Typisch für Scorel ist ferner die Anordnung
der reichen und tiefen Landschaft mit dem
waldigen Mittelgrund und dem zerklüfteten
Gebirge, das hinter burggekrönten Hügelketten
aufsteigt. Den großen aus dem Vordergrund
aufsteigenden Baum mit dem sich drehenden
Stamm, dessen Oberfläche durch Astlöcher
belebt wird, verwendet Scorel ebenfalls sehr
gerne, z. B. auf der Amsterdamer Magdalena
und dem Porträt des Van der Dussen in Berlin;
das ähnlichste Beispiel bietet wieder die
Haarlemer Taufe. Auch alle Charakteristika
der ScorelschenFiguren sind auf unseremBlatt
zu finden, so die gebückte Haltung und der
schleichende Tritt, die häufige Verwendung
des Profils, die Gesten der Hände, die starke
Betonung der Gelenke und das Sichtbar-
werden der Ohren.
An die Budapester Zeichnung läßt sich
stilistisch vor allem eine zweite anfügen. Es
ist die Vorzeichnung zu einer runden Glas-
scheibe in der Universitätsbibliothek zu Er-
langen, die dort der späteren fränkischen
Schule zugeschrieben wird (Abb. 3). Das mit
der Feder ausgeführte, mit dem Pinsel ge-
tuschte Blatt, dessen Papier das Wasser-
zeichen einer Hand mit einem Kreuz darüber
aufweist, miß: ungefähr 27'5 cm im Durch-
messer. Dargestellt ist die Verfolgung eines
Frauenräubers, deren mythologische Deutung
immerhin Schwierigkeiten bietet. Die bogenschießende Hauptperson würde gut auf Herakles passen. In diesem Falle
könnte der Räuber nur Nessus, die Geraubte nur Dejanira sein. Für diese Lesung spräche auch der Umstand, daß der
Raub und seine auf dem Fuße folgende Bestrafung während der Übersetzung eines Gewässers stattfindet. Freilich war
Nessus Kentaur, und seine Wiedergabe als einfach menschlich gebildeter Fährmann wäre mehr im Sinne der naiven
Illustrationskunst des XV. Jahrhunderts als in dem des ehemaligen Direktors der päpstlichen Antikensammlungen
gelegen. Die zeichnerischen Konturen des Blattes haben sehr gelitten, da sie zwecks der Übertragung der Zeichnung
auf die Glasscheibe mit einer Nadel in engen Zwischenräumen durchstochen wurden. Es läßt sich daher auch schwer
feststellen, ob wir das Original oder eine genaue Nachzeichnung vor uns haben. Daß aber Scorel als Schöpfer des
Originalentwurfs angesehen werden kann, beweist die Zeichnung der Profile, der Augen, Barte und Haarmassen,
beweist die Führung der lebhaft bewegten Konturen sowohl bei den Figuren wie in der Landschaft.
In der Münchener graphischen Sammlung wird Jan van Scorel eine lavierte Bisterzeichnung auf hellbraunem
Papier zugeschrieben (Abb. 4). Dargestellt ist das Abendmahl Christi. Das ungleich beschnittene Blatt mißt rechts
24'1 cm, links 24'3 cm in der Höhe und oben 28'9 cm, unten 287 cm in der Breite. Die Signatur am unteren
Rande: Jan Schore ist falsch. Manche sehr charakteristische Züge, wie den allgemeinen Duktus der Profile, wie die
Durchzeichnung der Beine durch das Gewand und die starke Betonung der Fußknöchel hat das Münchener Blatt mit
dem Budapester völlig gemeinsam. Die perspektivisch wenig gelungene Raumbildung, die schlecht und doch ängstlich
gezeichnete Architektur, das Übermaß an Bewegung zum Zwecke stärkeren psychischen Ausdruckes, die Gleichförmig-
keit der Figuren, die recht konventionelle Anordnung der Faltenmassen scheinen mir es aber nicht auszuschließen,
daß die Zeichnung von einem anonymen Schüler Scorels stammt, der dem Meister selbst sehr nahe kommt.
Ebenfalls nur der Richtung Scorels gehört eine Zeichnung des Boymans-Museums in Rotterdam an, die Berufung,
Petri am See Genezareth (Abb. 5). Eine Photographie dieses Blattes machte mir der Direktor des Museums Herr
Schmidt-Degener zum Geschenk. Er hatte auch die Liebenswürdigkeit, mir mitzuteilen, daß das Wasserzeichen des
Originalpapiers nur mehr äußerst undeutlich zu sehen sei und daß das Blatt zweimal »Schorel« bezeichnet ist,
einmal mit Buchstaben aus dem XVII. oder dem Ende des XVI. Jahrhunderts. Im Katalog der Ausstellung früh-
holländischer Malerei in Utrecht (1913) schreibt Beets das Blatt derselben Hand zu wie eine gemalte Darstellung
desselben Gegenstandes im Besitze des Herrn van Riemsdijk, ja im Juliheft 1914 von L'art flamand et hollandais
!(?),
Weibliches Bildnis. Gewis
Kgl. KupferstichUabinett.
Mchnuntr. Be
der reichen und tiefen Landschaft mit dem
waldigen Mittelgrund und dem zerklüfteten
Gebirge, das hinter burggekrönten Hügelketten
aufsteigt. Den großen aus dem Vordergrund
aufsteigenden Baum mit dem sich drehenden
Stamm, dessen Oberfläche durch Astlöcher
belebt wird, verwendet Scorel ebenfalls sehr
gerne, z. B. auf der Amsterdamer Magdalena
und dem Porträt des Van der Dussen in Berlin;
das ähnlichste Beispiel bietet wieder die
Haarlemer Taufe. Auch alle Charakteristika
der ScorelschenFiguren sind auf unseremBlatt
zu finden, so die gebückte Haltung und der
schleichende Tritt, die häufige Verwendung
des Profils, die Gesten der Hände, die starke
Betonung der Gelenke und das Sichtbar-
werden der Ohren.
An die Budapester Zeichnung läßt sich
stilistisch vor allem eine zweite anfügen. Es
ist die Vorzeichnung zu einer runden Glas-
scheibe in der Universitätsbibliothek zu Er-
langen, die dort der späteren fränkischen
Schule zugeschrieben wird (Abb. 3). Das mit
der Feder ausgeführte, mit dem Pinsel ge-
tuschte Blatt, dessen Papier das Wasser-
zeichen einer Hand mit einem Kreuz darüber
aufweist, miß: ungefähr 27'5 cm im Durch-
messer. Dargestellt ist die Verfolgung eines
Frauenräubers, deren mythologische Deutung
immerhin Schwierigkeiten bietet. Die bogenschießende Hauptperson würde gut auf Herakles passen. In diesem Falle
könnte der Räuber nur Nessus, die Geraubte nur Dejanira sein. Für diese Lesung spräche auch der Umstand, daß der
Raub und seine auf dem Fuße folgende Bestrafung während der Übersetzung eines Gewässers stattfindet. Freilich war
Nessus Kentaur, und seine Wiedergabe als einfach menschlich gebildeter Fährmann wäre mehr im Sinne der naiven
Illustrationskunst des XV. Jahrhunderts als in dem des ehemaligen Direktors der päpstlichen Antikensammlungen
gelegen. Die zeichnerischen Konturen des Blattes haben sehr gelitten, da sie zwecks der Übertragung der Zeichnung
auf die Glasscheibe mit einer Nadel in engen Zwischenräumen durchstochen wurden. Es läßt sich daher auch schwer
feststellen, ob wir das Original oder eine genaue Nachzeichnung vor uns haben. Daß aber Scorel als Schöpfer des
Originalentwurfs angesehen werden kann, beweist die Zeichnung der Profile, der Augen, Barte und Haarmassen,
beweist die Führung der lebhaft bewegten Konturen sowohl bei den Figuren wie in der Landschaft.
In der Münchener graphischen Sammlung wird Jan van Scorel eine lavierte Bisterzeichnung auf hellbraunem
Papier zugeschrieben (Abb. 4). Dargestellt ist das Abendmahl Christi. Das ungleich beschnittene Blatt mißt rechts
24'1 cm, links 24'3 cm in der Höhe und oben 28'9 cm, unten 287 cm in der Breite. Die Signatur am unteren
Rande: Jan Schore ist falsch. Manche sehr charakteristische Züge, wie den allgemeinen Duktus der Profile, wie die
Durchzeichnung der Beine durch das Gewand und die starke Betonung der Fußknöchel hat das Münchener Blatt mit
dem Budapester völlig gemeinsam. Die perspektivisch wenig gelungene Raumbildung, die schlecht und doch ängstlich
gezeichnete Architektur, das Übermaß an Bewegung zum Zwecke stärkeren psychischen Ausdruckes, die Gleichförmig-
keit der Figuren, die recht konventionelle Anordnung der Faltenmassen scheinen mir es aber nicht auszuschließen,
daß die Zeichnung von einem anonymen Schüler Scorels stammt, der dem Meister selbst sehr nahe kommt.
Ebenfalls nur der Richtung Scorels gehört eine Zeichnung des Boymans-Museums in Rotterdam an, die Berufung,
Petri am See Genezareth (Abb. 5). Eine Photographie dieses Blattes machte mir der Direktor des Museums Herr
Schmidt-Degener zum Geschenk. Er hatte auch die Liebenswürdigkeit, mir mitzuteilen, daß das Wasserzeichen des
Originalpapiers nur mehr äußerst undeutlich zu sehen sei und daß das Blatt zweimal »Schorel« bezeichnet ist,
einmal mit Buchstaben aus dem XVII. oder dem Ende des XVI. Jahrhunderts. Im Katalog der Ausstellung früh-
holländischer Malerei in Utrecht (1913) schreibt Beets das Blatt derselben Hand zu wie eine gemalte Darstellung
desselben Gegenstandes im Besitze des Herrn van Riemsdijk, ja im Juliheft 1914 von L'art flamand et hollandais
!(?),
Weibliches Bildnis. Gewis
Kgl. KupferstichUabinett.
Mchnuntr. Be