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Bibliotheca Hertziana [Hrsg.]; Bruhns, Leo [Gefeierte Pers.]; Wolff Metternich, Franz [Gefeierte Pers.]; Schudt, Ludwig [Gefeierte Pers.]
Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 16: München: Schroll, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.48462#0370

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BERNINIS HL. LONGINUS

von Hans Kauffmann
Die Gestalt des hl. Longinus, der mit seiner Lanze dem Gekreuzigten die Seite öffnete und durch dessen
Blut von Blindheit geheilt wurde, steht seit der Karolingerzeit (S. Maria Antiqua) in der Bildkunst
einigermaßen fest1. Unter den nicht allzu zahlreichen neueren Darstellungen - hat sich doch seine Ver-
ehrung nicht allgemein verbreitet - treten zwei Grundformen auseinander, je nachdem er als Heiliger
neben Heiligen oder in der Szene seiner Bekehrung unter dem Kreuz vorgeführt wird. Ausgereifte Bei-
spiele hat Mantua, die Stätte seines Grabs in S. Andrea, anzubieten: Prägungen von Andrea Mantegna,
Giulio Romano und seiner Gefolgschaft2. Für sich allein oder als Assistenzfigur zeigt sich der bärtige
Mann in der Tracht eines römischen Soldaten, zuweilen mit einem Schwert umgürtet, den bebuschten
Helm auf dem Haupt oder demütig zu Boden gesetzt; seine Lanze, von der sich sein Name herleiten soll,
handhabt er weder als Waffe noch als Stütze, sondern nimmt sie behutsam an sich oder zeigt sie aus-
drücklich her; in Giulio Romanos Altarbild hält er außerdem noch das Ostensorium mit dem Blute
Christi. Dagegen sieht man ihn im Kalvarienberggeschehen mehr oder weniger herausgehoben, nicht
selten zu Pferde; noch als Blinder, dem ein Sehender die Hand führt, richtet er den Stahl gegen die
Brust des Gekreuzigten - Konrad von Soest; in Rubens’ „Coup de Lance“ freilich mit offenen Augen -
oder wunderbar geheilt und bekehrt bekennt er sich zu Christus. Als mit dem 16. Jahrhundert Pathos-
formeln Raum gewannen, wurde Affektausdruck, wie zuvor bei Magdalena oder Johannes unter dem
Kreuz, auf Longinus übertragen. So wirft in Lorenzo Lottos größtem Altarbild von 1531 für S. Maria
in Telusiano (Monte S. Giusto) der Berittene in leidenschaftlicher Hingabe dem Heiland beide Arme ent-
gegen, während er seine geheiligte Lanze, groß und als einzige unüberschritten, am Nacken seines Schim-
mels lehnen läßt3. Noch nachdrücklicher sammelte Rinaldo Mantovano, wie Vasari glaubhaft berichtet,
nach einem Entwurf des Giulio Romano, im Kreuzigungsfresko der Longinuskapelle von S. Andrea in
Mantua die Aufmerksamkeit auf ihn, der im Vordergrund neben seiner abgelegten Lanze kniet, zum
hohen Kruzifix verehrungsvoll aufblickt und beide Hände - in der linken das gläserne Ostensorium -
erhebt4, nicht unähnlich durch Vermittlung des Meisters mit dem Würfel dem „Knieenden Hauptmann“
in Rembrandts „Drei Kreuzen“ (B 78, 1653).
Keiner dieser Reihen fügt sich Berninis Heiligenstatue ein, vielmehr macht es ihre Besonderheit und
Neuartigkeit aus, daß sie beide Typen, den repräsentativen und den narrativen, miteinander verschmilzt
(Abb. 260). Der Bildhauer versetzte die Figur in ein Geschehen, belebte die Statue mit erzählerischer
Aussage. Keiner der Einzelfiguren steht Longinus an Genauigkeit der Attribute nach, aber die Gebärde
zeugt von dem Bekehrungswunder auf dem Kalvarienberg. Zu einer Synthese aus breiterer Überschau
hat sich der Künstler erhoben; Mantuanisches kann ihm, bevor das Monument der Markgräfin Mathilde
seinen Blick dorthin lenken mochte, bekannt geworden sein. Doch überbietet sein Longinus alle früheren
Bilder dieses Heiligen durch nahezu symmetrische Ausbreitung seiner Arme: während er mit der Rechten
die Lanze - die Abbildung der in St. Peter verwahrten Reliquie5 - von sich abrückt und dem Beschauer vor
1 Legenda aurea. Dt. v. R. Benz. Jena 1925, 1. Bd., 306f.; H. Detzel: Christi. Ikonographie, 2. Bd., Freiburg 1896, 490f.;
Fr. v. S. Doye: Heilige und Selige, 1. Bd., Leipzig 1929, 695; L. Reau: Iconographie de l’Art chretien, Vol. 3, 2, Paris 1958,
812ff.; Lutz-Perdrizet : Speculum hum. salv. (1907—1909), 31 und 203. Symbolische Nebengedanken, die sich an Longinus
angeheftet haben, finden sich bei Phil. Picinellus, Mundus symbolicus, Coloniae 1687, 230, aufgeführt.
2 Mantegnas Madonna della Vittoria (Louvre) und sein Stich B 6; Giulio Romanos Altarbild aus der Longinuskapelle (Kapelle
der Isabella Boschetta) von S. Andrea in Mantua (um 1532-1534; Fr. Hartt: Giulio Romano. New Haven 1958, 1. Bd., 208ff.,
und 2. Bd., Fig. 441). In einer der Nordkapellen ebenda wandfüllender Marienaltar von unbekannter Hand um 1600, in dessen
oberer Zone zwei große Schnitzfiguren Andreas und Longinus, letzterer im Typus von G. Romanos Altarfigur; Longinus blickt
zum Kreuzigungsfresko der Nachbarwand hinüber. Eine Alabasterfigur von Jacques Dubrceucq in St. Waudru-Mons (De Triomf
van het Manierisme. Amsterdamer Ausstellung 1955, 166, Nr. 315).
3 Mostra di Lorenzo Lotto. Cat. a cura di P. Zampetti. Venezia 1953, 133ff., Nr. 80; A. Banti: Lorenzo Lotto. Firenze 1953,
42ff. (Notizen über Wünsche des Stifters Bischof Bonafede).
4 Fr. Hartt: a. a. O., I, 208ff. und II, Fig. 439.
5 Wie Berninis hl. Bibiana auf dem Hochaltar über ihrem und ihrer Mutter Sarkophag (A. Nibby: Roma nell’anno 1838. Roma
1839, 134ff.) ist die Longinusstatue eine Reliquienfigur zwischen dem Altar in den Grotten und dem Reliquiengehäuse über dem
Balkon mit dem Relief der Reliquienapotheose; über die Hl. Lanze vgl. Giovanni Severano : Memorie sacre delle Chiese di Roma.
Roma 1630, 160ff. E. Male, L’Art religieux du XVIIe siede, Paris 1951, 105.
 
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