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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.3630#0065
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Abb. 10. Moritz v. Schwind, Der Künstler und seine Frau im Passavantschen Modegeschäft zu Frankfurt.

Aquarell.

der Gebellschaft wichtige Staatsaktion, bei der eine Menge von Kräften, Entwürfen, Vorstands- und Hilfspersonen
mobil gemacht wird. Wir sehen deswegen auf dem ersten Blatt auch drei der führenden Damen — es sind natürlich die
Ministersgattinnen — mit Wollsträhnen und Stickmusterentwürfen in eifrigster Beratung zwischen eiligst in großer
Menge herbeigeschleppten Stickrahmen stehen. Unter den Stickrahmen ist einer der großen mit dem Allianzwappen
des badischen und koburgischen Fürstenhauses zu erkennen. Ein anderer Stickrahmen wird von dem bekannten
Schlachtenmaler Fedor Dietz getragen. Im Hintergrunde unterscheidet man »den goldenen Engel« auf einem der
Stadttürme. Die drei beratschlagenden Damen inmitten der Helfer und Neugierigen können mit Genugtuung von sich
sagen: »Wir sind der Mittelpunkt der Bewegung geworden«. (Abb. 8.)

Das zweite Blatt zeigt das Ergebnis der Bewegung: den gestickten Riesenteppich, so groß wie der innere Schloß-
platz, wie er von den Damen der Gesellschaft unter Führung der Baronin Edelsheim vor den höchsten Herrschaften
ausgebreitet und von diesen vom hohen Schloßbalkon herab beaugenscheinigt wird. Während die »Karlsruher Zeitung <
schlicht bemerkt: »Das schönste Wetter begünstigte die Feyerlichkeit«, berichtet die (Frankfurter) »Didascalia« mit
Stolz: »Frau von Blittersdorff (geb. Brentano), unsere Landsmännin, wurde von I. I. K. K. H. H. mit dem trefflichen
üolland (Fernglas) beschenkt, dessen sich 1.1. K. K. 11. II. zur Besichtigung des Meisterwerkes bedient hatten i. (Abb. 9.)

Damit auch hier dem hohen Gesellschaftsspiel das launige Nachspiel nicht fehle, hat Schwind auf dem dritten
Blatte die Schlußrechnung durch den italienischen Misericordiabruder mit der Sammelbüchse veranschaulicht, der als
»Caritä per la povera sposa promessa« die für das »Meisterwerk • nötigen Gelder zusammenbringt.

Wenn man den launigen Humor der Schwindschen Zeichnungen mit der ätzenden Bitterkeit der Gesellschafts-
und Zeitsatiren von heute vergleicht und die allzeit keusche, spielende Art gegen die zugespitzte, meist schwüle Tendenz
unserer heutigen Zeichner abwägt, so steigt die Wagschale des Künstlerischen zugunsten Schwinds beträchtlich. Da
ist noch Geist, Herz und Gemüt und reine Sinnfälligkeit, die den Dingen eine vollbefriedigende, von aller Bitterkeit und
Schärfe freie Schaubarkeit verleiht. Das sonst fade Wort von der »guten, alten Zeit« erstrahlt in reinem, lebendigem
Glanz, wenn der deutsche Malerpoet Schwind die Dinge des Alltags mit der Poesie seiner Kunst vergoldet. Aber auch in
einem weiteren Sinne müssen diese aus dem unmittelbaren Erleben geschaffenen Blätter dem Kunstgut zugeteilt und
als Zeugnisse künstlerischen Schaffens zugerechnet werden. Das Alltagsgeschehnis, das diese Blätter und Blättchen
hervorbrachte, wurde in der Poetenseele Schwinds zu einem köstlichen Allgemeinen umgeprägt, indem die Realität der
Erscheinung zur poetischen Idee weiterentwickelt wurde. Nicht das Stoffliche, Inhaltliche, das Was erfreut uns heute
noch, sondern das Wie des künstlerischen Ausdrucks. Und so bezeugen diese Blätter mit feinem Sinn, daß jedes
irdische Geschehnis von Märchen strotzt, wenn nur Poetenaugen sie zu sehen vermögen. Josef August Beringer.



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