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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.4249#0006
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nach Weichheit der Formengebung ableiten lassen. Die venezianische Kupferstichtechnik des XV. Jahrhunderts
charakterisiert sich, besonders im Gegensatz zur florentinischen, durch eine große Sorgfalt und Regelmäßigkeit der
Linienbildung, durch Reinheit und Schärfe der Umrißlinien und durch große Zartheit und Feinheit der Schrasfierungen,
die klar und sicher in ganz gleichen Abständen eng nebeneinander gezogen sind. Diese Massen gerader, feiner
Striche, die senkrecht oder schräg gegen den Umriß laufen und in den tieferen Schatten durch schräg sie schneidende
Kreuzlagen verstärkt werden, wirken an sich schon fast dekorativ und geben den Formen mehr Kolorit als Plastik.
Auch die Details, wie Haare, Pflanzen und dergleichen, sind durch ganz klare und gleichmäßige, fast schematische
Linienbildungen angedeutet. Oft erzeugt diese Präzision der Strichführung eine gewisse Steifheit und übermäßige
Stilisierung der Formen, andrerseits aber auch den Reiz der Zierlichkeit und anmutiger Schmuckwirkung.
Die ältesten uns erhaltenen Denkmäler des venezianischen Kupferstichs dürfen wir in einigen Blättern sehen,
die stilistisch den Gemälden des ältesten der Muranesen Antonio Vivarini unmittelbar an die Seite gestellt werden
können. Diese Verwandtschaft der Formen ist besonders auffällig in einer Madonna mit Heiligen, die vor einer
Reihe von Jahren in der Biblioteca Marciana zu Venedig in einem Exemplar der 1496 in Venedig von Johannes
Rubeus gedruckten Epistolae S. Hieronymi aufgefunden worden ist.1 (Abbildung Seite 3.) Die thronende Madonna hält
auf dem linken Knie ein aufgeschlagenes Buch mit den Worten: »Ego Mater pulcre dilectionis Et.« und setzt der links
neben ihr knienden heiligen Agate die Krone aufs Haupt. Zu ihren Seiten stehen hinter und neben ihr links Hieronymus
und Dominicus (?), rechts Thomas von Aquino (?) und Sebastian, der ein Schriftband hält. Vorn zu Füßen der Madonna
sitzt das Christkind auf einem Kissen und steckt der zur Linken knienden heiligen Katharina den Ring an den Finger,
während es mit der Rechten einen Strauß, den ihm ein Engelchen reicht, entgegennimmt. Ganz vorn sitzen links und
rechts vier Engel. Das Größenverhältnis der Personen ist ganz naiv ihrer Bedeutung nach abgestuft, die Heiligen neben
der Madonna sind kleiner gebildet als diese, noch kleiner die beiden weiblichen Heiligen, und die Engel wieder kleiner
als das Christkind. In dieser mehr idyllischen als hieratischen Komposition gemahnen viele reizvolle Züge anmutiger
Vertraulichkeit an deutsche, mittelrheinische und kölnische Bilder aus dem Anfang des XV. Jahrhunderts.
In den runden, vollen Gesichtern mit den kurzen, geraden Nasen, dem weichen, mildtraurigen Ausdruck, wird
man leicht alte Bekannte aus den Gemälden Antonio Vivarinis und seines Genossen Johannes de Alemania wieder-
erkennen. Den Typus der Madonna finden wir zum Beispiel in dem großen Triptychon der Venezianer Akademie
von 1446 und in dem Allerheiligenbild in S. Pantaleone von 1444 wieder, ebenso schlagende Analogien für die
weiblichen Heiligen, für den alten bärtigen Hieronymus und für den jugendlichen Sebastian (zum Beispiel in dem
Heiligen rechts in dem Altarbild mit S. Sabina in S. Zaccaria) und auch für die Engel. Wichtig für diese Vergleichung
ist auch die Form der breiten, dicken Hände, mit den kurzen, zugespitzten Fingern. Schließlich mag auch noch auf
den gleichen Charakter der Gewandbehandlung, auf die reiche Verzierung des Brokatmantels der Madonna, auf die
weichlich runden, im Kupferstich allerdings manchmal etwas steif geratenen Falten hingewiesen werden.
Irgend eine persönliche Beziehung Antonio Vivarinis oder seines Genossen zu dem Kupferstiche läßt sich aus
dieser Verwandtschaft natürlich nicht folgern, wohl aber beweist sie, daß der älteste venezianische Kupferstich sich
unmittelbar an die Werke der Muraneser Malerschule, die in den Vierzigerjahren des XV. Jahrhunderts enstanden
sind, anschließt, daß also auch hier wie in Florenz der Kupferstich in engster Beziehung zur Malerei steht.
Eine Arbeit ganz gleichen Stils, eine große Darstellung der sieben Todsünden, die uns leider nur in zwei
späten Abdrücken erhalten ist,3 hat eine besondere Wichtigkeit, weil unter den Beischriften sich einige in unzweifelhaft
venezianischem Dialekt befinden. In der Mitte sitzt Regina Superbia mit Hörnern und Krone, einen Löwen im Schöße
haltend, unter einem Baume. Links von ihr sitzen drei, rechts vier kleiner gebildete, in Profil dargestellte Frauen, die
sieben Todsünden, die in der Rechten Schilde mit Tierköpfen, in der Linken große Zweige mit Inschriften halten. Zahl-
reiche Beischriften an den Seiten und unten (»Tre cason overo modi del pecare.....«). Der Technik und den Formen
nach gehört in diese Gruppe auch der Liebesbrunnen der Kupferstichsammlung zu Bassano. Ein Jüngling und ein
Mädchen sitzen musizierend links und rechts von einem reich verzierten Brunnen, an dem Putten Wasser spendend



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> Hain 8563. C. Castellani hat einen Lichtdruck dieses Stichs, den er für einen Holzschnitt hielt, im Jahre 1888 mit einer Rundfrage an die
Kundigen ausgesandt. Hirth und Muther haben das Blatt ebensalls irrtümlich für einen Holzschnitt angesehen und in ihren Meisterwerken des
Holzschnitts auf Tafel XXX verkleinert abgebildet. Siehe auch Lehrs, Archivio storico dell' arte, II, Seite 166 und Schreiber, Manuel de l'amateur de
la grav. s. bois, I, (1891) Nr. 1167. — Der Stich, dessen oberster Teil, wohl zwei die Madonna krönende Engel, abgeschnitten ist, mißt 250X1"9»""-
Er ist auf der inneren Seite des Vorderdeckels des alten Einbands ausgeklebt. Das Buch stammt nach der Inschrift aus dem Kloster von S. Michele
zu Murano. Die Schrist auf dem Buche, das die Madonna hält, ist gestochen, die Unterschrift auf ein Untersatzblatt des Kupferstichs geschrieben.
Das Blatt war also schon beschädigt und aufgelegt, als es in das Buch eingefügt wurde. Die Platte, von der der Abdruck genommen wurde, war
schon stark ausgedruckt, so daß die seinen Schrasfierungen bereits fast verschwunden waren. Die Umrisse sind ganz fein und scharf ausgedruckt,
aber mit der Feder verstärkt. Der Boden ist blau koloriert, die Blumen auf dem Mantel der Madonna gelb, ebenso die Heiligenscheine und die Ärmel
der Heiligen links, andere Gewänder grauviolett.
2 Das Blatt ist unbeschrieben, es mißt 460 : 302 mm. Beide mir bekannten Exemplare, sowohl das der Ufsizi in Florenz wie das im Besitze
von Baron Edmond de Rothschild in Paris, tragen die Adresse des venezianischen Stechers und Verlegers Nicolö Nelli (N N exe. 1569). Die Platte
war noch ziemlich gut erhalten, aber hie und da retuschiert.

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