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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.6521#0051
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Abb. 1. Geißelung Christi. Predella des Magdalenen-Altars aus St. Korbinian, jetzt
Lienz, Pfarrkirche.

zwischen Rebhuhn und Futternapf einherstol-
zierenden Pfau1 die nächstliegende Analogie
und gewisse Gemälde Crivellis kaum minder
einleuchtende Entsprechungen bieten. Nicht
etwa die gleichzeitige Empfänglichkeit für nor-
dische und südliche Einflüsse, denen ja der
Hauptmeister von St. Wolfgang kaum minder
zugänglich war, sondern die der Zielstrebigkeit
ermangelnde Art, in der Friedrich Pacher das
fremdzuständige Stilgut verwaltet, entscheidet
schließlich auch hier über die entwicklungs-
geschichtliche Geltung des von manchen Ge-
lehrten immer noch zum »Vorläufer« seines
vermeintlichen Bruders gestempelten Künstlers,
der selbst anläßlich der scheinbar auf Gering-
fügigkeiten beschränkten Abweichungen vom
Schema des Stiches unverweilt die innere Unsicherheit enthüllt, mit der er in formal-ästhetischer wie in inhaltlicher
Hinsicht dem Problem einer einheitlichen Bildgestaltung gegenübersteht: als hätte er die isolierende Funktion des
architektonischen Rahmens nur deshalb im Geiste der Venezianer durch den genrehaften Aufputz der steinernen Umfriedung
verstärkt, um sie desto gründlicher zu vernichten, hegt er kein Bedenken, die dem Statuenschmuck des Gewändes zu-
gedachten Musikanten-Engel als Mitwirkende in die Erlebnissphäre der Taufhandlung einzubeziehen.-

Da sich aus der Fülle und Mannigfaltigkeit der also in ihrer Spannweite determinierten Einzelübereinstimmungen
für den eigensten Tätigkeitsbereich Friedrich Pachers ein langfristiger Kontakt mit dem Stecherwerk ergibt, der vom
formensprachlichen ins kompositionelle Gebiet übergreift und eine gleichmäßige Einfühlung in Blätter der frühesten und
spätesten Entstehungsperiode begünstigt, ist es nicht allzu verwunderlich, daß die Vorliebe für einen so trefflich bewährten
Musterbuch-Ersatz auch in der kulturgeographischen Umwelt des Brunecker Malers an der Tagesordnung bleibt. Käme
freilich bei den verschiedentlich abgestuften °^Sf "-Reminiszenzen der von O. Benesch und anderen unter dem
Fechtnamen des »Meisters von St. Korbinian« versammelten Altartafeln3 mitunter der (zweifellos mit Friedrich Pacher
zu identifizierende) Autor des Katharinen-Altars als Zwischenträger in Frage — eine Rolle, die ihm beispielshalber
angesichts der mit dem Teufel disputierenden Titelheiligen des »Justina«-Altars4 recht wohl zugemutet werden könnte —,
wäre bei dem hl. Johannes des stilistisch zugehörigen »Kreuzigungs«-Freskos in Wengen,r» derSilhouette,Tanzschritt,

1 National Gallery, Catalogue No. 1418; oft abgebildet. Die zumindest im Falle Antonellos sich leicht aufdrängende Vermutun,
habe das in Rede stehende Genremotiv von der niederländisch-burgundischen Miniaturmalerei
übernommen, kann in diesem Zusammenhang nicht nachgeprüft werden. Statt dessen sei auf
sein Nachleben in Carpaccios »Abschied der hl. Ursula von ihrem Vater« (London, Nat.-
Gal.No.3058,Illustrations [1930] PI. 53) verwiesen, wo ein Dompfaff und allerlei absichtsvoll
an gebrachte Pergamentrollen im Sinne Antonellos und Friedrich Pachers die Verräumlichungs-
Tendenzen der der eigentlichen Bildzone vorgelagerten Brustwehr unterstreichen; zum
Ikonographischen des Tiroler Bildes wäre nebenher noch an die besondere Vorliebe der
venezianischen Quattrocentomalerei für die dekorative Verwendung des Pfaus zu erinnern.

2 J.v. Allesch hat diese Inkonsequenz vom strukturpsychologischen Standpunkt sehr
ähnlich beurteilt, jedoch auf jedweden Versuch einer genetischen Erklärung verzichtet: vgl.
»Michael Pacher«, Leipzig 1931,S. 116=»Deutsche Meister«, hg.vonK.Scheffleru. K.GIaser,Bd. 10.

3 Erst ihre vorjährige Überführung in die Pfarrkirche zu Lienz hat eine höchst
dankenswerte Rekonstruktion der betreffenden Altar-Einheiten mit sich gebracht, die der
sinnlosen Übereinanderstaffelung und der falschen Eingliederung der Untersätze ein Ende
bereitet. — Ohne mich berufen (oder durch den Zweck der vorliegenden Abhandlung ge-
zwungen) zu fühlen, den durch diese Bildergruppe stets aufs neue entfesselten Widerstreit
der Meinungen auch meinerseits zu nähren, glaube ich im Hinblick auf ihre stilkritische Auf-
teilung und (relative) chronologische Anordnung am ehesten dem kürzlich veröffentlichten
»Friedrich Pacher«-Artikcl des Prinzen Joseph Clemens von Bayern im »Allgem. Künstler-
Lexikon«,Bd.XXVI(1932),Sp. 120-122 beipflichten zu können, der den Korbinians-Altar F.P.,
den Magdalenen- und Justina-Altar dem als dessen Schüler zu bezeichnenden »Meister
des Neuslifter Barbara-Altars« zuschreibt — wobei mir freilich der absolute Zeitansatz
des zuletzt genannten Werkes doch wohl allzu hoch hinaufzugreifen scheint.

'Auf dem Inncnflügel links oben, vgl. die Abb. 11 bei v. Allesch a. a. O. S.34. Das tertium
comparationis liegt in derFaltengebung, die wiederum an dieSibylle desStiches L. 192,hiemit
aber auch an die oben zitierte Edeldame in der Kerkerszene des Katharinen-Altars erinnert.

5 Teilweise stark verwittert, vgl. Abb. 5 a. a. O. S. 28; die Entstehung des Freskos
dürfte mit der Kircheneinweihung von 1491 zusammenfallen.

Abb. 2. Geißelung Christi. Kupferstich vom
°(B •,&>•■ L. 40.

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