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Bibliotheca Hertziana [Hrsg.]; Bruhns, Leo [Gefeierte Pers.]; Wolff Metternich, Franz [Gefeierte Pers.]; Schudt, Ludwig [Gefeierte Pers.]
Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 16: München: Schroll, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.48462#0049

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DIE GESTALT DES SANDALENLÖSERS IN DER
MITTELALTERLICHEN KUNST
von Hildegard Giess
Die Vorstellung, daß Leder ein kultisch unreiner Stoff sei und somit im Dienste der Gottheit nicht oder
nur unter bestimmten Voraussetzungen verwendet werden dürfe, ist in der antiken Welt des Mittelmeer-
kreises weitgehend verbreitet gewesen1. Diesem aus der Haut toter Tiere gewonnenen Material haftet
noch eng der Begriff des Todes selbst an, der zur Verunreinigung des Heiligtums führt. ,,Etwas von Leder
zu bringen hinein in das heilige Haus / verbietet die Satzung; / Was dem Tode entstammt, soll nicht
verletzen ( des Altares) / heilige Flamme.“2
Gewöhnliche Ledersandalen durften daher von gottgeweihten Personen und in dem heiligen Bezirk des
Tempels nicht getragen werden. Nur Fußbekleidung aus Pflanzenfasern, Leinen, Papyrusbinsen oder Bast
war gestattet; gelegentlich konnte auch die Haut der zu Ehren des Gottes getöteten und somit geheiligten
Opfertiere verwendet werden. Darüber hinaus war es den Priestern vorgeschrieben, zur Ausführung
kultischer Handlungen sich jeglichen Schuh Werkes zu entledigen. In den geknoteten Bändern, die zu
dessen Befestigung dienten, sah man wohl bindende, hindernde Kräfte, die den freien Zugang zur
Gottheit nicht gestatteten3. Die Darstellung einer Opferszene im Tempel der Palmyrenischen Götter
zu Dura Europos (69—114 n. Chr.) gibt uns ein getreues Abbild des kultischen Brauches: Die am-
tierenden Priester sind barfuß gemalt, während die ihnen assistierenden und dem Opfer beiwohnenden
Personen Schuhe aus weißem Leinen tragen4. In diese Tradition reiht sich auch der Befehl ein, den der
Herr dem Moses am Berge Horeb gab: „Löse die Schuhe von Deinen Füßen, denn die Stätte, auf der
Du stehst, ist heiliges Land.“5 Gleiches verlangte von Josua der Engel mit dem Schwert6. Die Christen
behielten den Brauch, bei gewissen Riten die Schuhe auszuziehen, bei. „Sie sind nämlich der Mei-
nung,“ so kommentiert Johannes Cassianus diesen Brauch bei den ägyptischen Mönchen, „es müsse
auch dem Buchstaben nach beobachtet werden, was von Gott dem Moses und auch Jesus dem Sohne
Naves geboten war . . .“7
Der „Befolgung nach dem Buchstaben“ steht die allegorische Ausdeutung gegenüber, wie sie in der
Schule von Alexandrien gepflegt wurde. Das Abziehen der Sandale wird hier dem Ablegen von Sünde
und Sterblichkeit gleichgestellt. ,,,Löse die Riemen deiner Schuhe8, denn der Ort, auf dem du stehst, ist
heiliges Land/ Und wie können wir glauben, daß in diesen Worten nicht etwas von einem Geheimnis sei,
sondern Gott dies befohlen habe, weil er bei Moses die körperlichen Schuhe rügen wollte ? Oder ist viel-
mehr anzunehmen, daß Moses, als er aus dem Lande Ägypten auszog, Schuhe von toten Fellen hatte und
in eine gewisse Sterblichkeit verstrickt war. Da er aber angefangen hat, zur Tugend fortzuschreiten und
zum Berge Gottes emporzusteigen und dort den unsterblichen Mysterien zu dienen, da wird zu ihm
gesagt, daß er die Zeichen der Sterblichkeit ablegen solle, die in den Schuhen aus Leder kund getan wer-
den . . ,“9 In gleicher Weise wird auch das Gebot Jesu an seine Jünger, keine Schuhe zu tragen10, gedeutet:
„Schuhe, was bedeutet dieses?“ fragt Augustin, die Auslegung des Origenes aufnehmend, „die Schuhe,

1 Vgl. dazu allgemein: Ph. Oppenheimer, Artikel Barfüßigkeit, in: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 1, 1950, Kol.
1186—1193; L. Molinier, Le pur et l’impur dans la pensee des Grecs, Paris 1952, S. 103/104. Speziell: Th. Wächter, Reinheits-
vorschriften im griechischen Kult, Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten, Bd. 9, 2, Giessen 1910, S. 23-58; F. Cumont,
Fouilles de Doura Europos, Paris 1926, Textband, S. 60-64; F. J. Dölger, Das Schuhausziehen in der altchristlichen Tauf-
liturgie, Antike und Christentum, Bd. 5, 2, Münster 1936, S. 95—108.
2 Ovid, Fastorum I, 629f., in der Übersetzung zitiert nach Dölger, Schuhausziehen, S. 106.
3 Wächter, Reinheitsvorschriften, S. 21 u. 23.
1 Abb. Cumont, Doura Europos, Atlas, T. XXXI u. XXXIII.
5 Exodus 3, 5; vgl. E. Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes, Leipzig 1889, Bd. II, S. 282.
6 Josua 5, 16.
7 Johannes Cassianus (ca. 360—430/35), Inst. I, 9, 1, CSEL 17, 14, Z. 20—26, Petschenig, Übersetzung nach Dölger, Schuh-
ausziehen, S. 103.
8 Zur Auslegung des Lösens der Schuhriemen als Lösen von der Sünde vgl. F. J. Dölger, Das Lösen der Schuhriemen in der
Taufsymbolik des Klemens v. Alexandrien, Antike und Christentum, Bd. 5, 2, Münster 1936, S. 87-94.
9 Origenes (184-253), In Librum I Reg., Homilia I, 6 (VIII, 10Z, 22-UZ Baehrens). Übersetzung nach Dölger, Schuhausziehen,
S. 98.
10 Matth. 10, 10; Luc. 10, 4.
 
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