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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.6495#0082
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Mitteilungen der Gesellschaft.

KURATORIUMSVERSAMMLUNG.

Die Jahressitzung des Kuratoriums fand am 14. Juni 1927 im Österreichischen Museum statt. Der Obmann des
Verwaltungsrates, Hofrat Leisching, gedachte des 25jährigen Jubiläums Hofrat Weixlgärtners, des Sekretärs der
Gesellschaft, der aus diesem Anlasse vom Verwaltungsrate feierlich begrüßt und vom Bundespräsidenten durch Verleihung
des goldenen Ehrenzeichens ausgezeichnet wurde. Die Herren Verwaltungsräte Dr. Heymann und Hofrat Med er
wurden aus Anlaß ihres 70. Geburtstages beglückwünscht.

Dann widmete Hofrat Leisching dem verstorbenen Präsidenten folgenden Nachruf:

»Im Juli 1926 hat die Gesellschaft ihren allverehrten Präsidenten Friedrich Wieser durch den Tod verloren. So
mancher seiner Vorgänger, wie insbesondere Hugo Traun und Max Wickenburg, war uns ein wohlmeinender,
hilfsbereiter Freund. Friedrich Wieser aber ist unserer Sache enger verbunden gewesen als irgendein anderer unserer
Präsidenten: als Sohn des Begründers und Organisators unserer Gesellschaft, durch die starken Erlebnisse seiner Jugend
beim Aufbau der Gesellschaft und durch seine persönliche Einstellung zu allen Angelegenheiten der künstlerischen
Kultur. Er bedeutete für uns die Lebendigerhaltung der von seinem edlen Vater Leopold Wieser begründeten guten
und zielsicheren Tradition unserer Vereinigung. Er hat es uns selbst erzählt, wie er als junger Universitätshörer Zeuge
war, als um 1870 die »Gesellschaft für vervielfältigende Kunst« aus dem alten, unter Mitwirkung von Metternich 1830
entstandenen »Kunstverein« herausgewachsen ist, indem von Leopold Wieser und seinen Freunden Lützow, Conze,
Thiiusing und anderen ein nur auf die Pflege der graphischen Künste gerichtetes Programm aufgestellt und die
Begründung regelmäßiger wissenschaftlich-literarischer und künstlerischer Veröffentlichungen alter und neuer Graphik
beschlossen wurde. Das Verhältnis, in welchem Friedrich Wieser zu seinem Vater stand, der durch 30 Jahre die
Seele der Gesellschaft gewesen ist, hielt ihn in stetem Verkehr mit ihren Arbeiten, auch in den langen Jahren, da er fern
von Wien als akademischer Lehrer wirkte. Seine Freundschaft mit Künstlern, Kunstfreunden und Kunstgelehrten, diu
hohe geistige Kultur seiner Familie und das Vorbild seines Vaters wiesen ihn immer aufs neue auf die erziehlichen und
schaffenden Kräfte der Kunst. Die Probleme der Kunst und deren gesellschaftliche Bedeutung standen ihm stets vor
Augen bei seinen tiefgründigen Arbeiten und Untersuchungen als Nationalökonom und Soziologe. Seit seiner Übersied-
lung von Prag nach Wien, wo er die Lehrkanzel Karl Mengers bestieg, gehörte er unserem Kuratorium an; als wir
1920 die Feier des 50jährigen Bestandes unserer Gesellschaft vorbereiteten, war es uns allen ein Herzensbedürfnis, gerade
ihn an die Spitze unserer Vereinigung gestellt zu sehen, mit Freude ist er unserem Rufe gefolgt und er war ganz bei der
Sache. Unter den repräsentativen Männern Altösterreichs, unter jenen, die ihre Stellung nicht dem Zufalle der Geburt und
persönlicher Verbindungen dankten, sondern ihrem Geiste, ihrer Bildung, der Weite ihres Blickes und der Kraft und
Eigenart ihres Führertalents, ist er ein Auserlesener und Begnadeter gewesen. Er vereinigte in sich die liebenswertesten
Eigenschaften des Österreichers mit solchen, die wir selten antreffen: sittlichen Ernst, Zielsicherheit in Lebensauffassung
und Lebensführung, Verbundenheit von starker Selbstbehauptung mit reinster Güte und Duldsamkeit, Freiheit von allem
Schwächlichen und von steter Kompromißbereitschaft. Schon seine Erscheinung zeigte, wie die seines Vaters, eine
sieghafte, Ehrfurcht gebietende Würde. In seinem Verhältnis zu Kunst und Künstlern war er zart und behutsam, sachlich
und objektiv, suchend und lernend, nie vorschnell aburteilend und besserwissenwollend, wie wir es so oft bei denen
fanden, die sich als die berufenen Hüter und Protektoren, als die geborenen Kunstverständigen aufzuspielen liebten. Er
war durchdrungen von dem Bewußtsein, daß wie das historische, so auch das psychische, individuelle Geschehen seine
eigenen Gesetze hat, die mächtiger sind als der Eigenwille derer, die keine Schaffenden sind. Da er ein Schaffender war
und sehr viel vom Künstler in ihm steckte, wie es die hohe Kunstform seiner Rede und seines literarischen Stils bewies,
stand er über der Menge derer, die rasch fertig sind mit dem Worte und nichts haben als dies. Friedrich Wieser ist
vielen als kühl, stolz und unnahbar erschienen. Sein scheinbarer Stolz war wirkliche Würde, seine scheinbare Unnah-
barkeit jene tiefe Demut, die nur ganz ehrlichen, selbstbewußten Menschen eigen ist. Wer ihn genau kannte, fühlte die
Wärme und Güte und die unbeirrbare Wahrhaftigkeit seines Wesens. So schmerzlich uns sein Hinscheiden traf, so
mußten wir ihn doch glücklich preisen, daß er. aus der ungebrochenen Vollkraft seines arbeitsreichen Lebens hinweg-
genommen wurde. Gerade diesen aufrechten starken Mann hätten wir nie durch Alter und Krankheit gebeugt und ver-
kümmert und zur Untätigkeit gezwungen vor uns sehen wollen. Die Erinnerung an ihn wird daher immer das
Ermutigende, Gesunde, Hoffnungsvolle an sich tragen, das von ihm bis in sein hohes Alter ausgestrahlt hat auf alle, die
das Glück hatten, ihm nahezustehen! Wir sind ihm für alles dankbar und werden es nicht vergessen und empfinden es
als eine außerordentlich freundliche Fügung unseres persönlichen Schicksals, daß wir mit einem so starken, ehrlich ringen-
den, vorbildlichen, männlichen Menschen ein großes Stück gemeinsamen Weges zusammen haben zurücklegen dürfen.«

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