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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.3630#0053
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Abb. 8. Jacopo Bellini, Auferstehung Christi.

in einem Hauptpunkt (auch Augen- oder Fluchtpunkt genannt), fand er selbst empirisch. Alberti hatte auch das zweite,
das Gesetz vom Distanzpunkt, der gleichfalls im Horizont gelegen, den Abstand des Beschauers von der Bildfläche
darstellt, und es möglich macht, die richtige Vertiefung des Raumes darzustellen, genau erklärt.1 Jacopo Bellini hat
das Gesetz von der Distanz nie gefunden, trotz seiner Bemühungen auf den zahlreichen Zeichnungen mit schach-
brettartigem Paviment im Vordergrund, dem naheliegendsten Hilfsmittel, die Vertiefung richtig zu gestalten. Doch
ist dieser Mangel durch Beobachtung so sehr ausgeglichen, daß, um ihn festzustellen, bei vielen Zeichnungen der
Augenschein nicht genügt, sondern er erst klar wird, wenn man die Diagonalen durch das Pavimant legen will und
es sich ergibt, daß sie auseinanderstreben. (Bei richtiger Konstruktion lassen sich die Ecken der aufsteigenden
Vierecke in der Richtung zum Distanzpunkt durch eine Gerade, die Diagonale, verbinden und alle Diagonalen müssen
in einem Punkt, dem Distanzpunkt, zusammentreffen.) Testi2 brachte für die Zeichnung -König Prusias« (Band II, 40)
eine Konstruktion mit scheinbar richtiger Distanz; ich kann derselben nur gegenüberstellen, was mein Konstruktions-
versuch ergibt (Abb. 13).

Auch unter den Florentinern war in Wirklichkeit nur Alberti Theoretiker und seine Theorien fußen auf den
hinlänglich bekannten, praktischen Versuchen des Brunelleschi; dasselbe gilt auch von Piero della Francesca3 und
von Lionardo da Vinci, welch letzterer trotz seines Lobes der Theorie (»Studia prima la scientia e poi seguita la
praticha nata da essa scientia«) nach seiner Vorschrift 904: »Methode, eine Örtlichkeit korrekt zu zeichnen-, absolut
als Empiriker anzusprechen ist. Trotz der vor dem Jahre 1428 vermutlich von Brunelleschi0 richtig konstruierten
kassettierten Tonnenwölbung des Frescos in S. Maria Novella, trotz des nimmermüden Interesses, das Maler und
Architekten praktisch und theoretisch an den Problemen der perspektivischen Darstellung nahmen, kam gleichzeitig
niemand in Florenz so weit in der Darstellung großer Komplexe wie Jacopo Bellini. Lionardos Interessen waren
übrigens anderer Art als die Jacopos, denn das, was er in erster Linie unter Perspektive verstand, waren die Größen-

1 Panofsky (»Das perspektivische Verfahren L. B. Alberti's« in Kunstchronik, N. F. XXVI, pag, 506 ff.) hat durch exakte Interpretation von
Albertis Text absolut klargestellt, daß Alberti das Gesetz vom Distanzpunkt kannte und darlegte, wahrend es sich in den übrigen Kunsttraktaten
des XV. Jahrhunderts nicht findet.

2 A. a. O., I. Band, pag. 481,

3 Siehe Fabriczy: »Filippo Brunelleschi«, Stuttgart, 1892, pag. 49.

4 Lionardo da Vinci: »Das Buch von der Malerei«. H. Ludwig in »Quellenschriften zur Kunstgeschichte«, XV, I. Band, pag. 146 7.
& Siehe Kern: »Das Dreifaltigkeitsfresco von S. Maria Novella«. Preuß. Jahrbuch, XXXIV, pag. 36 ff.
 
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