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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.4249#0013
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guten Abdrücken viel Grat haben, in den späteren aber fast ganz verschwinden. Die geraden, meist kurzen Strichelchen
sind sehr unregelmäßig geführt und laufen häufig über die Umrißlinien hinaus, die einander schneidenden Lagen
sind ungleichmäßig stark, so daß sie einander nicht zu verstärken, sondern zu übertönen scheinen.
Diese Technik hat im System große Ähnlichkeit mit der florentinischen, sogenannten feinen Manier. Die Massen
der Schraffierungen verschlimmern zu Tönen, die aber hier nicht wie in den guten Florentiner Arbeiten weich und
farbig, sondern nur fleckig und unsauber wirken. Dazu kommt noch, daß die Platten fast immer mit einer schwarzen,
harten Farbe abgedruckt sind, und daß gute Abdrücke dieser überhaupt weniger häufigen Folge nur sehr selten vor-
kommen. Die Platten scheinen später aufgearbeitet worden zu sein. Es ist ohne Zweifel hauptsächlich dieser uner-
freuliche Eindruck der stecherischen Ausführung, der der S-Folge eine durchgehends ungünstige Beurteilung von
seiten der Kritiker, mit Ausnahme von Bartsch, der in der Wiener Hofbibliothek ein sehr gutes Exemplar vor sich
sah, eingetragen hat. Sie ist jedenfalls schnell durch die anmutigere E-Folge verdrängt worden, nach der fast alle
Kopien und Nachbildungen der Figuren hergestellt worden sind.
Im Gegensatz zur S-Folge sind die Stiche der E-Folge mit peinlicher Sauberkeit und Sorgfalt, mit großer tech-
nischer Geschicklichkeit ausgeführt. Alle Linien sind ganz gleichmäßig fein und sehr scharf und tief eingegraben, so
daß die Striche klar voneinander gesondert bleiben. Die Umrisse sind äußerst zart und kontrastieren nicht wie in der
S-Folge mit den Schattenlinien, sondern verbinden sich mit ihnen zu harmonischen, zart verlaufenden Tönen. Die
meist kurzen, geraden Schraffierungen sind schräg gegen den Umriß oder gegen die Lichter gestellt und durch eine
Querlage, in den tiefen Schatten sogar noch durch eine dritte Lage verstärkt. Diese Technik ist, wie man schon aus
dieser Charakteristik entnehmen können wird, eine Weiterbildung, die Vollendung der eigentümlichen venezianischen
Stechweise, wie wir sie aus den oben angeführten ältesten Arbeiten, der Madonna der Marciana, den sieben Tod-
sünden in Florenz und den anderen verwandten Stichen kennen gelernt hatten. Die Präzision und die regelmäßige
Glätte der Strichbildung erzeugt eine gewisse Härte und Steifheit der Formen, aber auch eine höchst ansprechende
ornamentale Wirkung, die durch den zarten grau-grünlichen Farbton, mit dem alle bekannten Exemplare dieser Stich-
folge gedruckt sind, noch gesteigert wird. Sehr häufig sind einzelne Teile, besondärs die Ornamente, mit einem
matten Goldton gehöht. Die zierliche Anmut der Formen und die dekorative Wirkung der Blätter rechtfertigt die
Beliebtheit, deren sich diese elegantesten aller italienischen Kupferstiche des XV. Jahrhunderts erfreuen.
Es ist sehr schwer, aus den komplizierten Verhältnissen, die sich aus den angeführten Tatsachen und Beob-
achtungen ergeben, sich eine bestimmte Vorstellung über die Entstehung der beiden Kupferstichfolgen zu bilden.
Der nicht venezianische Stecher der S-Folge kann, wie aus den obigen Darlegungen hervorgeht, nicht nach der
E-Folge kopiert haben, sondern muß selbständig nach seiner Vorlage gearbeitet haben. Da seine Bilder in den
Formen und besonders in der Landschaft viele unvenezianische Elemente enthalten, so kann ihm nicht das ohne
Zweifel venezianische Urbild der Figurenreihe vorgelegen haben, sondern eine Umarbeitung, die von einem Künstler
der umbro-florentinischen Schule oder aus den Marken herrührte, wenn er es nicht selber gewesen ist, der diese
Umgestaltung der venezianischen Zeichnungen vorgenommen hat. Der Meister der E-Folge, der sicher ein Venezianer
war und der Stilrichtung des Bartolommeo Vivarini angehört haben muß, könnte nach dem oben Gesagten wohl die
S-Folge selber, mit Ausnahme des Königs, für den er eine andere Zeichnung wählte, sich zum Vorbild genommen
haben. Mißverständnisse in Einzelheiten, auf die oben hingewiesen wurde, besonders der Irrtum in der Numerierung
der Astrologia, würden hierfür sprechen. Er hat dann gegenseitig gestochen, wie das ja für ihn am bequemsten war,
und nur die Figuren oder Teile von Figuren, die er mit der Rechten agierend darstellen mußte, rechtseitig wieder-
gegeben. Wir haben seine Methode besonders deutlich an dem »Artixan« feststellen können. Wie er überhaupt
sehr sauber und sorgsam arbeitet, so hat er auch auf die äußere Richtigkeit in der Darstellung der Bewegungen
großen Wert gelegt und Irrtümer, die dem Stecher der S-Folge unterlaufen waren (zum Beispiel in der
»Musicha«) berichtigt. Natürlich hat er den Stil der Vorlage in die ihm geläufige Formensprache abgewandelt,
also sozusagen das in einen fremden Dialekt übertragene venezianische Urbild wieder in das Venezianische zurück-
übersetzt.
Es ist nun aber auch sehr wohl möglich, vielleicht sogar wahrscheinlicher, daß der venezianische Stecher nicht
nach den Stichen der S-Folge, sondern unabhängig von ihnen nach derselben Vorlage oder einer genauen Kopie
gearbeitet habe. Er ist dann bei der Übertragung der Zeichnungen verhältnismäßig frei verfahren und hat, im Gegen-
satz zu dem Stecher der S-Folge, die Umkehrung der Darstellungen für den Abdruck nur da vorgenommen, wo sie für
die richtige Wiedergabe der darzustellenden Aktion unbedingt erforderlich war. Für die Figur des Königs und für die
Arithmetica muß er aber andere Vorlagen als die der S-Folge gehabt oder sich verschafft haben. Ein zwingender
Beweis läßt sich aber vorläufig weder für die eine noch für die andere Annahme führen.
Es muß zugegeben werden, daß diese Erklärung einen etwas komplizierten Vorgang voraussetzt. In der Wirk-
lichkeit verwickeln sich ja aber die Dinge häufig viel mehr, als die Theorie, die von allgemeinen Regeln ausgeht, wahr
haben will. Um das Eindringen unvenezianischer Elemente, besonders der Landschaft, in die E-Folge zu erklären,
wird man jedenfalls kaum umhin können, als Mittelglied zwischen dem vorauszusetzenden venezianischen Urbild

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