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Mincoff-Marriage, Elizabeth
Poetische Beziehungen des Menschen zur Pflanzen- und Tierwelt im heutigen Volkslied auf hochdeutschem Boden — Bonn: P. Hanstein's Verlagshandlung, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.70221#0094
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84 Marriage.
reist er ihr nach und bittet sie zurückzukommen. Aber sie
will nicht, denn hier bekommt sic Käse, Brot und Wein statt
des „Binnlewasserlein“ das er ihr gegeben.1) (Kuhld. 7.)
Ebenso eingehend werden die Lebensverhältnisse der
Amsel und des Spechts geschildert (Gottschee Nr. 93); auch
hier handelt es sich um die Wintersnot. Die schwarze Amsel,
als wilder Waldvogel, nistet sich für den Winter in eine hohle
Buche ein, und sammelt Proviant von roten und schwarzen
Beeren. Indes der zahmere Specht, in seiner hohlen Stein-
wand, verlässt sich auf Weizen und Hirse in den Getreide-
kasten der Bauern. Jeder findet die Lebensweise des anderen
unpraktisch, aber die Amsel behält schließlich recht, indem
der Specht Hungers stirbt.
So eng verwant denkt sich das Volk die Lebensweise
der Tiere mit der seinigen, dass es sich selbst um die Be-
kleidung derselben kümmert. Die Hosen der Tiere werden
mehrfach erwähnt (z. B. die des Kukuks S. 179). Der Jäger
zieht dem Hasen Pelz und Hosen aus (Lh. I 523), wie auch
der Storch dem Frosch, dem „guten einfältigen Schwaben“
die grünen Hosen über die Ohren abzieht (Schweiz II 215).
Der Staar wäscht sich seine schwarzen Hosen, die doch nicht
weiß werden (Schweiz II 214). Verbreitet ist auch das Lied
von den Schuhen der Gänse, die niemals zu Stande kommen,
weil der Schuster zwar Leder dazu hat, aber keine passende
Leisten. (Umgekehrt ist der Fall Schlesien 325.) Der falsche
Ulinger erklärt das Girren der warnenden Taube als eine
Klage, dass sie den ganzen Winter barfuß, mit kalten Füßen
gehen muss.
Der Anthropomorphismus hat sich also bis in jedes ein-
zelne Moment im Leben und Gefühl des Tiers eingedrängt.
* *
*
Fassen wir jetzt das kurz zusammen, was wir gefunden
haben: das Ergebnis lässt sich in den Worten Kobersteins
ausdrücken: „Das bloße Natürliche erscheint ganz mit persön-
licher Empfindung, und mit menschlichem Bewusstsein erfüllt;
oder das individuelle Menschenleben hat sich völlig in ein,
zwar noch immer besondres, aber dabei bewusstloses Natur-
leben umgesetzt.“ (Wm. Jb. I 74.)

*) Vgl. ein ähnliches Märchen von Raben. Uhland Sehr. III 74.
 
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