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Miethke, Jürgen [Hrsg.]
Geschichte in Heidelberg: 100 Jahre Historisches Seminar, 50 Jahre Institut für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde — Berlin, Heidelberg [u.a.], 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.2741#0012
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2 Karl Ferdinand Werner

I

„Herr Werner", so wurde der damalige Heidelberger Assistent, der gerade drei
Jahre in Paris verbracht hatte, von aufgeregten Kommilitonen angesprochen, „wir
bekommen Besuch: eine Studentengruppe der Sorbonne - was sollen wir denen vor
allem zeigen?" „Unsere Seminarbibliothek", war meine Antwort, „so etwas haben
sie noch nie gesehen". In der Tat, dem Sorbonne-Geschicbtsstudenten der 50er
Jahre stand eine winzige Handbuch-Ausleih-Bücherei zur Verfügung, und er mußte
in der großen Bibliotneque de la Sorbonne lange anstehen, bis er einen Platz be-
kam, und warten, bis er ein oder zwei schriftlich bestellte Titel vorgelegt bekam -
dann aber galt es schon bald, zur Mittagspause den Platz wieder zu verlassen. Er
bat nie erlebt, was es heißt, in einer Seminarbibliothek von 50 000 Bänden (einmal
ganz abgesehen von den Ausleihmöglicnkeiten in unserer Universitätsbibliothek)
Bücher, auch in fremden Sprachen, Quelleneditionen, Zeitschriftenbände nach Be-
lieben aus den Regalen zu nehmen. Das hätte er auch in den immensen Schätzen
der Bibliotneque Nationale nicht tun können - wenn sie ihm zugänglich wären. Sie
war und ist bereits ausgewiesenen Gelehrten vorbehalten. Vieles hat sich seither in
den französischen Bibliotheksverhältnissen geändert, vor allem in größeren Spe-
zialinstituten. Unverändert ist jedoch das direkte Buch- und Quellenangebot für den
„einfachen" Studenten unendlich viel geringer als bei uns und spielen die verba
magistri eine viel größere Rolle in einem System, das ganz auf das jeweils nächste
„examen ä passer" abgestellt ist, weshalb man sich die Kollegs auch in vervielfäl-
tigter oder gedruckter Form kaufen kann. Die erlernten, memorierfähigen Kennt-
nisse sind ausgebreiteter als bei uns, beruhen aber oft weniger auf eigener An-
schauung und Lektüre und noch weniger auf freier Themen- und Lektürewahl. Man
kennt nicht das aus eigenem Entschluß, oder auf Rat des Kommilitonen oder Leh-
rers gewählte „Spezialgebiet", da die für Prüfungen notwendigen Auswahl-Themen
landesweit für alle gleich vorgeschrieben sind, sogar (und gerade!) bei der
„Agregatian", dem der Elite derjenigen vorbehaltenen Examen, die an Universitä-
ten bzw. in der Oberstufe der Gymnasien („Lycies") lehren wollen.

Damit ist natürlich gar nichts gesagt über die hervorragende Qualität der Ab-
solventen der „Grandes Ecoles", wie der „ENSup", der Ecole Normale Supirieure
in der Rue dlJlm, oder der Ecole Normale Supirieure des Jeunes Filles, die aus
den 300 besten Bewerberinnen ganz Frankreichs jährlich deren 30 aufnimmt. Dort
werden vorzügliche Bibliotheken ständig benutzt, dort entspinnt sich, wie ich selbst
als Gastlehrer erfahren konnte, eine angeregte Diskussion mit ebenso selbständigen
wie gut informierten Studenten. Absolventen solcher Einrichtungen werden auch,
wenn sie denn Universitätslehrer werden möchten, bald einen Lehrstuhl erhalten,
manchmal ohne je (also nicht einmal nebenbei) an einer eigentlichen Universität
studiert zu haben! Aber auch die Universitäten, und nicht nur die in Paris, sondern
seit Jahrzehnten zunehmend führende Hochschulen in der „Provinz", bilden im en-
geren Kreis um den Professor und sein „Siminaire" (hier sind wir bei unserem
Thema) ganz vorzügliche Assistenten und künftige Professoren heran - ganz unab-
hängig vom Studienbetrieb der ersten vier Jähre, der für alle obligatorisch ist Ge-
nerell bleibt es wahr, daß die führenden Historiker, ein Marc Bloch so gut wie ein
 
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