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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.3630#0033
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29 —

Abb. 13. Exercitium.

Abb. 14. Meister der Liebesgarten.

Abb. 15. Herkinbalt-Teppich (nach Roger van der
Weyden).

welche bestimmt in den Niederlanden gleichzeitig mit dem Exercitium entstanden, waren ebenso erfolglos wie die
Nachforschungen Kristellers in der gleichen Richtung.1 Es bleibt daher die Tatsache bestehen, daß das
Exercitium die früheste Phase des niederländischen Holzschnittes darstellt, daß dieser bei seinem
ersten Auftreten Außerordentliches bringt und daß er — soweit unsere Kenntnis reicht — eine für
sich abgeschlossene Stilstufe darstellt.-

Wenn sich für die Lokalisierung des Exercitium nun vieles dahin verdichtet hat, daß Tournai als Ent-
stehungsort in Betracht kommen könnte, so fehlt es doch an einem strikten Beweis hierfür. Urkundlich kommt
uns keine Notiz über die Tätigkeit von Holzschneidern daselbst zu Hilfe. Zu erwähnen ist schließlich noch ein
Moment, welches bisher unberücksichtigt geblieben ist: der Text. Die Sprache ist nicht die des alten Brabant oder
überhaupt ein Dialekt der südlichen Niederlande; sie ist vielmehr ausgesprochen nordniederländisch und weist
mit Entschiedenheit in das heutige Nordbrabant und Gelderland, also nach dem heutigen Holland.3 Es entsteht
somit ein Zwiespalt, welcher nicht ohne weiteres zu überbrücken ist, und es genüge die Feststellung eines nord-
niederländischen Elementes in jenen Blättern, deren Schnitte im Stilkreise des wallonischen Südens verankert
sind. Es mag hierbei erwähnt werden, daß das Exercitium mit dem Wenigen, was wir von der frühen Kunst
der Nordprovinzen kennen, nichts zu tun hat. Nahe läge es, in dem Künstler einen von jenen zu erblicken, die
damals den Norden verließen und dem brabantischen Kunstzentrum zuströmten. Doch schließen wir nicht mit
einer vagen Hypothese, sondern mit dem Resultat, daß wir das Exercitium in die Kunst der südlichen Nieder-
lande um 1430 eingestellt und damit die niederländische Holzschnittillustration auf eine breitere Basis gebracht
haben. Erwin Roseuthal.

1 Man vermißt vielleicht die Heranziehung der Apokalypse-Blockbücher, deren editio prineeps ohne Zweifel sehr früh anzusetzen ist. Sie Haben
zunächst keine stilistische Gemeinsamkeit mit dem Exercitium, scheinen mir aber auch sehr entschieden nach Frankreich zu klinieren. Wie ihre
Ikonographie in — wesentlich früheren — französischen Handschriften wurzelt, so hängen sie auch formal mit rein franzosischen Kunstwerken
zusammen. Auf ein näheres Eingehen, besonders auch auf die Datierung, verzichte ich um so mehr, als eine Spezialuntersuchung von berufener Hand
zu erwarten steht.

2 Im Anfang dieser Arbeit habe ich gesagt, daß ich auf die Technik der Schnitte nicht mehr eingehen werde. An dieser Stelle möchte ich nur
betonen, daß dieselben gerade technisch eine absolute Eigenstellung einnehmen. Es ist nicht nur wesentlich, daß jede Schraffenbildung fehlt; jeder
Strich hat eine merkwürdige Weichheit, etwas Lockeres und zur Rundung Neigendes. Manche Striche sehen geradezu aus, als ob sie mit dem
Pinsel gezogen wären.

a Die Untersuchung und Bestimmung des Dialektes verdanke ich Herrn Dr. Degering von der Königlichen Bibliothek in Berlin, der mich auch
sonst in der freundlichsten Weise unterstützte.



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