Ein Gemäkle aus dem Umkreis der niederländischen Blockbuch-Apokalypse.
Die älteste Blockbuchausgabe der »Apo-
kalypse« hat von jeher im Mittelpunkt der
Forschung über den frühen Holzschnitt ge-
standen. Das Rätsel, das dieses xylographische
Frühwerk sowohl hinsichtlich des Orts wie der
Zeit seiner Entstehung umwitterte, hat immer
wieder die Gelehrten angezogen. Heute sind,
dank der gewissenhaften Publikation Kristellers,1
diese Untersuchungen zu einem gewissen Ab-
schluß gelangt. Der niederländische Ursprung
der Holzschnittfolge wird heute kaum mehr
ernstlich angezweifelt, wenn auch einige fran-
zösische Forscher im Anschluß an Bouchot2 das
Werk für Frankreich zu retten versuchen. Auch
die Datierung 1430—1440 hat sich heute fast
allgemein durchgesetzt, nachdem das berühmt-
berüchtigte Datum 1418 auf dem Brüsseler Holz-
schnitt mit der »Madonna mit Heiligen«, mit der
die »Apokalypse« in zweifellosem Zusammen-
hang steht, als unverbindlich erkannt worden
ist.3 Der ausgesprochene Stil der »Apokalypse«
— charakteristisch die dünnen, hakenförmig
endigenden Linien und das Fehlen jeglicher
Schraffur — gestattete ferner, mit Sicherheit eine
Reihe von verwandten Einblattholzschnitten an
sie anzuschließen. Es sind dies zunächst drei
Blätter in Köln (Sehr. 1168: Madonna mit
Heiligen, Sehr. 607: Jüngstes Gericht, Sehr. 1790:
Die fünf Wunden Christi)4 und — höchstwahr-
scheinlich von der gleichen Hand — ein Blatt
in Nürnberg (Sehr. 1462: Gregorsmesse). Wenn
diese Blätter auch kaum von dem Apokalypse-
Meister selbst sein dürften, so stehen sie ihm
doch so nahe, daß man einen direkten Werkstatt-
zusammenhang annehmen muß. In einem ge-
wissen Abstand schließen sich die Berliner »Madonna in der Glorie« (Sehr. 1108) und die bereits erwähnte Brüsseler
»Madonna mit Heiligen« an, letztere — ebenso wie die Baseler (ehem. St. Gallener) Replik (Sehr. 1161 )5 — wahrscheinlich
die Kopie eines verlorenen Originals. Innerhalb der ganzen Gruppe ist eine deutliche Entwicklung spürbar. Während
in der Faltenführung der »Apokalypse« noch ein Nachhall des sogenannten »weichen Stils« zu spüren ist, werden die
Faltenzüge in den späteren Schnitten immer härter und eckiger, bis sie schließlich in der Berliner »Madonna« zu fast
vollkommenen Geraden erstarren. Den Ursprung des »Apokalypse«-Stils wird man in den nördlichen Niederlanden
suchen müssen: das Nürnberger Blatt trägt eine holländische Inschrift.6 Doch bleibt er in seiner weiteren Entwicklung
nicht auf dies Gebiet beschränkt. Die Berliner »Madonna« macht in ihrer Strenge und linearen Bestimmtheit einen
Abb. 1. Nordniederländischer Meister, Leichnam Christi, von Engeln gehalten. Tafelbild
Berlin, Deutsches Museum.
1 »Die Apokalypse. Älteste Blockbuchausgabe in Lichtdrucknachbildung. Berlin 1926.« Als Vorlage diente die 2. Ausgabe (Münchener Exem-
plar), die von denselben Platten gedruckt ist wie die 1. (Unikum in der John Ryland Library, Manchester) und sich von dieser nur durch die hinzu-
gefügten Signaturen unterscheidet. Die 3. Ausgabe ist eine sklavische Kopie dieser frühesten. Die 4.-6. Ausgaben sind freiere deutsche Varianten
aus der 2. Hälfte des Jahrh. Näheres über die verschiedenen Ausgaben bei Schreiber, Manuel de l'amateur de la gravure sur bois au XV« siecle.
Berlin 1891.
'- Bouchot, Les 200 incunables xylographiques du departement des estampes. Paris 1903.
3 Seltsamerweise versucht Glaser in seinen »Gotischen Holzschnitten, das Datum als terminus der Entstehung wieder glaubhaft zu machen.
1 O. Zaretzky, Die Holz- und Metallschnitte in den Kölner Sammlungen. Straßburg 1914, Tat I, VI, X.
5 Ad. D. Fäh, Kolorierte Frühdrucke aus der Stiftsbibliothek in St. Gallen. Strafiburg 1906, Taf. V.
■ Vergl. I. W. Holtrop, Monuments typographiques des Pays-Eas au XV<= siecle. La Haye 1868, p. 13.
— 24 —
Die älteste Blockbuchausgabe der »Apo-
kalypse« hat von jeher im Mittelpunkt der
Forschung über den frühen Holzschnitt ge-
standen. Das Rätsel, das dieses xylographische
Frühwerk sowohl hinsichtlich des Orts wie der
Zeit seiner Entstehung umwitterte, hat immer
wieder die Gelehrten angezogen. Heute sind,
dank der gewissenhaften Publikation Kristellers,1
diese Untersuchungen zu einem gewissen Ab-
schluß gelangt. Der niederländische Ursprung
der Holzschnittfolge wird heute kaum mehr
ernstlich angezweifelt, wenn auch einige fran-
zösische Forscher im Anschluß an Bouchot2 das
Werk für Frankreich zu retten versuchen. Auch
die Datierung 1430—1440 hat sich heute fast
allgemein durchgesetzt, nachdem das berühmt-
berüchtigte Datum 1418 auf dem Brüsseler Holz-
schnitt mit der »Madonna mit Heiligen«, mit der
die »Apokalypse« in zweifellosem Zusammen-
hang steht, als unverbindlich erkannt worden
ist.3 Der ausgesprochene Stil der »Apokalypse«
— charakteristisch die dünnen, hakenförmig
endigenden Linien und das Fehlen jeglicher
Schraffur — gestattete ferner, mit Sicherheit eine
Reihe von verwandten Einblattholzschnitten an
sie anzuschließen. Es sind dies zunächst drei
Blätter in Köln (Sehr. 1168: Madonna mit
Heiligen, Sehr. 607: Jüngstes Gericht, Sehr. 1790:
Die fünf Wunden Christi)4 und — höchstwahr-
scheinlich von der gleichen Hand — ein Blatt
in Nürnberg (Sehr. 1462: Gregorsmesse). Wenn
diese Blätter auch kaum von dem Apokalypse-
Meister selbst sein dürften, so stehen sie ihm
doch so nahe, daß man einen direkten Werkstatt-
zusammenhang annehmen muß. In einem ge-
wissen Abstand schließen sich die Berliner »Madonna in der Glorie« (Sehr. 1108) und die bereits erwähnte Brüsseler
»Madonna mit Heiligen« an, letztere — ebenso wie die Baseler (ehem. St. Gallener) Replik (Sehr. 1161 )5 — wahrscheinlich
die Kopie eines verlorenen Originals. Innerhalb der ganzen Gruppe ist eine deutliche Entwicklung spürbar. Während
in der Faltenführung der »Apokalypse« noch ein Nachhall des sogenannten »weichen Stils« zu spüren ist, werden die
Faltenzüge in den späteren Schnitten immer härter und eckiger, bis sie schließlich in der Berliner »Madonna« zu fast
vollkommenen Geraden erstarren. Den Ursprung des »Apokalypse«-Stils wird man in den nördlichen Niederlanden
suchen müssen: das Nürnberger Blatt trägt eine holländische Inschrift.6 Doch bleibt er in seiner weiteren Entwicklung
nicht auf dies Gebiet beschränkt. Die Berliner »Madonna« macht in ihrer Strenge und linearen Bestimmtheit einen
Abb. 1. Nordniederländischer Meister, Leichnam Christi, von Engeln gehalten. Tafelbild
Berlin, Deutsches Museum.
1 »Die Apokalypse. Älteste Blockbuchausgabe in Lichtdrucknachbildung. Berlin 1926.« Als Vorlage diente die 2. Ausgabe (Münchener Exem-
plar), die von denselben Platten gedruckt ist wie die 1. (Unikum in der John Ryland Library, Manchester) und sich von dieser nur durch die hinzu-
gefügten Signaturen unterscheidet. Die 3. Ausgabe ist eine sklavische Kopie dieser frühesten. Die 4.-6. Ausgaben sind freiere deutsche Varianten
aus der 2. Hälfte des Jahrh. Näheres über die verschiedenen Ausgaben bei Schreiber, Manuel de l'amateur de la gravure sur bois au XV« siecle.
Berlin 1891.
'- Bouchot, Les 200 incunables xylographiques du departement des estampes. Paris 1903.
3 Seltsamerweise versucht Glaser in seinen »Gotischen Holzschnitten, das Datum als terminus der Entstehung wieder glaubhaft zu machen.
1 O. Zaretzky, Die Holz- und Metallschnitte in den Kölner Sammlungen. Straßburg 1914, Tat I, VI, X.
5 Ad. D. Fäh, Kolorierte Frühdrucke aus der Stiftsbibliothek in St. Gallen. Strafiburg 1906, Taf. V.
■ Vergl. I. W. Holtrop, Monuments typographiques des Pays-Eas au XV<= siecle. La Haye 1868, p. 13.
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