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Abb. 1. Exercitium.
Abb 2. Meister von Flemalle.
Abb. 3 Nach dem Meister von Flemalle.
trage; eine Behauptung, die wir wohl in den Bereich der kunstgeschichtlichen Märchen verweisen dürfen. Im
gleichen Jahre wie Bouchots Ancetre erschien der vierte Band von Schreibers Manuel .' Der Verfasser hat
hier wie schon in einer früheren Arbeit'2 den von Dutuit gebahnten Weg verlassen und die Datierung auf, ja
über 1460 hinaufgerückt; die hiefür geltend gemachten Gründe sind durchaus hinfällig. Kristeller11 endlich
publizierte die acht Blätter in einer mustergültigen Faksimileausgabe und stellte in einer knapp gehaltenen
Einleitung den künstlerischen Charakter fest, wobei der Stil der älteren niederländischen Malerei in ihnen erkannt
und ein kurzer Hinweis auf die Werke des .Meisters von Flemalle und die frühen Arbeiten Rogers van der Weyden
gegeben wurde. Im Hinblick auf die Kostüme und technische Besonderheiten datierte er die Arbeiten in das
zweite Viertel des XV Jahrhunderts. So war zum erstenmal der Stil der Schnitte mit frühen Werken der nieder-
ländischen Malerei andeutungsweise in Verbindung gebracht worden. Im einzelnen die Fäden aufzudecken, welche
das Kxercitium mit der Kunst seiner Zeit verbinden, und so die Teilnahme des frühesten Holzschnittes an der
Gesamtentwicklung der künstlerischen Ausdrucksformen festzustellen, mußte eine neue Untersuchung erfordern.1
Sie schien um so dankbarer, als mit der kunstgeschichtlichen Festlegung des Exercitium die ersten Anfänge
niederländischer Illustration ihre Klärung erfahren.5
Das Verhältnis des Exercitium zur Malerei stellt sich dem einsichtigen Betrachter schon nach kurzem
Durchblattern der wenigen Seiten so dar, daß allgemeine Beziehungen zu den niederländischen Künstlern der
ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts gegeben sind. Zu van Eyck sind diese auch kaum über den allgemeinen
Charakter hinauszubringen. Die Gemeinsamkeit liegt in der massiven Fülle und dem Ernst der Figuren. Man
kann immerhin auf Einzelnes hinweisen, wie Gottvater von der ersten Exercitium-Darstellung und der Johannes
vom Genter Altar oder Gottvater vom zweiten Exercitium-Bilde und jener vom Genter Altar in der würdevollen
Gesamthaltung übereinstimmen; wie die Arme ähnlich aus dem Mantel hervortauchen, der gleicherweise von
einer Schließe zusammengehalten ist; auch wie die Engel im Exercitium wie bei Eyck von einer gewissen
Erdenschwere belastet scheinen und nichts von graziöser Schlankheit besitzen. Sodann ist der Innenraum auf
der ersten Darstellung des Exercitium dem Raum der Verkündigung auf dem Genter Altar zu vergleichen. Die
glatte schräge Seitenwand, die Holzdecke und der Fliesenboden, ihre perspektivische Anordnung, wobei der
Horizont im obersten Bilddrittel liegt, sowie das Verhältnis der massigen, zu großen Figuren zum Kaume sind
als Übereinstimmungen zu notieren. Doch all' das vermag mehr für eine ungefähr gleichzeitige Entstehung zu
1 Manuel de l'amateur de la gravure sur bois. IV, Berlin 1902.
- Darf der Holzschnitt als Vorläufer der Buchdruckerkunst betrachtet werden? Centralblatt für Bibliothekswesen, XII, 1898.
1 Exercitium super pater noster. VI. Veröffentlichung der Graphischen Gesellschaft. Berlin 1008.
i Auf die Beschreibung der Darstellungen wie der technischen Eigentümlichkeiten der Schnitte verzichte ich aul Grund der vorliegenden
Arbeiten.
6 Im Verlaufe der lulgendcn Arbeit werden Weike aus den verschiedenen Gebieten der künstlerischen Betätigung zusammengehalten.
Bei den völlig verschiedenartigen Voraussetzungen etwa eines Holzschnittes und einer plastischen Schöpfung stellen sich den Parallelsetzungen
prinzipielle Schwierigkeiten entgegen. Es kommt dazu, daß che gegenübergestellten Werke verschieden an künstlerischem Rang sind. Der Versuch
wird gewagt, da das einzelne Werk nui ;iis Stilaußerung herangezogen und
Abb. 1. Exercitium.
Abb 2. Meister von Flemalle.
Abb. 3 Nach dem Meister von Flemalle.
trage; eine Behauptung, die wir wohl in den Bereich der kunstgeschichtlichen Märchen verweisen dürfen. Im
gleichen Jahre wie Bouchots Ancetre erschien der vierte Band von Schreibers Manuel .' Der Verfasser hat
hier wie schon in einer früheren Arbeit'2 den von Dutuit gebahnten Weg verlassen und die Datierung auf, ja
über 1460 hinaufgerückt; die hiefür geltend gemachten Gründe sind durchaus hinfällig. Kristeller11 endlich
publizierte die acht Blätter in einer mustergültigen Faksimileausgabe und stellte in einer knapp gehaltenen
Einleitung den künstlerischen Charakter fest, wobei der Stil der älteren niederländischen Malerei in ihnen erkannt
und ein kurzer Hinweis auf die Werke des .Meisters von Flemalle und die frühen Arbeiten Rogers van der Weyden
gegeben wurde. Im Hinblick auf die Kostüme und technische Besonderheiten datierte er die Arbeiten in das
zweite Viertel des XV Jahrhunderts. So war zum erstenmal der Stil der Schnitte mit frühen Werken der nieder-
ländischen Malerei andeutungsweise in Verbindung gebracht worden. Im einzelnen die Fäden aufzudecken, welche
das Kxercitium mit der Kunst seiner Zeit verbinden, und so die Teilnahme des frühesten Holzschnittes an der
Gesamtentwicklung der künstlerischen Ausdrucksformen festzustellen, mußte eine neue Untersuchung erfordern.1
Sie schien um so dankbarer, als mit der kunstgeschichtlichen Festlegung des Exercitium die ersten Anfänge
niederländischer Illustration ihre Klärung erfahren.5
Das Verhältnis des Exercitium zur Malerei stellt sich dem einsichtigen Betrachter schon nach kurzem
Durchblattern der wenigen Seiten so dar, daß allgemeine Beziehungen zu den niederländischen Künstlern der
ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts gegeben sind. Zu van Eyck sind diese auch kaum über den allgemeinen
Charakter hinauszubringen. Die Gemeinsamkeit liegt in der massiven Fülle und dem Ernst der Figuren. Man
kann immerhin auf Einzelnes hinweisen, wie Gottvater von der ersten Exercitium-Darstellung und der Johannes
vom Genter Altar oder Gottvater vom zweiten Exercitium-Bilde und jener vom Genter Altar in der würdevollen
Gesamthaltung übereinstimmen; wie die Arme ähnlich aus dem Mantel hervortauchen, der gleicherweise von
einer Schließe zusammengehalten ist; auch wie die Engel im Exercitium wie bei Eyck von einer gewissen
Erdenschwere belastet scheinen und nichts von graziöser Schlankheit besitzen. Sodann ist der Innenraum auf
der ersten Darstellung des Exercitium dem Raum der Verkündigung auf dem Genter Altar zu vergleichen. Die
glatte schräge Seitenwand, die Holzdecke und der Fliesenboden, ihre perspektivische Anordnung, wobei der
Horizont im obersten Bilddrittel liegt, sowie das Verhältnis der massigen, zu großen Figuren zum Kaume sind
als Übereinstimmungen zu notieren. Doch all' das vermag mehr für eine ungefähr gleichzeitige Entstehung zu
1 Manuel de l'amateur de la gravure sur bois. IV, Berlin 1902.
- Darf der Holzschnitt als Vorläufer der Buchdruckerkunst betrachtet werden? Centralblatt für Bibliothekswesen, XII, 1898.
1 Exercitium super pater noster. VI. Veröffentlichung der Graphischen Gesellschaft. Berlin 1008.
i Auf die Beschreibung der Darstellungen wie der technischen Eigentümlichkeiten der Schnitte verzichte ich aul Grund der vorliegenden
Arbeiten.
6 Im Verlaufe der lulgendcn Arbeit werden Weike aus den verschiedenen Gebieten der künstlerischen Betätigung zusammengehalten.
Bei den völlig verschiedenartigen Voraussetzungen etwa eines Holzschnittes und einer plastischen Schöpfung stellen sich den Parallelsetzungen
prinzipielle Schwierigkeiten entgegen. Es kommt dazu, daß che gegenübergestellten Werke verschieden an künstlerischem Rang sind. Der Versuch
wird gewagt, da das einzelne Werk nui ;iis Stilaußerung herangezogen und