Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 2.1888

DOI Artikel:
Spitzer, Emanuel: Heimliche Lektüre
DOI Artikel:
Schachinger, Gabriel: In der Premiere
DOI Artikel:
Thumann, Paul: In der Sommerzeit
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47974#0099

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
34

MODERNE KUNST.

die Nachricht von einem Eisenbahn-Unfall eingetroffen ist. Das interessante
Bild machte grosses Aufsehen und verdiente das ihm allerseits gespendete
Lob in jeder Weise. In seinen weiteren Bildern, die „Ueberraschung einer
Braut durch den unvermuthet angekommenen Bräutigam“ und „Die Mama
hat’s Tanzen erlaubt“, verwerthete er Motive aus dem Wiener Leben. An
diese Arbeiten schlossen sich dann an: „Die Lehrerin kommt“, „Sei wieder
gut“ und „Heimliche Lektüre“. Diese Bilder riefen grosses Entzücken
namentlich bei den Frauen hervor, die an den heiteren Stoffen, welche in
ihnen so manche Erinnerung wachrufen mussten, ihre Freude hatten. Es
giebt auch nichts Drolligeres, als das Bild „Die Lehrerin kommt“ — wie
auf einen Zauberschlag verändert sich der lustige Uebermuth der jungen I
Damen, die noch eben allerhand Allotria treiben, in gesetzte Würde, jede ,
eilt den Platz zu gewinnen, ehe der Eintritt der Lehrerin erfolgt, und dieses
anmuthige Chaos ist mit so trefflicher Charakteristik und mit so gründlicher
Kenntniss des Backfischwesens dargestellt, dass das Bild eine Lebenswahrheit
aufweist, wie sie selten bei ähnlichen Motiven zu finden ist. In „Sei wieder
gut“ ist eine Ehestandsgeschichte mit flottem Humor wiedergegeben. Mann
und Frau haben sich gezankt — schmollend sitzt sie auf dem Sofa, das
Haupt sorgenvoll gestützt, während er, nicht wie ein reuiger Sünder, sondern
fröhlich lächelnd, das gefüllte Glas in der Linken, sich ihr nähert, um Frieden
zu schliessen. Noch sträubt sie sich, an seine Brust zu sinken und mit einem
Kuss die Versöhnung zu besiegeln, aber der gewiegte Menschenkenner
wird über den Ausgang der Affäre nicht in Zweifel sein. Der kleine Zwist
ist bald vergessen, und die junge Frau, welche jetzt noch aussieht, als sei
ihr das grösste Unrecht geschehen, wird am hellsten darüber lachen, dass
sie sich die dumme Sache so zu Herzen genommen. Die vertrauliche Aus-
sprache, bei der Küsse und Umarmungen die Hauptrolle spielen, hat den
letzten Zweifel, die letzten Sorgen verscheucht, und wie auf Sturm und
Regen der Sonnenschein folgt, so wird auch im traulichen Gemach von
nun an wieder der Frohsinn und die Liebe herrschen. Ohne kleine „Scenen“
spielt sich nun einmal kein Eheleben ab, und wohl dem Gatten, dem das
Zauberwort „Sei wieder gut“ so leicht und mühelos zum Siege verhilft, wie
dem Helden unserer kleinen Ehestandsgeschichte.
„Heimliche Lektüre“, das die vorliegende Lieferung schmückende Bild,
giebt ein anderes Kapitel aus dem Backfischleben. Jedermann kennt den Reiz,
den das verbotene Schmökern in jungen Jahren ausübt. So manche Schul-
stunde geht verloren, weil das unter dem Tisch befindliche Buch die Aufmerk-
samkeit des Schülers mehr in Anspruch nimmt, als der Vortrag des Lehrers.
Und dann die geheimen Zusammenkünfte zur Nachtzeit, die der Lektüre von
Romanen oder Dramen gewidmet sind. Dass die jungen Damen in dieser Be-
ziehung nicht besser sind, als das heranwachsende männliche Geschlecht, lehrt
uns das Spitzer’sche Bild. Da sitzen zwei liebreizende Backfische beim Scheine
des Kerzenlichts und berauschen sich an den Tiraden, die der Autor seinen
Helden und Heldinnen in den Mund legt. Und mit welchem Raffinement
die holden Jungfrauen dabei zu Werk gehen! Die Schublade des Tisches
ist geöffnet, das Tischtuch emporgehoben — das leiseste Geräusch würde
genügen, um das Buch verschwinden zu machen und den beiden Missethätern
den Anschein fleissiger Arbeiterinnen zu geben. Die Eine liest vor, die
Andere hört zu und spitzt zugleich die Ohren, ob auch nichts Verdächtiges
sich rege. Sie ist augenscheinlich die Verführte, denn ihr leichtes Nacht-
gewand und die am Boden liegenden Toilettenstücke lassen auf ihren Vor-
satz, zu Bett zu gehen, schliessen — nur die Aufforderung der Freundin I
und Stubengenossin, noch ein wenig zu schmökern, hat sie von der völligen
Durchführung ihres Vorhabens abgelenkt. Das Gefühl der Neugierde, welches
allen Evastöchtern in so hohem Masse zu eigen ist, ist stärker als die besten
Vorsätze, und die Frage, ob „sie sich kriegen werden“, ist für die jungen
Damen augenscheinlich wichtiger, als die Rücksicht auf die Gesundheit und
den bekannten Erfahrungssatz, dass der Schlaf vor Mitternacht der beste
sei. Die Charakteristik der beiden von der Lektüre ganz eingenommenen j
jungen Mädchen ist dem Maler vorzüglich gelungen; das Bild spricht eine
beredte Sprache zu uns, es ist greifbare Realität, die wir vor unseren Augen
haben. Und wenn wir mit einem Wunsche von diesen zwei unschuldig-
schuldvollen Leserinnen Abschied nehmen, so ist es der, dass die heimliche
Lektüre keine üblen Folgen für sie haben möge. Ein Roman kann ja
nicht allzu viel Unheil anrichten, das bisschen Romantik, welche er erzeugt,
verfliegt in der Arbeit des Tages, und nur die Erinnerung an die schönen
Stunden bleibt zurück, welche das Naschen an der verbotenen Frucht
gewährt hat. _

G. SCHACHINGER.

doch eine echte Premiere

hat sie
welche
die sich

hinausgelockt — die
Schachinger uns in
alle in so anmuthiger

Nas Zauberwort „Premiere“
S holden Mädchengestalten,
dj seinem Bilde vorführt, und
$ Erscheinung präsentiren, dass es einem schwer sein würde,
den Paris zu spielen. Ist
auch eine Premiere für die Damenwelt, die mit ihren
neuesten Toiletten angerückt kommt, um den Männern
von Neuem zu beweisen, dass die Krone der Schöpfung
das Weib ist. Mehr als die Freude, welche das neue
Stück hervorruft, ist es die Lust an der Kritik der
einzelnen Erscheinungen im Publikum, was die Damen
antreibt, keine Premiere zu verfehlen. Das eigene Sehen
und das Gesehenwerden — wo kann Beides besser geschehen, als in dem
hellerleuchteten Theaterraum, von dessen dunkler Plüschumrahmung die
Gestalten in ihrer Kleider- und Juwelenpracht sich so vornehm und effekt-
voll abheben! Die Damen auf unserem Bilde, welche sich ihrer reizenden
Hüllen noch nicht entledigt haben, sind gut berathen gewesen, als sie den
Gedanken fassten, von Meister Schachinger sich porträtiren zu lassen, da
dieser Künstler es vortrefflich versteht, das rein Menschliche durch das
Aeussere, Stoffliche zu heben. Während andere Künstler sich mit Vorliebe
der Darstellung nackter Körper widmen, ist Schachinger zu den Malern zu
zählen, welche das Studium der Gewandung und des Putzes nicht ver-
schmähen, um möglichst farbenprächtige Wirkungen zu erzielen.
Gabriel Schachinger ist am 31. März 1850 zu München als der Sohn
eines Vergolders geboren; er studirte an der Akademie seiner Vaterstadt
unter Leitung der Professoren Anschütz, Alexander Wagner und Piloty,
bereiste von i876—78 Italien, kehrte dann in das Heimatland zurück und
liess sich in Neu-Wittelsbach bei München nieder. Von ihm rührt eine
grosse Anzahl gut entworfener und sorgfältig durchgeführter Genrebilder her,
welche, wie „Der Brautschmuck“, „In Gedanken“, „Die Lieblingsblume“, „Der
Brautring“, „Im japanischen Morgenkostüm“, „Patrizierfrauen beim Abzüge der
Eidgenossen“ u. A., meist Frauengestalten in anmuthiger, durch reiche
Kostümirung zu besonderer Geltung gebrachter Haltung darstellen. Von
den Arbeiten des Künstlers im Porträtfach sind die Bildnisse der verstorbenen
Könige Ludwig’s II. und Maximilian’s II. von Bayern lobend zu erwähnen.


LX.
IN DER SOMMERZEIT
VON
PAUL THUMANN.
Ueber den Entwicklungsgang des geschätzten Malers haben wir erst
vor Kurzem ausführlich berichtet; wir verweisen den Leser daher
auf die betreffende Biographie. Dieselbe Meisterschaft in der Darstellung
weiblicher Anmut, welche wir damals rühmend hervorhoben, weist auch
das in dieser Lieferung veröffentlichte Bild „In der Sommerzeit“ auf. Das
antike Leben hat in Thumann einen geistvollen Illustrator gefunden, der
die uns seit frühester Jugend vorschwebenden Ideale weiblicher Schönheit
in seinen Frauengestalten verkörpert. Die anmuthige Natürlichkeit und
Ungezwungenheit der Bewegungen der nach den Früchten greifenden helle-
nischen Schönen verdient besonderes Lob.
 
Annotationen