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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.6495#0043
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Abb. 1. Albrecht Dürer, Die vier nackten Frauen. B. 75. Kupferstich.

Abb. 2. Nicoletto da Modena, Die Göttinnen. B. 62. Kupferstich.

deren drei besaßen. Sandrart hat dann 16751 die Umtaufe in Hexen vollzogen, ungeachtet weder von Bock noch
von Besen etwas zu sehen ist. Auch die vier Fakultäten mußten schon herhalten. Am frühesten hat der italienische
Meister Nicoletto Rosex da Modena, der von 1500 bis 1515 arbeitete, Stellung genommen (Abb. 2). Er ließ den Teufel
weg und stattete die Frauen durch Spiegel, Spindel und Füllhorn zu einer Venus und anderen Göttinnen aus.

Das Rätsel ist bis heute ungelöst. Zur Beurteilung ist außer eingehender Betrachtung ein Zurückgehen auf den
derben Kulturzustand zu Ende des XV. Jahrhunderts am Platz. Numerieren wir die Frauen von rechts her mit I, II, III, IV.
Die Verlängerungen der Treppenkanten rechts geben als Schnittpunkt die Mitte des linken Oberarmes der III. (Nebenbei
sei bemerkt, daß der Horizont die Bildhöhe nach dem Goldenen Schnitt teilt, indem sich das obere Stück zum unteren
verhält wie dieses zur Gesamthöhe.) Mit dem Auge des Zeichners im Fluchtpunkt ergibt sich, daß Dürer als hoch-
gewachsener Mann erheblich tiefer als die Frauen stand und daß er seine Skizze beim Emporsteigen einer Vortreppe
entworfen hat. Er hatte vor sich den durchlaufenden Flur mit den von vorn sich darbietenden Frauen I und II, während
III und IV auf höherer Stufe stehend sich von rückwärts zeigen. Rechts findet der Flur sein Ende am Auftritt zu einer
geschlossenen gotischen Türe. Links stößt schräg eine Wand an, deren viereckige Öffnung den Blick in einen vertieften
Raum freigibt, worin ein Teufel hantiert. Hinten ist der Flur durch eine kahle Mauer abgeschlossen. Von oben herab
hängt eine kürbisförmige Lampe ins Bild herein. Ob sie an einem Wandarm hängt oder an einer Decke, läßt sich nicht
entscheiden, weil auch kein Schatten darauf hinweist. Angezündet ist die Laterne zurzeit nicht. Sie steht wie das ganze
Bild in der Beleuchtung der Sonne von oben rechts.

Die Frauen sind nackt und tragen nur die Köpfe etwas bedeckt. Auf dem Hinterhaupt haben I und II Schleier, und
zwar I auf den glattgestrichenen Haaren, II über einer einfachen Haube. Bei IV sehen wir den damals üblichen Kopfputz
der Nürnberger Bürgersfrauen2 mit einem darüber geschlungenen zarten, bis über die Augen herabreichenden durch-
sichtigen Schleier. Mit grünem Kranz auf offen fliegendem Haar ist III ausgestattet.

Am merkwürdigsten ist die außerordentliche Länge des vom Kopfe der I herabhängenden Schleiers. Denn erzieht
sich quer zwischen den Frauen durch, fällt auf den Flur herab und läuft auf dem Obertritt aus. Alle vier Frauen haben

' Sandrart. Teutsche Akademie, 1675. II. S. 222. — - A. Dürer, Zeichnungen Lippmann, 187 u. 243. Stiche Bartsch 02, 93, 94.
 
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