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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.6495#0038
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Abb. 13. Uhs von Johann Christoph Köhler.
Grünes Gewölbe, Dresden.

DAS ERBE CALLOTS.
Die Sucht nach dem Absonderlichen ist auch die Quelle für das
Leben der Groteske. Von jahrhundertelanger geistiger Expansionskraft
H aren die nach Einfall und Technik ungeheuerlichen Stiche Callots. In
ihnen spukt noch das Grauen Breughels. Nach Stichen aus der Gnomen-
gesellschaft Callots1 (Abb. 15, 16) hat der Goldschmied Ferbecq aus
Frankfurt den »buckligen Trinker« und den »ausgelassenen Koch«, der
auf dem Bratrost geigt,2 gemacht (Abb. 17). Der Dicke mit dem Kugelbauch
steht als Gartenfigur im Schloßpark von Wachau. Die Marketenderin mit
den zwei Kindern auf der Schindmähre, die Neßler montierte, hat der
Elfenbeinschnitzer den Zügen seiner »Marodeure« entnommen. Und die
zerlumpten Bettler und gespreizten Grenadiere, die Gerardet in Berlin, der
Hofjuwelier Köhler in Dresden fertigten, sind aus Callots abenteuerlicher
Welt zu erklären.3

Diese Figuren, ein schnurriger Ulk, entsprachen in ihrer Zusammen-
setzung aus Monstreperlen recht dem Geschmack für preziöse Dinge.
1733 standen sie sämtlich auf den Konsolen des berühmten Eckkabinetts
im Grünen Gewölbe. Das Gallige, Atzende Callots fehlt dieser Groteske;
sie steuert nach harmloser Burleske. Hundert Jahre nach den Gobbi er-
schien eine holländische und wohl in derselben Zeit die deutsche Ausgabe
(o. J.) als »II Callotto resuscitato oder neueingerichtetes Zwerchen-Cabinet«.4
Mit Callot hat sie nur den Namen gemein. Es ist eine Stichfolge komischer
Zwergfiguren, die Typen der damaligen Welt karikieren. Für den Ort der
deutschen Ausgabe nimmt man Augsburg an. Die »Augsburger« be-
schickten fleißig die Michaelis- und Ostermesse in Leipzig. Vielleicht ist
der »Natan Hirschl der Pragerischen Judenschaft Primas«, den Köhler als Uhr auf einen Sockel montierte, eine Augs-
burger Elfenbeinschnitzerei (Abb. 13, 14). Denn inwieweit die Goldschmiede, die in den Inventaren des Grünen Gewölbes
genannt werden, auch als Schnitzer in Betracht kommen, bleibt fraglich. Erwähnt werden die Goldschmiede, weil sie
das Werk zuletzt als Lieferanten aus der Hand gaben. Wir haben zunächst einmal angenommen, daß die Montierung
auch von ihnen stammt um die Gruppierung nach der Seite des Goldschmiedehandwerks zu ermöglichen. Spezifizierte
Rechnungen des Hofjuweliers Köhler über die Fassung von Elfenbeinarbeiten geben dazu eine gewisse Berechtigung.
Auch den »Bartholdus Gursalkawiz aus gross Pohlen«, als Elfenbeinfigur nach dieser Vorlage auf einen Sockel montiert,
bewahrt das Grüne Gewölbe. Vielleicht ist auch er von Köhler gefaßt; aber es ist aus den Inventaren nicht ersichtlich,
wer ihn verarbeitet hat. Schließlich hat Meister Balthasar Lauch in Leipzig Mademoiselle Jolicoeur und Monsieur Gilles
Platfues, die im Tanze auf ihren Köpfen je eine Kristallschale tragen,
montiert (Abb. 18, 19, 20).

DINGLINGER UND DER ORNAMENTSTICH.
Die modischen Geistesströmungen der Zeit, die sich unendlich
verflechten, durcheinanderschlingen, machen unter handwerklicher Form
einen Teil des allgemeineren Vorstellungs- und Gedankeninhaltes aus.
In dem Spezialfälle Dinglinger ist die handwerkliche Form besonders
schwer zu erklären. Es hat sich nur ein Ornamentstich Dinglingers fest-
stellen lassen, eine Nadelbüchse mit Akanthusranken in Niello, ganz in
Art des Ornaments kurz vor 1700. In der Frühzeit seiner Arbeit hat
Dinglinger sich sehr schnell auf die neue Mode des zarten, dünnen
Bandwerks eingestellt. Laubwerk begleitet es. Die Stellen des Zusammen-
stoßes bildet es bisweilen rollwerkartig. In dieser Anschauung lebt das
Ornament des »goldenen Kaffeezeugs« im Grünen Gewölbe, das er 1701
dem König in Warschau übergibt. Die Verfeinerung des Ornaments
unter dem Einfluß Berains vollzieht sich in den süddeutschen Vorlagen,
für die Stiche wie etwa des Ägidius Bichel »Allerhand Inventiones von

1 Varie Figure gobbi di jacopo Callot fatto in firenza lanno 1016. — - tnv. i. Gr.
Gew. 1725. — 3 Zwerge M 756 I, M 766 I, M 754 I. .Marketenderin M 668 II. Bettler M 685
I —M 700 I. Kupferstiohkabinet Dresden. — * Callots neueingerichtetes Zwergenkabinett.
Faksimilierte Neuausgabe von W. Fraenger i. d. Komischen Bibl. 1922.

Abb. 14. Aus »Callots Neueingerichtetem Zweigen-
kabinett«. Nach dem Neudruck herausgeg. v. W. Fraenger.

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