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Moritz von Schwind und der Malerscherz der fünf Punkte.
Unter den neu erschlossenen Quellen zur Lebensgeschichte Franz Schuberts, die O. E. Deutsch in dem zuletzt
erschienenen Bande seines großen Werkes: Franz Schubert. Die Dokumente seines Lebens und Schaffens. II. Bd.
1. Hälfte (München und Leipzig 1914) mitgeteilt hat, nehmen die Auszüge aus dem Tagebuche Franz Ritter von Hart-
manns eine besondere Stelle ein, da sie uns einen überaus lebendigen Einblick in das gesellige Treiben des Freundes-
kreises Schuberts und Schwinds gewähren. Hartmann, damals ein junger Student, lebte noch 1876 zu Graz als jubi-
lierte!' Kreisgerichtspräsident. Nachrichten über ihn bieten Wilhelm Paillers Buch über Jodok Stülz, Prälaten von
Sankt Florian, der Hartmanns Lehrer war, und die Erinnerungen von Ringseis, dessen Frau eine Halbschwester von Hart-
manns Vater war. Das unvergänglichste Denkmal aber hat ihm Schwind gesetzt: in der Reihe der Freunde, deren Köpfe
aus den Bogenwinkeln der Arkaden auf den Sieben Raben herabgrüßen, erscheint auch das Bildnis Hartmanns. Am
1. März 1828 nun schreibt Hartmann: »Zu Schober, wo wieder einige Palingenesien . . . gelesen werden. Dann zum
Schnecken, wo die Maler nach Punkten zeichnen und Schubert nach Noten einen Deutschen macht. Um 11'/. nach
Hause« und unmittelbar vorher, am 28. Februar: »Schnecke, wo Maxi, Enk, Schwind, Schubert, Bayer, Manschgo. 1 l3/i-«
Die Schnecke ist das Gasthaus auf dem Platze Am Peter in Wien, Maler sind von den Genannten außer Schwind
noch Josef Bayer, der schon 1831 gestorben ist (vgl. Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft, V, S. 165), und Johann
Manschgo; der zuletzt Genannte erscheint ebenfalls auf den Sieben Raben; auch darf wohl an eine Stelle in einem Briefe
Schwinds aus dem Jahre 1847 erinnert werden, wo er dem damals vorübergehend zu Wien weilenden Ludwig Schaller
schreibt: »Du wirst jetzt mit unserer alten Kameradschaft herumziehen und dich in frühere Zeiten versetzen. Schau
ja alles genau an, damit du mir recht viel erzählen kannst. Manschgo's Zimmer zu sehen gab ich was, denn ich würde
wieder im Jahre 28 leben.«
Der Satz »wo die Maler nach Punkten zeichnen« wird wohl manchem Leser des Deutschischen Buches etwas
rätselhaft vorgekommen sein; dem mit Schwinds Werken Vertrauten, besonders wenn er auch die in der Literatur
zerstreuten kleineren Veröffentlichungen über den Meister zu verfolgen gewohnt ist, werden dagegen diese Worte nicht
nur sofort verständlich sein, sondern er wird ihnen sogar eine gewisse Bedeutung zuerkennen für die Geschichte
einiger Arbeiten Schwinds, die freilich nicht zu den Hauptwerken des Künstlers gehören.
Im Jahre 1858 zeichnet Schwind die »Akrobatischen Spiele«, die durch die Münchner Bilderbogen (Nr. 251 und
252) sehr bekannt geworden sind, zuerst aber als »Große akademisch-contrapunktische Soiree auf dem Gebiet akro-
batischer Improvisation« mit einer langen gereimten Einleitung, die wahrscheinlich von Eduard Ille verfaßt ist (vgl.
H. Holland, Moritz von Schwind, Stuttgart 1873, S. 203 f.), in den Fliegenden Blättern (Nr. 727 und 728) erschienen
sind. Für den gegenwärtigen Zweck genügt es, den kurzen erklärenden Text anzuführen, der dem Abdruck auf den
Bilderbogen vorangeht: »Die Aufgabe, welche den sich im Mittelbild präsentierenden drei Akrobaten gegeben wird, ist
in den fünfzehn Punkten zu suchen, die als erstes Bild zu finden sind. Die Künstler müssen in allen Gruppen und
Stellungen sich derart an die fünfzehn Punkte binden, daß je ein Kopf, eine Hand oder ein Fuß auf einen der Punkte
fällt«. Schwind selbst schreibt, am 1. Juni 1859, an Hähnel: »In den Fliegenden Blättern ist jetzt eine Arbeit von mir,
die du anschauen solltest. Nimm dir die Mühe und pause die 15 Punkte durch und leg sie auf jede der 16(!) Gruppen,
so wirst du dich überzeugen, daß sie alle nach denselben Punkten gemacht sind. Das ist der Humor davon«.
Weniger bekannt ist das Ölgemälde »Die PIejaden« (abgebildet in den Klassikern der Kunst, IX. Bd., Schwind,
herausgegeben von 0. Weigmann, Stuttgart 1906, S. 356), das einige Jahre vor den Akrobatischen Spielen (um 1855)
entstanden ist und die Lösung einer ähnlichen Aufgabe darstellt, indem die sieben Köpfe der Figuren nach der Stellung
dieses Sternbildes angeordnet sind.
1910 veröffentlicht Ludwig Gurlitt in der Zeitschrift »Der Türmer« (XIII, S. 451) aus dem Besitze der Baronin
Doblhoff eine Skizze Schwinds, die drei Gruppen von je drei Figuren zeigt und wie ein erster Entwurf zu den Akro-
batischen Spielen aussieht. Die Zeichnung trägt (nach Gurlitt »von fremder Hand«) die Aufschrift: »Wien 22. Juny
1840 15 Punkte benützt von Moritz v. Schwind«.
1912 macht Hildegard Heyne in einem Aufsatze der Zeitschrift für bildende Kunst (S. 159: Moritz von Schwind
als Silhouettenkünstler) Mitteilung von einer Mappe mit Zeichnungen, die Schwind im Jahre 1838 »am Rüdigsdorfer
Teetisch« zu Papier gebracht hat und die sich jetzt im Besitz des Herrn Dr. Wilhelmi zu Leipzig befinden, eines Enkels
jenes Dr. Crusius, dessen Rüdigsdorfer Gartenhaus Schwind in dem genannten Jahre mit der Fabel von Amor und
Psyche ausgemalt hat. »Eine Anzahl von Blättern der Mappe zeigt merkwürdige gewundene Figurenkompositionen.
Jede Figur ist nach fünf von einem Teilnehmer an der Teetischrunde angegebenen Punkten konstruiert, wobei Schwind
ganz witzige Gliedmaßen- und Körperverbindungen herausgeklügelt und zu plastisch geschlossenen Gruppen gestaltet
hat«. Des weiteren vermutet die Verfasserin, daß Schwinds »künstlerisches Spiel« auf eine Anregung zurückgehe, die er
auf seiner italienischen Reise 1835 empfangen habe. »Ein in Rom um 1830 lebender Künstler Carlo Labruzzi veröffent-
lichte eine Serie von dreizehn in Federzeichnungsmanier radierten Blättern: Figure fatte da cinque punti originali, in
welcher er gleichfalls das Kunststück durchgeführt hat, Figuren zu komponieren nach fünf von anderen angegebenen
Moritz von Schwind und der Malerscherz der fünf Punkte.
Unter den neu erschlossenen Quellen zur Lebensgeschichte Franz Schuberts, die O. E. Deutsch in dem zuletzt
erschienenen Bande seines großen Werkes: Franz Schubert. Die Dokumente seines Lebens und Schaffens. II. Bd.
1. Hälfte (München und Leipzig 1914) mitgeteilt hat, nehmen die Auszüge aus dem Tagebuche Franz Ritter von Hart-
manns eine besondere Stelle ein, da sie uns einen überaus lebendigen Einblick in das gesellige Treiben des Freundes-
kreises Schuberts und Schwinds gewähren. Hartmann, damals ein junger Student, lebte noch 1876 zu Graz als jubi-
lierte!' Kreisgerichtspräsident. Nachrichten über ihn bieten Wilhelm Paillers Buch über Jodok Stülz, Prälaten von
Sankt Florian, der Hartmanns Lehrer war, und die Erinnerungen von Ringseis, dessen Frau eine Halbschwester von Hart-
manns Vater war. Das unvergänglichste Denkmal aber hat ihm Schwind gesetzt: in der Reihe der Freunde, deren Köpfe
aus den Bogenwinkeln der Arkaden auf den Sieben Raben herabgrüßen, erscheint auch das Bildnis Hartmanns. Am
1. März 1828 nun schreibt Hartmann: »Zu Schober, wo wieder einige Palingenesien . . . gelesen werden. Dann zum
Schnecken, wo die Maler nach Punkten zeichnen und Schubert nach Noten einen Deutschen macht. Um 11'/. nach
Hause« und unmittelbar vorher, am 28. Februar: »Schnecke, wo Maxi, Enk, Schwind, Schubert, Bayer, Manschgo. 1 l3/i-«
Die Schnecke ist das Gasthaus auf dem Platze Am Peter in Wien, Maler sind von den Genannten außer Schwind
noch Josef Bayer, der schon 1831 gestorben ist (vgl. Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft, V, S. 165), und Johann
Manschgo; der zuletzt Genannte erscheint ebenfalls auf den Sieben Raben; auch darf wohl an eine Stelle in einem Briefe
Schwinds aus dem Jahre 1847 erinnert werden, wo er dem damals vorübergehend zu Wien weilenden Ludwig Schaller
schreibt: »Du wirst jetzt mit unserer alten Kameradschaft herumziehen und dich in frühere Zeiten versetzen. Schau
ja alles genau an, damit du mir recht viel erzählen kannst. Manschgo's Zimmer zu sehen gab ich was, denn ich würde
wieder im Jahre 28 leben.«
Der Satz »wo die Maler nach Punkten zeichnen« wird wohl manchem Leser des Deutschischen Buches etwas
rätselhaft vorgekommen sein; dem mit Schwinds Werken Vertrauten, besonders wenn er auch die in der Literatur
zerstreuten kleineren Veröffentlichungen über den Meister zu verfolgen gewohnt ist, werden dagegen diese Worte nicht
nur sofort verständlich sein, sondern er wird ihnen sogar eine gewisse Bedeutung zuerkennen für die Geschichte
einiger Arbeiten Schwinds, die freilich nicht zu den Hauptwerken des Künstlers gehören.
Im Jahre 1858 zeichnet Schwind die »Akrobatischen Spiele«, die durch die Münchner Bilderbogen (Nr. 251 und
252) sehr bekannt geworden sind, zuerst aber als »Große akademisch-contrapunktische Soiree auf dem Gebiet akro-
batischer Improvisation« mit einer langen gereimten Einleitung, die wahrscheinlich von Eduard Ille verfaßt ist (vgl.
H. Holland, Moritz von Schwind, Stuttgart 1873, S. 203 f.), in den Fliegenden Blättern (Nr. 727 und 728) erschienen
sind. Für den gegenwärtigen Zweck genügt es, den kurzen erklärenden Text anzuführen, der dem Abdruck auf den
Bilderbogen vorangeht: »Die Aufgabe, welche den sich im Mittelbild präsentierenden drei Akrobaten gegeben wird, ist
in den fünfzehn Punkten zu suchen, die als erstes Bild zu finden sind. Die Künstler müssen in allen Gruppen und
Stellungen sich derart an die fünfzehn Punkte binden, daß je ein Kopf, eine Hand oder ein Fuß auf einen der Punkte
fällt«. Schwind selbst schreibt, am 1. Juni 1859, an Hähnel: »In den Fliegenden Blättern ist jetzt eine Arbeit von mir,
die du anschauen solltest. Nimm dir die Mühe und pause die 15 Punkte durch und leg sie auf jede der 16(!) Gruppen,
so wirst du dich überzeugen, daß sie alle nach denselben Punkten gemacht sind. Das ist der Humor davon«.
Weniger bekannt ist das Ölgemälde »Die PIejaden« (abgebildet in den Klassikern der Kunst, IX. Bd., Schwind,
herausgegeben von 0. Weigmann, Stuttgart 1906, S. 356), das einige Jahre vor den Akrobatischen Spielen (um 1855)
entstanden ist und die Lösung einer ähnlichen Aufgabe darstellt, indem die sieben Köpfe der Figuren nach der Stellung
dieses Sternbildes angeordnet sind.
1910 veröffentlicht Ludwig Gurlitt in der Zeitschrift »Der Türmer« (XIII, S. 451) aus dem Besitze der Baronin
Doblhoff eine Skizze Schwinds, die drei Gruppen von je drei Figuren zeigt und wie ein erster Entwurf zu den Akro-
batischen Spielen aussieht. Die Zeichnung trägt (nach Gurlitt »von fremder Hand«) die Aufschrift: »Wien 22. Juny
1840 15 Punkte benützt von Moritz v. Schwind«.
1912 macht Hildegard Heyne in einem Aufsatze der Zeitschrift für bildende Kunst (S. 159: Moritz von Schwind
als Silhouettenkünstler) Mitteilung von einer Mappe mit Zeichnungen, die Schwind im Jahre 1838 »am Rüdigsdorfer
Teetisch« zu Papier gebracht hat und die sich jetzt im Besitz des Herrn Dr. Wilhelmi zu Leipzig befinden, eines Enkels
jenes Dr. Crusius, dessen Rüdigsdorfer Gartenhaus Schwind in dem genannten Jahre mit der Fabel von Amor und
Psyche ausgemalt hat. »Eine Anzahl von Blättern der Mappe zeigt merkwürdige gewundene Figurenkompositionen.
Jede Figur ist nach fünf von einem Teilnehmer an der Teetischrunde angegebenen Punkten konstruiert, wobei Schwind
ganz witzige Gliedmaßen- und Körperverbindungen herausgeklügelt und zu plastisch geschlossenen Gruppen gestaltet
hat«. Des weiteren vermutet die Verfasserin, daß Schwinds »künstlerisches Spiel« auf eine Anregung zurückgehe, die er
auf seiner italienischen Reise 1835 empfangen habe. »Ein in Rom um 1830 lebender Künstler Carlo Labruzzi veröffent-
lichte eine Serie von dreizehn in Federzeichnungsmanier radierten Blättern: Figure fatte da cinque punti originali, in
welcher er gleichfalls das Kunststück durchgeführt hat, Figuren zu komponieren nach fünf von anderen angegebenen