartungshaltung an die Königin aber scheint nicht
existiert zu haben. Zumindest ist sie weder in solchen Texten formuliert, die im
weitesten Sinne als,Fürstenspiegelliteratur' bezeichnet werden können, noch ist
mir im Gegenzug zeitgenössische Kritik bekannt, eine bestimmte Königin habe
zu wenig Einfluss auf die Politik ihres Mannes genommen. Im Gegenteil, die
Kritik der Zeitgenossen kapriziert sich stets auf jene Frauen, deren politischer
Einfluss zu groß gewesen sei - unter den hier behandelten Frauen allein die
Kaiserin Judith.
Der Blick auf andere in den Quellen gut greifbare königliche Gemahlinnen
macht jedoch etwas deutlich: Diese Frauen sahen sich nicht gewissermaßen
automatisch dem Vorwurf der Unzucht ausgesetzt, quasi als zwangsläufige
Antwort ihrer - männlichen - Umwelt auf ihren politischen Einfluss. Vielmehr
sind für etliche Herrschergemahlinnen, die sich in sogenannte politische' An-
gelegenheiten einmischten, wie Karls des Großen vierte Ehefrau Fastrada,9
Kaiserin Angilberga, Gemahlin Ludwigs II.,10 oder Liutgard, Gemahlin Ludwigs
9 Zu ihr Konecny, Die Frauen, S. 68 f.; Hartmann, Die Königin, bes. S. 101-103. Insbesondere zu
Fastrada und dem Frankfurter Konzil von 794 Nelson, The Siting; Staab, Königin Fastrada.
Einhard, Vita Karoli, edd. Waitz - Holder-Egger, c. 20, S. 25 f., hier S. 26, macht Fastradas
„Grausamkeit" für zwei Aufstände gegen Karl verantwortlich: Harum tarnen coniurationum
Fastradae reginae crudelitas causa et origo extitisse creditur. Et idcirco in ambabus contra regem con-
spiratum est, quia uxoris crudelitati consentiens a suae naturae benignitate ac solita mansuetudine
inmaniter exorbitasse videbatur.
10 Angilbergas Einfluss etwa negativ vermerkt in Hinkmars Annales Bertiniani, edd. Grat - Viel-
liard - Clemencet, a. 871, S. 183: Nam Adalgisus cum aliis Beneuentanis aduersus ipsum imperatorem
conspirauit, quoniam idem imperator factione uxoris suae eum in perpetuum exilium deducere dispo-
nebat, sowie bes. Chronicon Salemitanum, ed. Westerbergh, c. 109, S. 121 f.: [...] dum fere trium
annorum <spacia> ipse memoratus Lodogoicus una cum dicta uxore Beneventanos preesset, Beneventani
eum ex sua urba expulerunt in hunc modum, quemadmodum subsequens sermo declarat. Igne vero
undique palacium succenderunt, ubi ipse imperator cum sua coniuge degebat, et sic armis tuleruntet ibi
cum grandi strepitu adierunt. Ille imperator veniam postulabat, et inter hec verba suam coniugem cum



