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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.6495#0015
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Gesamtbild ungefüllter, unausgeglichener, sind Lücken und Falschheiten — dafür
ist es eine jugendliche Arbeit. Aber Gekonntes und Ungekonntes geht entwicklungs-
geschichtlich schon weitüberdas hinaus, was Wolgemut fünf Jahre spätererscheinen
läßt. Mit ganz neuen Einsichten ist die Räumlichkeit bewältigt, die Fluchtlinien
sind nicht nur betont, sondern in die Ecken geführt und so zu entscheidender
Wirkung gebracht. Mit einem Schlag ist die Struktur an ihren wesentlichen Punkten
darstellerisch gepackt. Das Kreuzgewölbe, voll entfaltet, liegt breit deckend über
dem Raum, den Wolgemut noch völlig zusammendrückt. Die bei Wolgemut an-
geklebte Säule tritt vor, und um sie herum vollzieht sich die Marterszene. Das
Ausholen zum Schlag wird frei und kommt aus den Gelenken; Wolgemuts
Gebärde bleibt angezogen und gehemmt. Die unscheinbaren Figuren des Ho.s
enthalten einen Reichtum plastischer Motive, gegenüber dem Wolgemut arm und
leer ist: Das Herüberlegen der Arme Christi, das Gegenspiel von Schulter und
Haupt hat in der gleichzeitigen Produktion nicht seinesgleichen. Kontur und
Binnenzeichnung Wolgemuts aber sind flach, mager und klein gegenüber der
reichen, wölbenden Linie des Ho.-M.s. Und klein, nervös und wie gebunden sind
die Physiognomien Wolgemuts neben der Gehaltenheit und Individualität im Ho.
Und daß diese einzelnen neugegriffenen Züge so kraftvoll und zu einer aus-
geprägten stilistischen Einheit geführt sind, entscheidet über die Qualität, für
deren Beurteilung ausschlaggebend sind die entwicklungsmäßige Bedeutung und
der immanente Wert, die sich stets verbinden.

Bei all diesen Feststellungen ist nun vorausgesetzt, daß der Holzschnitt so,
wie er ist, zur Stilanalyse verwendet werden darf. Dies widerspricht den Auf-
stellungen Stadlers, der die Formzeichnung vom Entwerfer trennt und dem Formzeichner B zuteilt. Danach wären
Einzelheiten, Strichlagen, Licht- und Schattenverteilung und der Charakter der einzelnen Linie nicht mehr zur Inter-
pretation des Stils des Ho.-M.s heranzuziehen. Gegen die Wichtigkeit einer Zweiteilung in diesem Fall spricht die
Übereinstimmung des Holzschnittstiles mit dem Kompositionsstil und der inneren Haltung der Darstellungen, auch
daß man oft die Zeichnung noch durchzuspüren glaubt. Wäre der Formzeichner ein anderer als der Entwerfer, so
müßte angenommen werden, daß er dem Entwurf völlig gerecht geworden ist, denn alles ist verstanden, und dann ist
die direkte Analyse durchaus erlaubt. Woher dann aber die Frische und Unbekümmertheit? Der Schnitt, von einem
anderen als dem Entwerfer sehr gut nachgemacht, müßte etwas Ängstliches, Kopistisches haben. Und wäre der
Formzeichner nun doch ein anderer als der Entwerfer und hätte Eigenes hinzugebracht, so müßte gesagt werden,
daß dann der Formzeichner die gesamte Bildgestalt bestimmt hat, weil sie einheitlich ist, und daß eine Spaltung der
Persönlichkeiten sich wiederum erübrigt. Die Stadlerschen Kombinationen sprechen aber gegen sich selber. Sein Form-
zeichner B läßt sich nicht halten. Ein Vergleich der Ho.-Holzschnitte mit Formzeichner B zugewiesenen, aber von anderen
entworfenen Holzschnitten zeigt durchgehende Unterschiede in allem, was unter die Verantwortlichkeit des Formzeichners
fiele. Denn die Differenzen etwa zu der allerheilsamsten Warnung1 beschränken sich keineswegs auf den Entwurf. Schon
der allgemeine Rhythmus von Licht und Schatten unterscheidet sich: Eine stärkere Lichtwirkung der hellen Stellen hier,
die nicht sowohl in der allgemeinen Flachheit begründet ist ais vielmehr der ausgesprochenen Parallelität der Schraffuren,
die beim Ho.-M. nirgends zu finden ist. Mit dem Divergieren der Schraffur fehlt überhaupt ihre plastische Bedeutung. Damit
ist auch der durchgehende Unterschied im Charakter der kleinen Einzelheiten bezeichnet, die in ihrer gewohnheitsmäßig
formelhaften Wiederholung für den Formzeichner bezeichnend sein müssen. So fehlt den sehr ähnlich scheinenden, mit
den gleichen Elementen gegebenen Augen der Warnungsholzschnitte eben der so sehr bezeichnende feine plastische
Rhythmus des Ho.-M.s, den Haaren das quellende Fallen; sie sind nicht nach dem Volumen gefaßt und behalten etwas
Fadiges, wie die Faltenzeichnung auf einem Ärmel. Der Charakter der Linie ist einförmiger, dünner, dürftiger, plastisch
gleichgültig. So bleibt kein Grund einer Trennung der Holzschnitte vom Entwerfer, dem Ho.-M. Leise Schwankungen im
Schnitt sind bei der Unfertigkeit des Künstlers, der schnellen Entwicklung, der offenbaren Raschheit der Produktion zu
erwarten.

Schon das Ausschalten des Formzeichners B macht eine Umstellung der Zuweisungen nötig.
Aus dem Heiligen-Leben'- schließen sich mühelos an: 55, 94v, 370, 371, 375-377, 381v-382v.

i Ein Allerhailsamste Warnung vor der falschenn lieb diser werlt, s. 1. n. a. H.*16150, Sehr. 5455. — - a. a. 0. Zu der vermehrten und ver-
minderten Verwendung von liinnenschraffur im HL. ist in Betracht zu ziehen, daß das HL. noch koloriert wurde, daß der Kolorierung ein Teil der
Ausführung obliegt. Gewisse Einzelheiten, etwa das Ansteigen der Rasenhügel (HL. 371), sind koloristisch leichter und glücklicher zu behandeln
als schnittmiißig. Kleines Format erschwert technisch die Binnenzeichnung sehr; in der Tat sind denn auch größere Figuren im Schnitt sorgfältiger
durchgearbeitet (HL. HL. 21 lv). Ein einseitiges Interesse, daß etwa gegenüber den Figuren die Landschaft nur ganz allgemein angedeutet ist
(HL. 370 und 371), ist gerade bei jugendlichen Arbeiten gewohnt (Dürerzeichnung L. 100).
 
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