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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.6521#0043
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reiten.Selbst die unter ihnen,
welche liegen oder sitzen,
erscheinen irgendwie tätig
geartet. Ein solcher Drang
zur Bewegung ist ja echt
barock. Als persönlicher
Einschlag aus der Natur des
Künstlers kommt eine starke
Musikalität noch hinzu, die
in zügigen Kurven gleitet
und manchmal tänzerisch
leicht und frei und festlich-
froh wird. Mit ihr geht die
Tatsache wesentlich über-
ein, daß so und so viele der
Jamnitzerschen Kinder-
genien Musikinstrumente
rühren und daß, auch von
anderen Wesen oder Un-
wesen, Hackbrett, Geige,
Baß, Laute, Horn, Klari-
nette und Posaune ge-
spielt werden. Glöckchen
und Schellen mischen ihr
schwirrendes Getön drein.
Gewöhnlich stellt Jamnitzer
die Kindergestalten in eine
landschaftliche Szenerie
hinein, in der sprießende
Gräser, wucherndes Schilf,

schwanke Bäumchen mit schütterem Laub und auch Ausblicke mit Feldern, Wald und felsigen Höhen bald nahe
erfreuen, bald froh fernwärts locken. Die in 24 Ovale schön hineinkomponierten Putten, welche auf Delphinen und
Seeungeheuern reiten und denen ein Angler, ein Krebsfänger und ein Fischer sich gesellen, treiben ihr munteres
Wesen in weiten Fluß- und Meerlandschaften. Radiert sind die landschaftlichen Beigaben improvisatorisch-frei und
locker, die Körper der Kinder dagegen fest und energisch-bestimmt. Der Goldschmied, der gewohnt ist, plastisch ent-
schieden zu formen, verrät sich hier deutlich. Und er wird ebenso erkennbar in der reliefartigen Darstellung der Figuren,
die ja bei einem so bedeutenden Meister der getriebenen erhabenen Goldschmiedearbeit wie Jamnitzer (vergl. die wunder-
vollen Reliefs der Phaeton-Schalen) nichts Unerwartetes ist. Jamnitzer ätzt seine Figuren und Ornamente in gedrängten,
etwas schweren Linien und schwärzlichen, undurchsichtigen Schatten. Man darf ja auch von ihm, der nur gelegent-
lich zur Radiernadel griff, keine Blätter erwarten, die zeichnerisch unmittelbar, geistreich-skizzenhaft, dramatisch-
kontrastreich und epigrammatisch an einer Stelle zur höchsten Wirkungsgewalt gesammelt sind wie die Radierungen
Rembrandts. Ihm kam es nicht darauf an, Graphik im reinen Sinne zu machen, sondern er wollte dem Überschuß
seiner elastischen Phantasie einen Niederschlag gewähren und zugleich Vorlagen und Anregungen für Goldschmiede-
arbeiten, Schnitzereien und Steinskulpturen ornamentaler Art bieten. So muß man sich - seine radierten Ornament-
gebilde in die Materialsprache und die künstlerischen Wirkungen übersetzt denken, die dem Metall, dem Holz, dem
Stein und anderen festen, für die Bildnerei geeigneten Stoffen entlockt werden können: dann erst erschließt sich ihr
künstlerisches Wesen.

Und das vollends, wenn man die vier gezeichneten Entwürfe zur Würdigung mitheranzieht, deren je einer in der
Budapester Nationalgalerie und in der Würzburger Universitätsbibliothek und deren zwei im Germanischen Museum zu
Nürnberg verwahrt werden. Sie offenbaren in der zuströmenden Fülle der Einfälle und im zügigen Strich der federnden
Linien, wie beweglich, vielfältig und anmutig das Genie Christoph Jamnitzers eigentlich sich zu geben vermochte. Und
sie überbieten die in den Strichlagen ein wenig gehäuften und krausen und in den Dunkelheiten ein wenig tief geätzten
Radierungen insofern, als sie schwebend leicht und licht vorgetragen sind und das helle Feuer der ersten Eingebung und
den feurigen Rhythmus der Bewegungen noch ganz rein und frisch bezeugen. Mit kurvigen Federstrichen, die, oft ab-
setzend, die prallen Körperformen gleichsam nachfühlend abtasten und umfassen, hat er die Kindergestalten und Kinder-
gruppen auf die jetzt in Budapest und Nürnberg befindlichen Skizzenblätter dicht nebeneinander hingezeichnet und mit

Abb. 6, Christoph Jamnitzer,

Entwürfe für sein Groteskenbuch.
Nationalmuseum, Nürnberg.

Lavierte Federskizzen. Germanisches

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