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Abb. 7 Jacopo Bellmi, Stigmatisation des heiligen Franz.
sind, stark vertieft. Die Konstruktion ist richtig, alle zur Bildfläche Senkrechten treffen sich in einem Punkte über dem
Haupte der Maria; die Architektur ist noch ziemlich einfach, um die Konstruktion nicht zu verwirren, doch schmückte
sie Jacopo durch die Verwendung von römischen Münzen als Medaillons.
Es erübrigt noch, ein Beispiel jener Architekturdarstellungen zu geben, bei denen weitestgehende Beherrschung
der Darstellung des Struktiven in der Architektur mit Leichtigkeit und Geschmack in der Verteilung der Massen und
einem erstaunlichen Reichtum an dekorativen und ornamentalen Einfällen verknüpft ist. Wir finden Jacrpos Freude an
den Stilarten aller Epochen, an gotischen Gewölben, am architravähnlichen Obergeschosse, an venezianischen
Fenstern und an Relief- und Statuenentwürfen nach der Antike. Venezianische Palastarchitektur, Bogengänge, die
Verwendung des so gründlich studierten Tonnenskeletts über einer Loggia und ein Ausblick auf die Bergkette im
Hintergrund, umrahmen drei Episoden aus der Geschichte des Herodes (Abb. 12, Band. II, 111.1
Jacopo Bellini hat, wie sich in seinen Zeichnungen zeigt, einen weiten Weg zurückgelegt, um schließlich eine
der größten Schwierigkeiten zu überwinden, die es für die Darstellung überhaupt gibt: die naturgemäße Raumgestaltung.
Es ist evident, daß er keine theoretischen Kenntnisse der Linearperspektive hatte. Die Quelle, aus der er sie hätte
schöpfen können, war ihm gewiß verschlossen. Denn wenn auch die Handschrift von L. B. Albertis »Tractat della
Pictura«2 um 1435 schon vollendet war, so war sie natürlicherweise nicht jedem zugänglich, der sich für die darin
behandelten Probleme interessierte. Die Art und Weise, wie sich Jacopo mit den perspektivischen Problemen aus-
einandersetzt, wie er durch Beobachtung fortschreitet und praktisch das Gesetz vom Hauptpunkt findet, zeigt ihn als
Autodidakten und praktischen Wissenschaftler, das heißt als einen Künstler, der durch Einzelbeobachtungen zum
Allgemeingiltigen gelangte. Es hätte seine Bestrebungen gewiß sehr gefördert, wenn er Albertis klare Ausführungen
gekannt hätte. Dies um so mehr, als Alberti unter Perspektive dasselbe verstand, was Jacopo unermüdlich bei jedem
Entwurf und dessen Ausgestaltung immer wieder suchte, die Perspektive eines Innenraumes, einer Architektur, eines
Stadtplatzes und eines Naturausschnittes, für deren richtige Darstellung die Kenntnis der beiden Grundgesetze der
Linearperspektive erforderlich ist. Das erste Gesetz vom Zusammentreffen aller auf die Bildfläche senkrechten Geraden
I Dagobert Frey würdigt in seiner Arbeit »Der Dom von Sebenico und sein Baumeister Giorgio Orsini< (Kunstgeschichtliches Jahrbuch der
Zentralkommission 1913, pag. 119) die Architekturzeichnungen des Jacopo Bellini, aus denen man den Umbildungsprozcß der Baukunst dieser Zeit
beurteilen könne.
- L. B. Albertis kleinere kunsttheuretische Schriften, von Janitschek herausgegeben: .Quellenschriften für Kunstgeschichte«, XI, Ein-
leitung, pag. 3.
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Abb. 7 Jacopo Bellmi, Stigmatisation des heiligen Franz.
sind, stark vertieft. Die Konstruktion ist richtig, alle zur Bildfläche Senkrechten treffen sich in einem Punkte über dem
Haupte der Maria; die Architektur ist noch ziemlich einfach, um die Konstruktion nicht zu verwirren, doch schmückte
sie Jacopo durch die Verwendung von römischen Münzen als Medaillons.
Es erübrigt noch, ein Beispiel jener Architekturdarstellungen zu geben, bei denen weitestgehende Beherrschung
der Darstellung des Struktiven in der Architektur mit Leichtigkeit und Geschmack in der Verteilung der Massen und
einem erstaunlichen Reichtum an dekorativen und ornamentalen Einfällen verknüpft ist. Wir finden Jacrpos Freude an
den Stilarten aller Epochen, an gotischen Gewölben, am architravähnlichen Obergeschosse, an venezianischen
Fenstern und an Relief- und Statuenentwürfen nach der Antike. Venezianische Palastarchitektur, Bogengänge, die
Verwendung des so gründlich studierten Tonnenskeletts über einer Loggia und ein Ausblick auf die Bergkette im
Hintergrund, umrahmen drei Episoden aus der Geschichte des Herodes (Abb. 12, Band. II, 111.1
Jacopo Bellini hat, wie sich in seinen Zeichnungen zeigt, einen weiten Weg zurückgelegt, um schließlich eine
der größten Schwierigkeiten zu überwinden, die es für die Darstellung überhaupt gibt: die naturgemäße Raumgestaltung.
Es ist evident, daß er keine theoretischen Kenntnisse der Linearperspektive hatte. Die Quelle, aus der er sie hätte
schöpfen können, war ihm gewiß verschlossen. Denn wenn auch die Handschrift von L. B. Albertis »Tractat della
Pictura«2 um 1435 schon vollendet war, so war sie natürlicherweise nicht jedem zugänglich, der sich für die darin
behandelten Probleme interessierte. Die Art und Weise, wie sich Jacopo mit den perspektivischen Problemen aus-
einandersetzt, wie er durch Beobachtung fortschreitet und praktisch das Gesetz vom Hauptpunkt findet, zeigt ihn als
Autodidakten und praktischen Wissenschaftler, das heißt als einen Künstler, der durch Einzelbeobachtungen zum
Allgemeingiltigen gelangte. Es hätte seine Bestrebungen gewiß sehr gefördert, wenn er Albertis klare Ausführungen
gekannt hätte. Dies um so mehr, als Alberti unter Perspektive dasselbe verstand, was Jacopo unermüdlich bei jedem
Entwurf und dessen Ausgestaltung immer wieder suchte, die Perspektive eines Innenraumes, einer Architektur, eines
Stadtplatzes und eines Naturausschnittes, für deren richtige Darstellung die Kenntnis der beiden Grundgesetze der
Linearperspektive erforderlich ist. Das erste Gesetz vom Zusammentreffen aller auf die Bildfläche senkrechten Geraden
I Dagobert Frey würdigt in seiner Arbeit »Der Dom von Sebenico und sein Baumeister Giorgio Orsini< (Kunstgeschichtliches Jahrbuch der
Zentralkommission 1913, pag. 119) die Architekturzeichnungen des Jacopo Bellini, aus denen man den Umbildungsprozcß der Baukunst dieser Zeit
beurteilen könne.
- L. B. Albertis kleinere kunsttheuretische Schriften, von Janitschek herausgegeben: .Quellenschriften für Kunstgeschichte«, XI, Ein-
leitung, pag. 3.