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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.4238#0070
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66 —

Nürnberger Kleinmeisters (vgl. die umseitigen Abbildungen) verdient hier besondere Beachtung, weil er, ein jüngerer
Zeitgenosse Dürers, die »Melencolia I« als einen Teil einer Temperamentenfolge nicht nur aufgefaßt, sondern auch als
solchen bei der eigenen Arbeit verwertet hat. So frei er dabei kopierte, Attribute wegließ und neue hinzufügte, behielt
er die Symbole der Musik, das Notenbuch und die Laute, wohlweislich doch dem sanguinischen Temperamente
vor, wodurch er gleichzeitig erreichte, daß der Schwan, dieser phoebeische Vogel, auf dem Blatte des Melancholicus
nur die Gabe prophetischer Poesie versinnlicht.

Aus der gleichen Überlegung heraus, um einem Mißverständnisse vorzubeugen und ein charakteristisches
Attribut für eine andere Komplexion aufzusparen, hat Dürer jegliches Sinnbild, das ihm auf eine Ausübung der
Musik deutbar erschien, beiseite gelassen. Demnach ist darin nicht »ein feiner, persönlicher Zug« des Künstlers zu
erblicken, dem eine Symbolisierung der Musik auf einem Bilde der Schwermut unpassend dünkte,1 sondern eine not-
wendige Folge seiner Absicht, mit der »Melencolia I« eine Folge der vier Komplexionen zu beginnen. Wahrlich, der
alte Heller hatte ganz Recht, als er schon auf Grund der Eins ein solches Vorhaben bei Dürer vermutete.3

Auch dieser Plan zwingt, für sich allein betrachtet, noch nicht dazu, ein inneres Band zwischen dem Stich und
Peutingers Gutachten anzunehmen. Zu bedenken bleibt, daß Dürer mit jenem eine so genaue Kenntnis Ficinos ver-
ratenden Passus über die Behandlung der Melancholie des Malerjungen den als »Hauptpunkt« des ersten Teils der
Vorrede hingestellten Gedanken weiter ausgeführt hat, »wie der Knab erlesen und der Geschicklichkeit seiner Cumpex
Acht genummen soll werden.« Leider enthalten die noch vorhandenen Entwürfe zum Malerbuche nichts Näheres
über »die etlichen Erklärungen«, die sowohl für die entsprechende erste Vorschrift, »daß man des Jungen Geburt
Acht soll haben, in was Zeichen; — bitt Gott um eine glückhaftige Stunde«, als auch für die nächste, »daß man seiner
Geschtalt und Gliedmaß Acht nehm«, ausdrücklich versprochen werden. Aber zur Genüge erhellt die Absicht des Autors,
darin eingehender darzulegen, welche Schlüsse auf die Veranlagung eines Menschen sich einmal aus dem seine
Nativität beherrschenden Gestirne, dann aber auch aus dem an der Proportion seines Körpers erkennbaren Tempe-
ramente ergeben. Um darüber aufzuklären, war aber Dürer selbstverständlich genötigt, Marsiglios Schilderungen von den
wunderbaren Kräften des dem Saturn unterworfenen, melancholischen Temperamentes im Zusammenhange mit den
Eigentümlichkeiten der übrigen ins Auge zu fassen. Es läßt sich nicht abstreiten, daß solche Erwägungen didaktischer
Tendenz an sich schon den Gedanken eingeben konnten, in einer Sinnbilderreihe die Eigenschaften der vier Kom-
plexionen zur Darstellung zu bringen. Dazu kommen die künstlerischen Anregungen, welche die Studien über die
menschliche Proportion mit sich brachten.

Seitdem der junge Dürer weder von Jacopo de' Barbari noch aus den Schriften der Alten näheren Aufschluß
über »diemenschliche Maaß« hatte erlangen können, war für seine eigene Forschung die Lehre von den Tempera-
menten der gegebene Ausgangspunkt. Aus jedem Königspergerschen Kalender konnte er schon entnehmen, daß »beim
Colericus der Oberteil seines leibs größer denn der unter ist,« oder daß »der Flegmaticus vil Flaisch« und »kleine Augen«
hat. Die Schriften der »Fisycy«, bei deren Auswahl und Lesen wohl Pirckheimer seinem im Latein nicht sonderlich
bewandertenFreundegeholfenhat, vermittelten die tieferen Kenntnisse; auf ihrem »Bericht« beruht der oft wiederholte
Ausspruch: »wir haben mancherlei Gestalt der Menschen, Ursach der vier Complexen.«3 Es ist hier nicht der Ort,
den Lehrbüchern im einzelnen nachzuspüren, die Dürer benutzte. Sicherlich zog er die naturwissenschaftlichen
Werke des Albertus Magnus zu Rate, dessen Bild er dem befreundeten Celtis ja auch gezeichnet hat. Der von Albertus
auf Empedokles zurückgeführte Satz, daß jede Form eines Lebewesens nichts anderes als eine Harmonie der
Mischungen ist, die aus der Zahl und der Proportion der einfachen Bestandteile resultieren, mag sich in Dürers Geist
mit den Vorstellungen eines Luca Paciuoli verbunden haben, als er in einem frühen Entwürfe seiner Proportionslehre
schrieb: »ich will aus Maaß, Zahl und Gewicht mein Fürnehmen anfohen.«* Sein Wissen über die Kennzeichen der
einzelnen Komplexionen erweiterte er aus medizinischen Quellen; so enthalten die Lehren des damals immer noch
hochgeschätzten, arabischen Arztes Rhazes über die Farbe, die Formen, die Maße der einzelnen Temperamente und

1 Dies die Ansicht Webers a. a. 0., S. 71 und 85.

2 Vgl. Josef Heller, Das Leben und die Werke Albrecht Dürers, Bd. II., S. 470. Heller weiß bereits, daß Zauberquadrate bei Cornelius
Agrippa und Paracelsus vorkommen, vermag jedoch nicht ihre astrologische Bedeutung bei der Auslegung des Stiches zu verwerten.

s Vgl. Lange und Fuhse a. a. 0.. S. 290, 299, 303, 306.

4 Vgl. besonders Albertus Magnus in Animalium lib.XX, de natura corporum animalium, tract. I de his, quae constituunt corpus, cap. X de
ratione, secundum quam perficitur mixtura corporum animalium. Dort heißt es: »Oportet autem mixturam esse secundum rationem et proportionem,

ut bene dicit Empedocles. . . . Hanc enim rationem et proportionem Pythagoras numerum vocavit, quo elementa ligantur in mixto......Opinati

sunt non esse aliquam formam rerum nisi harmoniam mixtorum, quae resultant ex numero et proportione eorum simplicium, quae componuntur et
conveniunt in mixto.« Den Dürer-Ausspruch vgl. bei Lange und Fuhse a.a.O., S. 316. Dort äußert sich auch Dürer über die verschiedenen
Proportionen, welche die Alten dem Jupiter, dem Apollo, der Venus und dem Herkules beilegten. Da für den Humanisten die antiken Götter,
wie Bezold feinsinnig bemerkt, reale Mächte waren, soweit sie sich mit den Gestirnen deckten, bekommt man eine Vorstellung von den
verschiedenen Maßen, die ihnen Dürer zugeschrieben haben wird, wenn man die Identifizierung der Temperamente mit den einzelnen Planeten
beachtet.
 
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