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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.6521#0042
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Zeit, die, nachdem sie der gesetzmäßige-
ren, auf den sinngerechten Ausdruck des
Organischen bedachten Formensprache
der Renaissance überdrüssig geworden
war, unrastig nach neuen, bewegteren
Formen suchte. Fand doch Christoph
Jamnitzer auf seinem Wege bald genug
Nachfolger: Paul Flindt schuf bereits ein
Jahr später (1611) seine »12 Schtucklein
etlicher Schnabelwaidt mit 4 Fandast-
köpfen« und Wendel Dietterlin derJüngere
Friese, gnomenhafte grimmassierende
Mischfiguren und ornamentale Straußge-
bilde in einem Stile, der gleich keck aus-
fahrend und verblüffend auftrat.

Ganz unzweifelhaft aber folgte Jam-
nitzer mit seinen Grotesken nicht nur einem
starken Zuge zum Neuen, sondern auch
einer eingeborenen Naturanlage. Als nor-
discher Künstler gab er sich hier jener
N'eigung zu überströmender Phantastik un-
bekümmert hin, wie sie in Nordeuropa bei
deutschen und niederländischen Meistern
immer wieder einmal elementar sich Bahn bricht. Und man hat vor den verschwenderisch hingestreuten Ausgeburten
seiner Phantasie, die niemals sich wiederholen, den Eindruck, er könne so fortfahren, ohne sich an Erfindung, Beweglich-
keit und Laune je zu erschöpfen.

Als Goldschmied war er ein anderer. Bei der bildnerischen Behandlung edler Materiale und reicher Gefäßformen
stand ihm die wohlige Schönheit, welche in der italienischen Kunst harmonisch-sinnfällige Erscheinung geworden war,
als Führerin obenan. Die eine oder andere seiner Goldschmiedearbeiten verrät wohl eine Vorliebe für Fülle und Pracht,
und man könnte sie vielleicht überladen nennen, wenn sie im gesamten Aufbau und in der Einordnung der Zierformen
nicht so klar und sicher organisiert wären. Andere aber sind wieder ganz bewußt einfach gehalten. Niemals verfällt er
als Goldschmied dem sonderlingshaften Geschmack seines Groteskenbuches.1 Er wird Italien mehr als einmal besucht
und die Kunst der Spätrenaissance und des beginnenden Barock dort studiert, ja mit einer heißen Freude gegrüßt haben.
Darum kann es auch nicht überraschen, wenn dieser schönheitselige Künstler, der neben seinem Großvater Wenzel Jam-
nitzer weitaus der bedeutendste Meister der an Talenten reichen Goldschmiedefamilie der Jamnitzer gewesen ist und
überhaupt zu den hervorragendsten deutschen Meistern seines Faches gehört, an seiner Trionfi-Kanne (Kunsthistorisches
Museum, Wien), diesem herrlichen Gefäß mit Schildereien nach Petrarcas Trionfl, außer seinem Vorfahren Wenzel
Jamnitzer und Dürer gerade zwei große Italiener, Michelangelo und Petrarca, als Männer, deren Ruhm den Sieg über die
Zeit davonträgt, mit anbringt.

Das Groteskenbuch Jamnitzers gibt übrigens, so toll es sich auf vielen Seiten gebärdet, dem italienischen
Geschmack in verschiedenen Gruppen von Radierungen mit Amoretten auch Raum. Ja unser Künstler wendet sich da
mit einem nach südlicher Schönheit durstigen Verlangen der musikalisch wohllautenden Idylle innig zu, und das groteske
Element tritt nur vereinzelt oder nebenher auf. In allen möglichen Stellungen, die die Lagerung und Bewegung der Glieder
im italienischen Sinne offen, deutlich und in plastischer Beziehung reich und fesselnd erscheinen lassen, entwickelt er
die drallen, gesunden Kinderkörper. Seitlich ausgebogene Vorderansichten wechseln mit Dreiviertel- und Rückansichten
von plastischer Kraft, und wie sie beweisen interessante, räumlich wirkende Überschneidungen der Glieder und schön-
fließende Umrisse das volle Verständnis für eine beredte Darstellung des Körpers, wie die Italiener sie gefunden hatten
und mit allem künstlerischen Erfolg zu handhaben wußten. Jamnitzers Putten sind den Putten des Sebaldusgrabes in
St. Sebald zu Nürnberg, den südlich frei und heiter bewegten Erfindungen Peter Vischers des Jüngeren, brüderlich nahe, und
das Flügelkind, das einen Hund umhalst, hat dort einen lieblich-ausgelassenen Verwandten (Abb. 5). Allenthalben regen
sich die Putten des Groteskenbuches höchst lebhaft und alle sind sie irgendwie eifrig beschäftigt, sei es nun. daß sie eine
Wasserspritze handhaben, Seifenblasen steigen lassen, Eier zerstampfen oder musizieren, tanzen und auf Meergeschöpfen

1 Von seinen grotesken Ornamentbildungen verwendet er keine für seine Metallarbeiten, dagegen wiederholt er das Motiv des Putto als Stier-
träger (Radierung Andresen 48), abgewandelt in dem Herkules als Taurifer — als Trager des erlegten kretischen Stieres —, am Fuße der silberver-
goldeten, schön rhythmisierten Schale, die er 1616 im Auftrag des Ernst Haller von Hallerstein als Patengeschenk für Hans Jakob Starck schuf und
die seit 1927 Besitz des Germanischen Xationalmuseums (PI. O. 8393) ist (abgeb. bei Rosenberg, Jamnitzer, Frankfurt 1920, Taf. 84).

Abb. ö. Christoph Jamnitzer. Radierung aus seinem Groteskenbuch. Andresen 44.

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