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Fünftes Kapitel.
religiösen Charakters willen, ein viel treuerer Ausdruck der
volkstümlichen Cultur und Tradition; zahlreiche scheinbare Be-
rührungspunkte mit den Stoffen der epischen Dichtung gehen
lediglich auf diese gemeinsame Quelle zurück. Dies gilt nament-
lich von dem Bilderkreis, den nach gangbarer Anschauung die
Odyssee geliefert haben soll. Ehe wir jedoch zum Bildlichen
zurückkehren, verfolgen wir den aufgenommenen Faden der
mythischen Entwickelung an einer ihrem Ursprung und ihrer
Tendenz nach keineswegs sehr verschiedenen Dichtungsgattung:
an der Poesie und zwar in erster Linie an der Theogonie
Hesiod’s.
Die genealogische Dichtung wird ihre Aufgabe um so
glücklicher lösen, je weniger sie erfindet und je besser sie
die eigene Zuthat verbirgt. Sie hat die volkstümliche, und
wäre es auch nur die locale, Tradition zu belauschen und die
Verzweigung des Stammbaums, wo eine solche nicht bereits
gegeben ist, nach den Gesetzen innerer Wesensverwandtschaft
zu organisiren. Unter dieser Voraussetzung ist es freilich auch
der hesiodischen Dichtung gegenüber nicht leicht, in jedem Falle
die zudichtende Iland von der ursprünglichen Ueberlieferung
zu unterscheiden. In der Regel wird man jedoch auch hier
erwarten dürfen, in den obersten und allgemeinsten Anknü-
pfungen das der Speculation entsprungene, verbindende Element
zu finden, während die einzelnen Gruppen umsomehr mythi-
schen Gehalt vermuten lassen, je geschlossener sie auftreten.
Als solche festen Ausgangspunkte stellen sich einerseits das
Geschlecht der Titanen (Theog. 134 fg.), unter ihnen nament-
lich das des Kronos (v. 453 fg.) und Japetos (507 fg.) dar,
andererseits besonders die Ausgeburten des Thaumas und des
Phorkys (v. 265-—336). Der letztere Kreis fordert unsere
Aufmerksamkeit in besonderm Grade heraus, weil er gerade
diejenigen dämonischen Erscheinungen umfasst, auf deren innern
Zusammenhang wir bereits oben von ganz anderm Standpunkt
Fünftes Kapitel.
religiösen Charakters willen, ein viel treuerer Ausdruck der
volkstümlichen Cultur und Tradition; zahlreiche scheinbare Be-
rührungspunkte mit den Stoffen der epischen Dichtung gehen
lediglich auf diese gemeinsame Quelle zurück. Dies gilt nament-
lich von dem Bilderkreis, den nach gangbarer Anschauung die
Odyssee geliefert haben soll. Ehe wir jedoch zum Bildlichen
zurückkehren, verfolgen wir den aufgenommenen Faden der
mythischen Entwickelung an einer ihrem Ursprung und ihrer
Tendenz nach keineswegs sehr verschiedenen Dichtungsgattung:
an der Poesie und zwar in erster Linie an der Theogonie
Hesiod’s.
Die genealogische Dichtung wird ihre Aufgabe um so
glücklicher lösen, je weniger sie erfindet und je besser sie
die eigene Zuthat verbirgt. Sie hat die volkstümliche, und
wäre es auch nur die locale, Tradition zu belauschen und die
Verzweigung des Stammbaums, wo eine solche nicht bereits
gegeben ist, nach den Gesetzen innerer Wesensverwandtschaft
zu organisiren. Unter dieser Voraussetzung ist es freilich auch
der hesiodischen Dichtung gegenüber nicht leicht, in jedem Falle
die zudichtende Iland von der ursprünglichen Ueberlieferung
zu unterscheiden. In der Regel wird man jedoch auch hier
erwarten dürfen, in den obersten und allgemeinsten Anknü-
pfungen das der Speculation entsprungene, verbindende Element
zu finden, während die einzelnen Gruppen umsomehr mythi-
schen Gehalt vermuten lassen, je geschlossener sie auftreten.
Als solche festen Ausgangspunkte stellen sich einerseits das
Geschlecht der Titanen (Theog. 134 fg.), unter ihnen nament-
lich das des Kronos (v. 453 fg.) und Japetos (507 fg.) dar,
andererseits besonders die Ausgeburten des Thaumas und des
Phorkys (v. 265-—336). Der letztere Kreis fordert unsere
Aufmerksamkeit in besonderm Grade heraus, weil er gerade
diejenigen dämonischen Erscheinungen umfasst, auf deren innern
Zusammenhang wir bereits oben von ganz anderm Standpunkt