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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.4238#0010
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Dürers Stich „Melencoha I und der maximilianische Humanistenkreis.

III. Konrad Celtis' Verhalten gegenüber Ficinos Lehre vom melancholischen Temperament.

Zu den Hofhumanisten, die sich für Marsiglio Ficinos Philosophie begeisterten, gehört als einer der ersten Konrad
Celtis, der bereits vom Vater Maximilians gekrönte Dichter, dessen Begabung jedoch erst der Sohn zu verwerten
verstand. Seine Beziehungen zu dem Italiener entstammen der Bekanntschaft, die er bei einem Besuche in Florenz
wohl noch vor Drucklegung von Marsiglios Werk De vita triplici gemacht hatte, und sind zur Zeit von dessen
Ableben nicht erkaltet. Denn als Celtis' Schüler Vincentius Longinus gegen Ende 1499 seine italienische Reise
antrat, von der zurückgekehrt er aus Maximilians eigener Hand den Dichterlorbeer erhielt, nahm er Grüße für Ficino
mit. Doch bevor er Florenz betrat, war, wie er dem Celtis schreibt, »der allerlieblichste platonische Philosoph«
verschieden. 1

Der Neuplatonismus, dem der Florentiner huldigt, erfüllt mit seiner poetischen Lehre von einer Weltbeseelung
und einem Einwirken der Gestirne auf alles Irdische ganz das Dichtergemüt des deutschen Humanisten; auch an ein
Herabschweben von Geistern glaubte er. Wenn er seinem Nürnberger Freunde Sebald Schreyer gesteht, daß die
Dichter und Redner nur bei bestimmter Konstellation »nescio quo Safyiovs aut spiritu« gedrängt zum Schreiben sich
erwärmen, so ist das im Munde eines Anhängers Marsiglios nicht eine poetische Floskel, sondern es steckt darin die
ernsthafte Vorstellung von einem überirdischen Wesen, das sicher vor seinem inneren Auge eine körperliche Gestalt
besaß.3

Bestrebt, den »semina mundi« nachzuspüren, die sich in den Elementen verbergen, konnte Celtis an der neuen
Theorie seines platonischen Lehrers, die gerade den elementaren Qualitäten des melancholischen Temperamentes eine
den menschlichen Geist zu den höchsten Leistungen befähigende Kraft zuschreibt, nicht achtlos vorübergehen. Freilich,
sein Epigramm, welches die Wirkung des Rebensaftes auf die vier Komplexionen besingt, charakterisiert in launiger
Weise nur das weinerliche Elend des Melancholikers und verdient lediglich als ein scherzhaftes Gelegenheitsgedicht
Beachtung, das zeigt, welch einen beliebten Unterhaltungs- und Darstellungsstoff die vier Temperamente damals
abgaben.3 Dagegen sind diese ein Gegenstand tiefer, naturphilosophischer Spekulationen in dem Hauptwerke des
Celtis, den Quatuor libri amorum, jenen »hortante Maxmyliano« geschriebenen Reisebildern, welche die im Osten
und Süden, Westen und Norden Deutschlands erlebten oder erdichteten Liebesabenteuer zum Ausgangspunkte feiner
Beobachtungen über Land und Leute nehmen und so einen Vorläufer zu seiner großen, nach dem Vorbilde von Flavio
Biondos Italia illustrata geplanten Germania illustrata bilden.

In der Widmung an den Kaiser fehlt nicht der Hinweis, daß dieser darin eine Schilderung der Temperamente
finden werde, wie sie den Körper und Geist des Menschen bedingen. * Demnach ist jedem der vier den Lebensaltern
entsprechenden Bücher ein neunfaches Schema vorangestellt, das die herrschende Komplexion inmitten ihrer
Beziehungen zu den Jahres-, Lebens- und Tagesabschnitten, zu den Winden und Himmelszeichen, zu den Elementen
und der von diesen abhängigen Temperatur und Farbe darstellt.

Insoferne das letzte »Novenarium« die Melancholie mit der Erde, der Nacht, dem Zeichen des Steinbocks, dem
Nordwind, der Erkaltung und der bläulich-weißen Farbe in Verbindung bringt, weicht Celtis nicht von den üblichen
Vorstellungen der Kalender und Komplexionenbücher ab, wohl aber, wenn er die Melancholie nicht mehr mit dem
Herbst, sondern dem Winter vergleicht. Offenbar bewogen ihn hiezu die ihr in der Temperamentenlehre zukommenden
kalten und trockenen Qualitäten, die ihn denn auch dazu bestimmten, das melancholische Temperament das Greisen-
alter beherrschen zu lassen. Jedoch geschieht das nicht mehr in dem unbedingt bösen Sinne, wie es nach Villeneuves
Kommentaren zu den Gesundheitsregeln von Salerno der Fall sein soll; vielmehr bekennt sich Celtis zu Ficinos mit
klassischen Beispielen belegter Lehre vom Zusammenhange der Melancholie mit der Fähigkeit zum philosophischen
Denken, wenn er in der Überschrift des letzten Buches ausdrücklich vom Greisenalter, sowie von den Bedingungen

1 Vgl. Celtis'ßriefkodex Nr. 3448 der Wiener Hofbibliothek, p. 122vff. und über Longinus G.Bauch in der Zeitschrift des Vereines für
Geschichte und Altertum Schlesiens, Bd. XXXI.

2 Vgl. den Brief des Celtis vom 1. Februar 1502, abgedruckt am Schlüsse der Quatuor libri ainorum.

3 Vgl. die Epigramme von Konrad Celtis, herausgegeben von Hartfelder, Berlin 1881, S. 31 : de moribus ebriorum ex complexione. — Auch
Hans Sachs hat zu einem kurzweiligen Spruch dasselbe Thema 1528 gewählt.

4 Celtis schreibt an den Kaiser: Invenies item anni descripta a nobis tempora et ex cardinalibus coeli signis mutationes ejus et tempera-
menta et (ut natura comparatum est) ingenia suum coelum et terram sequi; ita hic depicta et figurata secundum quatuor etatum circulos et
ebdomadas (ut Pythagorici putant) hominum animos et eorum corpora contemplabere.
 
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