Die bisher in der kunsthistorischen Literatur unbekannte, in meinem Besitze befindliche Johanneszeichnung ist
mit dunkelbrauner Farbe auf dünni braun grundiertes Papier, das als Wasserzeichen die hohe Krone zeigt, mit der
Feder gezeichnet und weiß gehöht (17-8 X 13 5 cm, s. Tafel). Huber selbst hätte diese Art - um die Ausdrücke Dürers
abzuwandeln - als »mit Dunkelbraun und Weiß auf braunes Papier« oder »auf braunem Papier aufgehöht« bezeichnet.*
Die Darstellung des Evangelisten Johannes war seit langem geläufig; die abendländische Kunst liebte es, den jüngsten
der Apostel, der als einziger unter dem Kreuze stand, den Beschützer .Marias bis zu ihrem seligen Sterben, in jugendlicher
Anmut zu gestalten. Zuerst, als Schreiber des Evangeliums gegeben, sitzend, in seinen Händen das geöffnete Evangelien-
buch, vor ihm ein kleiner Tisch mit Feder und Tintenfaß, in seiner Nähe der symbolische Adler, wird er später als
Verfasser der die mittelalterlichen Geister so erregenden Apokalypse, des »Buches der Geheimnisse« (das puech
der taugen), eingeführt, und mit dem Erwachen des Interesses an landschaftlicher Gestaltung gewinnt auch die Orts-
angabe eine bedeutende Rolle. So erscheint in der Dresdner" Apokalypse vom Anfang des XIV. Jahrhunderts Johannes
Feder und Messer haltend, mit langer Pergamentrolle, als Folie hinter ihm eine baumgekrönte Felswand, deren Silhouette
aus der übrigen apokalyptischen Darstellung hinausgreift wie die Arabeske einer Initiale. Später wird die naiv-deutliche,
scheibenartig vereinfachte Inselangabe häufig, auf der Johannes und sein Adler gerade noch Platz finden. Dazu tritt
das Motiv der Erscheinung Marias mit dem Christusknaben in den Lüften,1 für das weder die legenda aurea noch
das Passionale einen literarischen Hinweis bringen; es ist anzunehmen, daß die Erscheinung des apokalyptischen Sonnen-
weibes auf Titelblätter der geheimen Offenbarung und die immer beliebter werdenden Einzeldarstellungen des
sinnenden und schreibenden Johannes auf Patmos übertragen wurde. So gibt Dürer in der Apokalypse auf einem Blatte
das Sonnenweib, madonnenartig, doch geflügelt, auf dem Titelblatte5 aber Maria mit dem Kinde, die in Lichtstrahlen an
den visionär-vergeistigten, überwältigt von seiner Arbeit aufblickenden Apostel — zur Seite hat er den feurig blickenden
Adler — dicht heranschwebt. Wichtig'ist, ob der Adler, zuerst nur ein Symbol, dann ein munterer und aufmerksamer
Begleiter, in engere Beziehung zu seinem Herrn gesetzt wird oder nicht. Während der Stich0 des Meisters E. S. den
kniend schreibenden Evangelisten auf felsiger Inselscheibe zu der klein und nach Art einer Holzplastik gegebenen
Madonna aufblickend, den Adler mit von ihm weggedrehtem Kopfe gibt, finden wir auf dem zeitlich vorangehenden
Stiche7 des Meisters der Nürnberger Passion den klein gegebenen Vogel auf einem Steine, zu dem zur Madonnen-
erscheinung emporschauenden — eigentlich ist es ein Hinschielen — Schreiber mit aufgeregt gespreizten Schwingen
hinfliigelnd. Ein schreibender Johannes auf Patmos8 ohne Marienerscheinung aus dem Kreise des Konrad Witz gibt
den rabenartigen energischen Adler9 erhöht auf Fels und Buch mit anliegenden Flügeln, aber geöffnetem Schnabel, als
würde er Johannes diktieren oder ihm wichtige Mitteilung machen. Sehr einprägsam ist der um 1482 entstandene
Kupferstich Martin Schongauers (Abb. 2), des Schöpfers unvergeßlicher Tj'pen. An felsiger Bucht sitzt in massigem
Dreieck gebreitet der Jünger und blickt steif empor zu der im schwerterartig starrenden Strahlenkranze wieder wie ein
plastisches Kultbild gebildeten Madonna; ihm in Kopfhöhe gegenüber, auf aufsteigenden Felsstufen, der lebhafte, gleich-
falls in eindringlichem Profile gegebene Raubvogel, der eben gemeldet hat. Zwischen beiden die Horizontlinie der
Meeresbucht und ein Bäumchen mit merkwürdig geschnörkeltem Stamme und eichenartigem Blattwerke, das wie das
Zünglein einer Wage die Ausgewogenheit der Komposition anzeigt. Der »oberdeutschen Kunst im Zeitalter Maximilians
geben unsere Darstellung und die der heiligen Einsiedler den Vorwand zur Schilderung deutscher Waldeinsamkeit«.1"
Eigentlich ist der Waldrand gegeben, von dem aus man den nach bestimmtem, noch zu besprechendem Kompositions-
schema gebildeten Wasserstreifen erblickt, der oft auf ein Mindestmaß beschränkt wird. So Hans Burgkmair auf seinem
frühen Augsburger Bilde (1512) — auf dem Johannes ohne Adler die Madonna »schaut« —; später gibt er, 1518, auf dem
Gemälde in München eine üppige, paradiesische Palmenlandschaft, ohne dem Adler eine andere Stellung einzuräumen
als die eines Vogels unter Vögeln. Urdeutsch dagegen ist der Felssitz am Gehölzrande mit dem bäuerlich primitiv
(uns erscheint er fast romantisch) zusammengezimmerten Tische des heiligen Hieronymus von Cranach im Kaiser-
Friedrich-Museum.
Für die Art eingehender Vogelstudien und — Bildungen im XV. Jahrhunderte11 haben wir ausgezeichnete Belege
beim Meister der Spielkarten; ein von Geisberg dem Meister des Todes Mariä zuerkannter Stich12 zeigt einen Türken,
der einen jungen, zu Jagdzwecken bestimmten Kauz auf der durch den langen Ärmel geschützten Faust hält, beide,
Mann und balanzierend-flatternder Vogel, sich im Profil zugewandt. Dürer endlich gibt etwa 1509 im Wappen des
i Meder, a. a. 0., S. 49. — 2 Meder, a. a. 0., S. 589 f. — 3 Kupferstichkabinett. Oc. 50, lothringisch. Abb. bei Vitzthum, Die Pariser Miniatur-
malerei, Taf. XLV. — * Auch auf der bei Leporini, Stilentwicklung d. Handzeichnung, Taf. 5, abgebildeten Federzeichnung (Mitte XV. Jh.) haben wir
eine Madonnenerscheinung; der Kniende, im Profil mit staunend leicht geöffneten Händen. Da er eine Krone trägt und die stehende Frauengestalt
am Brustsaum orientalische Schrittzeichen, wird es sich wohl um die Darstellung der Sibylle von Tibur handeln, nicht aber um Stifter und Patronin. —
5 In der Bamberger Apokalypse ist nur das Blatt mit dem Sonnenweib gegeben. Wölfflin. D. Bamb. Apokal., Taf. 29. — » Abb. bei M. Geisberg.
Meister der Graphik, Bd. Ii., l.Aufi., Taf. 47. — 1 Wohl eine Kopie nach d. Spielkartenmeister Geisberg, a. a. 0., 2. Aufl., S. 51. — 8 Um 1450.
Brighton. Abb. bei Stange, Deutsche Kunst um 1400, Taf. 71. — o Besonders klein ist der Adler bei Hieron. Bosch (Berlin, Kaiser-Friedr.-Mus.), der
einen die Madonna ankündenden Engel einführt. - 10 H. A. Schmid im Kunstgesch. Jahrb. d. Zentr.-Kom, Bd. III, 1909, S. 6 f. — 11 Aus früher
Zeit der kühne, ausdrucksstarke Bronzeadler auf dem Lettner des Domes von Hildesheim, dessen wagrecht geöffnete Schwingen das aufgeschlagene
Buch zu tragen bestimmt waren. Sauerlandt, Deutsche Plastik des Mittelalters, Taf. 1. — 12 Geisberg, Meister d. Graphik, Bd. II, 2. Aufl., Taf. 57.
2
mit dunkelbrauner Farbe auf dünni braun grundiertes Papier, das als Wasserzeichen die hohe Krone zeigt, mit der
Feder gezeichnet und weiß gehöht (17-8 X 13 5 cm, s. Tafel). Huber selbst hätte diese Art - um die Ausdrücke Dürers
abzuwandeln - als »mit Dunkelbraun und Weiß auf braunes Papier« oder »auf braunem Papier aufgehöht« bezeichnet.*
Die Darstellung des Evangelisten Johannes war seit langem geläufig; die abendländische Kunst liebte es, den jüngsten
der Apostel, der als einziger unter dem Kreuze stand, den Beschützer .Marias bis zu ihrem seligen Sterben, in jugendlicher
Anmut zu gestalten. Zuerst, als Schreiber des Evangeliums gegeben, sitzend, in seinen Händen das geöffnete Evangelien-
buch, vor ihm ein kleiner Tisch mit Feder und Tintenfaß, in seiner Nähe der symbolische Adler, wird er später als
Verfasser der die mittelalterlichen Geister so erregenden Apokalypse, des »Buches der Geheimnisse« (das puech
der taugen), eingeführt, und mit dem Erwachen des Interesses an landschaftlicher Gestaltung gewinnt auch die Orts-
angabe eine bedeutende Rolle. So erscheint in der Dresdner" Apokalypse vom Anfang des XIV. Jahrhunderts Johannes
Feder und Messer haltend, mit langer Pergamentrolle, als Folie hinter ihm eine baumgekrönte Felswand, deren Silhouette
aus der übrigen apokalyptischen Darstellung hinausgreift wie die Arabeske einer Initiale. Später wird die naiv-deutliche,
scheibenartig vereinfachte Inselangabe häufig, auf der Johannes und sein Adler gerade noch Platz finden. Dazu tritt
das Motiv der Erscheinung Marias mit dem Christusknaben in den Lüften,1 für das weder die legenda aurea noch
das Passionale einen literarischen Hinweis bringen; es ist anzunehmen, daß die Erscheinung des apokalyptischen Sonnen-
weibes auf Titelblätter der geheimen Offenbarung und die immer beliebter werdenden Einzeldarstellungen des
sinnenden und schreibenden Johannes auf Patmos übertragen wurde. So gibt Dürer in der Apokalypse auf einem Blatte
das Sonnenweib, madonnenartig, doch geflügelt, auf dem Titelblatte5 aber Maria mit dem Kinde, die in Lichtstrahlen an
den visionär-vergeistigten, überwältigt von seiner Arbeit aufblickenden Apostel — zur Seite hat er den feurig blickenden
Adler — dicht heranschwebt. Wichtig'ist, ob der Adler, zuerst nur ein Symbol, dann ein munterer und aufmerksamer
Begleiter, in engere Beziehung zu seinem Herrn gesetzt wird oder nicht. Während der Stich0 des Meisters E. S. den
kniend schreibenden Evangelisten auf felsiger Inselscheibe zu der klein und nach Art einer Holzplastik gegebenen
Madonna aufblickend, den Adler mit von ihm weggedrehtem Kopfe gibt, finden wir auf dem zeitlich vorangehenden
Stiche7 des Meisters der Nürnberger Passion den klein gegebenen Vogel auf einem Steine, zu dem zur Madonnen-
erscheinung emporschauenden — eigentlich ist es ein Hinschielen — Schreiber mit aufgeregt gespreizten Schwingen
hinfliigelnd. Ein schreibender Johannes auf Patmos8 ohne Marienerscheinung aus dem Kreise des Konrad Witz gibt
den rabenartigen energischen Adler9 erhöht auf Fels und Buch mit anliegenden Flügeln, aber geöffnetem Schnabel, als
würde er Johannes diktieren oder ihm wichtige Mitteilung machen. Sehr einprägsam ist der um 1482 entstandene
Kupferstich Martin Schongauers (Abb. 2), des Schöpfers unvergeßlicher Tj'pen. An felsiger Bucht sitzt in massigem
Dreieck gebreitet der Jünger und blickt steif empor zu der im schwerterartig starrenden Strahlenkranze wieder wie ein
plastisches Kultbild gebildeten Madonna; ihm in Kopfhöhe gegenüber, auf aufsteigenden Felsstufen, der lebhafte, gleich-
falls in eindringlichem Profile gegebene Raubvogel, der eben gemeldet hat. Zwischen beiden die Horizontlinie der
Meeresbucht und ein Bäumchen mit merkwürdig geschnörkeltem Stamme und eichenartigem Blattwerke, das wie das
Zünglein einer Wage die Ausgewogenheit der Komposition anzeigt. Der »oberdeutschen Kunst im Zeitalter Maximilians
geben unsere Darstellung und die der heiligen Einsiedler den Vorwand zur Schilderung deutscher Waldeinsamkeit«.1"
Eigentlich ist der Waldrand gegeben, von dem aus man den nach bestimmtem, noch zu besprechendem Kompositions-
schema gebildeten Wasserstreifen erblickt, der oft auf ein Mindestmaß beschränkt wird. So Hans Burgkmair auf seinem
frühen Augsburger Bilde (1512) — auf dem Johannes ohne Adler die Madonna »schaut« —; später gibt er, 1518, auf dem
Gemälde in München eine üppige, paradiesische Palmenlandschaft, ohne dem Adler eine andere Stellung einzuräumen
als die eines Vogels unter Vögeln. Urdeutsch dagegen ist der Felssitz am Gehölzrande mit dem bäuerlich primitiv
(uns erscheint er fast romantisch) zusammengezimmerten Tische des heiligen Hieronymus von Cranach im Kaiser-
Friedrich-Museum.
Für die Art eingehender Vogelstudien und — Bildungen im XV. Jahrhunderte11 haben wir ausgezeichnete Belege
beim Meister der Spielkarten; ein von Geisberg dem Meister des Todes Mariä zuerkannter Stich12 zeigt einen Türken,
der einen jungen, zu Jagdzwecken bestimmten Kauz auf der durch den langen Ärmel geschützten Faust hält, beide,
Mann und balanzierend-flatternder Vogel, sich im Profil zugewandt. Dürer endlich gibt etwa 1509 im Wappen des
i Meder, a. a. 0., S. 49. — 2 Meder, a. a. 0., S. 589 f. — 3 Kupferstichkabinett. Oc. 50, lothringisch. Abb. bei Vitzthum, Die Pariser Miniatur-
malerei, Taf. XLV. — * Auch auf der bei Leporini, Stilentwicklung d. Handzeichnung, Taf. 5, abgebildeten Federzeichnung (Mitte XV. Jh.) haben wir
eine Madonnenerscheinung; der Kniende, im Profil mit staunend leicht geöffneten Händen. Da er eine Krone trägt und die stehende Frauengestalt
am Brustsaum orientalische Schrittzeichen, wird es sich wohl um die Darstellung der Sibylle von Tibur handeln, nicht aber um Stifter und Patronin. —
5 In der Bamberger Apokalypse ist nur das Blatt mit dem Sonnenweib gegeben. Wölfflin. D. Bamb. Apokal., Taf. 29. — » Abb. bei M. Geisberg.
Meister der Graphik, Bd. Ii., l.Aufi., Taf. 47. — 1 Wohl eine Kopie nach d. Spielkartenmeister Geisberg, a. a. 0., 2. Aufl., S. 51. — 8 Um 1450.
Brighton. Abb. bei Stange, Deutsche Kunst um 1400, Taf. 71. — o Besonders klein ist der Adler bei Hieron. Bosch (Berlin, Kaiser-Friedr.-Mus.), der
einen die Madonna ankündenden Engel einführt. - 10 H. A. Schmid im Kunstgesch. Jahrb. d. Zentr.-Kom, Bd. III, 1909, S. 6 f. — 11 Aus früher
Zeit der kühne, ausdrucksstarke Bronzeadler auf dem Lettner des Domes von Hildesheim, dessen wagrecht geöffnete Schwingen das aufgeschlagene
Buch zu tragen bestimmt waren. Sauerlandt, Deutsche Plastik des Mittelalters, Taf. 1. — 12 Geisberg, Meister d. Graphik, Bd. II, 2. Aufl., Taf. 57.
2