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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.6495#0076
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immer, schon vom Christoph von 1510 an, ist er derselbe in seiner Ein-
fachheit leicht kenntliche Zeichner. Eine gleiche, wenn auch stilistisch
bewegtere Einheitlichkeit eignet aber auch dem wesentlich anders gearteten
Werk des Vogtherr. Der Versuch, aus dem Leipziger und dem frühen
Augsburger H S um 1524 den Vogtherr des Lebensbaumes sich ent-
wickeln zu lassen, verliert jedoch in dem Augenblick jede Aussicht, in dem
wir in einer sechs Jahre zuvor entstandenen Arbeit Vogtherrs dessen Stil
voll entwickelt und von dem des H S grundverschieden feststellen können.
Es gibt nämlich zu dem von Geisberg XI 34 als Springinklee veröffent-
lichten von Jost Uenegker geschnittenen Bildnis eines H S D ein Gegen-
stück, wenn man so sagen darf, das eben in der 1518 datierten Um-
rahmung des H S D das Brustbild des Königs Ludwig XII. von Frankreich
zeigt (Abb. in Dodgsons Cat. II, Taf. 6 als fraglicher Burgkmair). Während
der H S D mit dem Rahmen aus einem Stück geschnitten worden war,
ist der Kopf des Königs in den alten Rahmen eingesetzt. Nun ist der
König offensichtlich eine Arbeit Vogtherrs, was ich hier zuerst feststelle,
der eben im dritten Jahrzehnt, in dem sie entstand, die Umrahmung noch
besaß, aus der das Bildnis des H S D, das ohne jede Frage gleich-
falls von Vogtherr herrührt, herausgesägt worden war. Ein Künstler
aber, der 1518 eine Leistung von der Lebensfülle des H S D zu bieten
vermochte, kann unmöglich mit so ganz schematischen Arbeiten, wie es die
des H S immer sind, belastet werden. Die Berliner Löwenbändigerinnen
von 1524 und der aus demselben Jahre stammende Schnitt zu Summer-
harts sofort anzuziehendem Kartäuser-Büchlein können nicht aus der-
selben Hand hervorgegangen sein.

Zu der in diesem Zusammenhang nebensächlichen Frage nach der
Person des H S D sei hier kurz bemerkt, daß mir 1926 Konsistorialrat a. D.
Dr. F. Vogtherr, der Verfasser der vortrefflichen Geschichte der Familie
Vogtherr (2. Aufl., Ansbach 1908), aus eigenem Antriebe mitteilte, Heinrich
Vogtherr der Ältere sei nicht, wie es in jener Schrift noch hieß, in
Schwäbisch-Hall, sondern in Dillingen geboren. Damit ist die Buchstaben-
folge H S D erklärt; sie ist mit Henricus Satrapitanus Dilinganus auf-
zulösen. Der Künstler hat in dem H S D-Schnitte sein Selbst-
bildnis gegeben.

Bei der Beantwortung der zweiten Krage, wie lange der H S in
Augsburg gearbeitet habe, dürfen außer Betracht alle Blätter bleiben, die
möglicherweise vor 1522, da Vogtherr in Wimpfen zuerst bezeugt ist,
entstanden sind. Sicher nach 1522 gearbeitete Blätter des H S sind der
Schnitt zu Balaams eselin von Matthis Wurm von Geydertheym, 1523
(Abb. Gilhofer & Ranschburg, Kat. 183, S. 21),i der zu Heinrich Summer-
harts von Colmar Schrift >Ain hüpsche frag von ainem iüngling an ein
altten Cartheüser«, o. 0., 1524 (Abb. Kösel & Pustet, Das XVI. Jahr-
hundert, B, I 5, Taf. 2), die ganze Reihe zum Vegetius, Steiner 1529, mit
Ausnahme des Bildes des Verfassers, das vom älteren Breu herrührt, die
Blätter fol. 50 (der Wolf im Schafspelz) und fol. 71 v (Baum der Sipp-
schaft, Abb. Lcigthon a. a. 0,1 153) in den Officien Ciceros, Steiner 1531
II 162, das Blatt fol. 148 (Hans Unmut und der Klausner Woltrost) im
Teutsch Cicero, Steiner 1535 (es schließt im Formate an die Hauptreihe
der Breuschen Werkstätte), die beiden Obelisken mit Sonne und Mond
fol. 85 des Polydorus, Steiner 1537. Alle diese Blätter sind, wie die
unmittelbaren Bezüge zu den Texten dartun, knapp vor deren Drucklegung
gezeichnet. Der H S ist also dauernd mit Augsburg verbunden. Das war
allerdings Vogtherr, ohne dort zu wohnen, auch; die meisten der von mir
ihm neu zugeteilten Schnitte beweisen, daß der Künstler auch als aus-
wärtiger Meister den stilistischen und geschäftlichen Anschluß an Augs-
burg sorglich gehütet hatte. Aber daß Schnitte des H S nach 1522 sich
nur in Augsburger Drucken, und zwar seit 1523 nur in Steinerschen und
nie etwa in Strassburgcr vorfinden, und daß ferner jene Augsburger Buch-

schnitte durch Jahrzehnte genau so aussehen wie die des Leipzigers H S,
niemals aber so wie die des Vogtherr — von ihm gibt es meines Wissens
keine Augsburger Buchschnitte —, schließt dessen Hand daran endgültig
aus. Die Ansicht, die Nagler seinerzeit als erster geäußert hatte, der II S
sei niemand anderer als Heinrich Steiner, besteht ohne Zweifel
zu Recht. Das mit dem H S versehene Signet, das zuerst in Steiners
Alciatus von 1531 IV 6 (Faksimile in H. Greens A. Alciati Emblematum
Fontes Quatuor. Holbein Society 1870) vorkommt, ist nicht das Signet
des Satrapitanus, sondern das Steiners, das er sich, nachdem er aus dem
Leipziger Kormschneidcr zum Augsburger Buchdrucker sich entwickelt
hatte, späl genug selbst zurechtrichtete. Des H S Verbindung mit Vogtherr
ist lediglich durch die Anklänge gegeben, die die Gottvater ligur über dem
-Born des Lebens« — in der Wortform »Bom< wirken Leipziger Ange-
wöhnungen des Druckers Steiner nach — an die Art des H S hat, sowie
durch ähnliche, aber schwächere, die sich in dem offenbar von Steiner,
der den Stock fortan besaß, in Augsburg gedruckten Nagelzieher (XX 34)
äußern. Es sind zudem nur auf Nebensächlichkeiten beschränkte Trübungen
wie jene, die der von Sebald Böham entworfene Schnitt zu Sachsens
Schafstall Christi erfuhr, als Steiner das Blatt für den von ihm 1524 heraus-
gegebenen Nachdruck kopierte (Abb. in der Zeitschrift für Bücherfreunde,
N. F., XI 1919/20, S. 201). Das kann nicht auffällig sein bei einem Mann,
der wie Steiner gewohnt war, den Zeichenstift selbständig zu führen. Ebenso
wie der Lebensbaum zum Schafstall verhält sich der Stärke Steinerscher
stilmerkmalc nach das Bild des nach Burgkmairs signierter Vorzeichnung
geschnittenen D'Avila in dessen Vanquete (1530) zu dem nach Weiditz
kopierten Kapistran-Blatt von 1519. Von der Zufälligkeit, daß Heinrich
Satrapitanus und Heinrich Steiner dasselbe Signum gebrauchen hätten
können — Vogtherr hat nie mit H S signiert —, darf man sich nicht
beirren lassen. Die Unterlagen kennen zu lernen, auf die Geisberg seine
Ansicht des Falles stützen wird, bin ich begierig. Nach meiner Meinung
wird er am besten tun, die Rubrik Satrapitanus aufzulassen, den Baum
des Lebens dem Werke des älteren Vogtherr einzuteilen, mit der Schlacht
bei Pavia II 21 dem Heinrich Steiner ein Separatkonto zu eröffnen, die
Burg Hohenkrähen XV 20 aber, mit der ich gar nichts anzufangen weiß,
unter die Anonymen zu stellen.:{

Es wurde bei der im vorstehenden gegebenen Auslese des Be-
sprechenswerten vielleicht über Gebühr betont, was von den Blättern
Geisbergs mit ihrer Veröffentlichung durch ihn zum ersten Male zur
literarischen Behandlung kam. Dadurch wird aber der Charakter des
Werkes nicht wesentlich bestimmt. Dies geschieht vielmehr durch das,
was erstmalig zur Abbildung gelangt. Es ist nicht leicht, das abzuschätzen;
doch glaube ich, das Verhältnis eher zu Ungunsten des Neugebotenen zu
drücken, wenn ich sage, drei Viertel der Blätter wurden vordem nie gezeigt,
vom vierten das Wenigste in der Größe der Originale. Die Forderung
darnach auch auf die vielteiligen Holzschnitt-Wandbilder zu erstrecken,
hatte der Herausgeber ursprünglich gar nicht einmal in Erwägung gezogen.
Dazu kannte er offenbar unsere Verleger zu genau. Daß ihn dem seinigen
gegenüber ein Vorurteil befing, erfuhr Geisberg zu seiner freudigen Über-
raschung, als Hugo Schmidt in der Absicht, ganze Arbeit zu macheu,
erklärte, den Grundsatz bei allen Blättern jeden Formates durchführen zu
wollen. Dem Verleger werden wir es also zu danken haben, wenn, wie
wir die Ansicht Augsburgs von Weiditz und das Feldlager vor Ingolstadt
des Hans Mielich von 1546 (XL 24—39) jetzt schon in völlig den Vor-
lagen entsprechenden Nachbildungen besitzen, wir die Riesenblätter
Burgkmairs, Schäufeleins, der beiden Breu, Ostendorfers, der beiden
Vogtherr bald in solchen besitzen werden. Ich hoffe, nach Vollendung der
zweiten Hälfte des Geisbergschen Werkes, in drei oder vier Jahren, an
dieser Stelle darüber berichten zu können. Heinrich Röttinger.

1 Der Druck stammt aus der Offizin des Heinrich Steiner in Augsburg. Das Büchlein, wie der Kat. tut, dem Köpfel in Strassburg zuzuteilen, ist
unbegründet.

2 Der erste paßt sich den Maßen nach an Schnitte Weiditzens, die in dem Drucke wiederholt werden, an, der zweite ist in der zitierten ersten
Ausgabe über den ursprünglich in den Text gedruckten Baum der Stände Weiditzens (Glücksbuch, Buch I, Cap. 16) geklebt, in den folgenden
aber eingedruckt. Je später die Ausgabe, um so zahlreicher die darin verwendeten Zierstücke des H S.

3 Ich berichtige hier, daß Vogtherrs Wunderähre von 1547 (XIX 39) nicht, wie ich in meiner angezogenen Arbeit vermuten zu dürfen glaubte,
von demselben Stock gedruckt worden war, auf den der Meister 1541 den Riesenkornhalm von Malsch gezeichnet hatte.

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