Die Mediävistik bis zum Ende der Weimarer Republik 59
Ernst Kantorowicz, polnisch-jüdischer Herkunft, mehrfach verwundeter
Kriegsteilnehmer, 1919 Mitkämpfer gegen revolutionäre Arbeiterräte sowohl in
Posen als auch in München, war zum Wintersemester 1919/20 nach Heidelberg ge-
kommen und sollte hier eine besonders enge Beziehung zu Stefan George gewin-
nen. Hampes Kolleg über „Europa im 13. Jh." im Sommerhalbjahr 1922 könnte er
ebenso gehört haben wie die Rektoratsrede 1924. Über Kantorowicz' Studium in
Heidelberg ist sonst bekannt, daß er bei von Domaszewski ein glänzendes Referat
über „Die göttlichen Ehren Alexanders" gehalten und bei Gothein eine Dissertation
über „Das Wesen der muslimischen Handwerkerverbände" geschrieben hat.105 Die
Interessen an Ost und West überspannenden Themen sind offenkundig, wie
schließlich das Friedrich-Buch seinen Helden nach antikem Kaiserbild gestalten
wird. 106
Vielleicht hat Gundolfs Caesar-Buch, das 1924 erschien107, erst den letzten An-
stoß zu dem Wagnis gegeben, ein Buch über den Stauferkaiser zu schreiben. Wir
wissen heute aber auch, daß Friedrich Wolters um Ostern 1924 gemeinsam mit
Freunden, unter ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit Kantorowicz, am Grabe Fried-
richs in Palenno einen Kranz niedergelegt hatte, den Kantorowicz dann im Vor-
wort seines Buches in Georgeschen Formeln erwähnt: „ ... lag an des Kaisers Sar-
kophag ... ein Kranz mit der Inschrift: Seinen Kaisern und Helden / Das geheime
Deutschland". In einem Brief vom April 1924 aus Neapel, wo im Mai die 700-Jahr-
Feier der von Friedrich begründeten Universität begangen wurde, teilte Kantoro-
wicz dem Meister mit: „ ... alle Zeitungen sind schon jetzt voll von Hymnen auf
den großen Kaiser, der - wie Mussolini - eine Italia imperiale habe errichten wol-
len - kurz Friedrich II. wird zum Träger des Faschistentraumes und man schwelgt
'nell'ombre del Svevo gloriosissimo'".108
durch Wolfram von deo Steinen insoweit positiv aufgenommen, als „sie neben manchen
anderen Anzeichen in einem Teil unserer Jugend wieder ein unmittelbar lebendiges Ver-
hältnis zu Friedrich, mehr im Sinne Nietzsches, verraten und sich bemühen, es auch ande-
ren mitzuteilen. Ein dämonisches Schicksal, so heißt es da etwa, bedeute mehr als hun-
derttausend sinnlose Opfer".
)5 Diss. Ms. 1922; Exemplar in der Universitätsbibliothek; Grünewald, S. 48,54-56.
K Das zentrale Kapitel über Friedrichs Kreuzzug beginnt: „Die letzte Stufe der Weltherr-
schaft beschritt in allen Zeiträumen abendländischer Geschichte nur, wer auch den Orient
.... die andere Welt in sein Reich einbezog" (I. S. 154) - er nennt das: die Monarchie
verjüngt nach dem Westen zurückführen - oder: den Nimbus des Gottes einholen. Auch
wußte Kantorowicz die Ideale islamischer Männerbünde mit denen des Rittertums zu-
sammenzubringen, wenn er von ,jitterordensähnliche(r) Futuwwa-Gesellschaft" spricht
(II. S. 68) und Kaiser und Sultan „ritterliche Gemeinschaft" pflegen - „Feirefiß, des Par-
zival gefleckter Bruder" (I. S. 174). Edgar Salin will seinerseits nach dem Alexander-Re-
ferat des Studenten gegenüber von Domaszewski die Bemerkung gemacht haben, daß er
- Domaszewski - nun wohl seinen Nachfolger kenne, jedoch soll dieser abgewinkt und
Kantorowicz auf die Geschichte Byzanz' und der Juden verwiesen haben, in der man
Heils- und Weltgeschichte vereinen könne (Grünewald, S. 47 f.).
17 Friedrich Gundolf, Caesar. Geschichte seines Ruhms (Berlin 1924).
18 Grünewald, S. 65-67.
Ernst Kantorowicz, polnisch-jüdischer Herkunft, mehrfach verwundeter
Kriegsteilnehmer, 1919 Mitkämpfer gegen revolutionäre Arbeiterräte sowohl in
Posen als auch in München, war zum Wintersemester 1919/20 nach Heidelberg ge-
kommen und sollte hier eine besonders enge Beziehung zu Stefan George gewin-
nen. Hampes Kolleg über „Europa im 13. Jh." im Sommerhalbjahr 1922 könnte er
ebenso gehört haben wie die Rektoratsrede 1924. Über Kantorowicz' Studium in
Heidelberg ist sonst bekannt, daß er bei von Domaszewski ein glänzendes Referat
über „Die göttlichen Ehren Alexanders" gehalten und bei Gothein eine Dissertation
über „Das Wesen der muslimischen Handwerkerverbände" geschrieben hat.105 Die
Interessen an Ost und West überspannenden Themen sind offenkundig, wie
schließlich das Friedrich-Buch seinen Helden nach antikem Kaiserbild gestalten
wird. 106
Vielleicht hat Gundolfs Caesar-Buch, das 1924 erschien107, erst den letzten An-
stoß zu dem Wagnis gegeben, ein Buch über den Stauferkaiser zu schreiben. Wir
wissen heute aber auch, daß Friedrich Wolters um Ostern 1924 gemeinsam mit
Freunden, unter ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit Kantorowicz, am Grabe Fried-
richs in Palenno einen Kranz niedergelegt hatte, den Kantorowicz dann im Vor-
wort seines Buches in Georgeschen Formeln erwähnt: „ ... lag an des Kaisers Sar-
kophag ... ein Kranz mit der Inschrift: Seinen Kaisern und Helden / Das geheime
Deutschland". In einem Brief vom April 1924 aus Neapel, wo im Mai die 700-Jahr-
Feier der von Friedrich begründeten Universität begangen wurde, teilte Kantoro-
wicz dem Meister mit: „ ... alle Zeitungen sind schon jetzt voll von Hymnen auf
den großen Kaiser, der - wie Mussolini - eine Italia imperiale habe errichten wol-
len - kurz Friedrich II. wird zum Träger des Faschistentraumes und man schwelgt
'nell'ombre del Svevo gloriosissimo'".108
durch Wolfram von deo Steinen insoweit positiv aufgenommen, als „sie neben manchen
anderen Anzeichen in einem Teil unserer Jugend wieder ein unmittelbar lebendiges Ver-
hältnis zu Friedrich, mehr im Sinne Nietzsches, verraten und sich bemühen, es auch ande-
ren mitzuteilen. Ein dämonisches Schicksal, so heißt es da etwa, bedeute mehr als hun-
derttausend sinnlose Opfer".
)5 Diss. Ms. 1922; Exemplar in der Universitätsbibliothek; Grünewald, S. 48,54-56.
K Das zentrale Kapitel über Friedrichs Kreuzzug beginnt: „Die letzte Stufe der Weltherr-
schaft beschritt in allen Zeiträumen abendländischer Geschichte nur, wer auch den Orient
.... die andere Welt in sein Reich einbezog" (I. S. 154) - er nennt das: die Monarchie
verjüngt nach dem Westen zurückführen - oder: den Nimbus des Gottes einholen. Auch
wußte Kantorowicz die Ideale islamischer Männerbünde mit denen des Rittertums zu-
sammenzubringen, wenn er von ,jitterordensähnliche(r) Futuwwa-Gesellschaft" spricht
(II. S. 68) und Kaiser und Sultan „ritterliche Gemeinschaft" pflegen - „Feirefiß, des Par-
zival gefleckter Bruder" (I. S. 174). Edgar Salin will seinerseits nach dem Alexander-Re-
ferat des Studenten gegenüber von Domaszewski die Bemerkung gemacht haben, daß er
- Domaszewski - nun wohl seinen Nachfolger kenne, jedoch soll dieser abgewinkt und
Kantorowicz auf die Geschichte Byzanz' und der Juden verwiesen haben, in der man
Heils- und Weltgeschichte vereinen könne (Grünewald, S. 47 f.).
17 Friedrich Gundolf, Caesar. Geschichte seines Ruhms (Berlin 1924).
18 Grünewald, S. 65-67.