Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 2.1888

DOI Artikel:
Schrader, Julius: Heilige Nacht
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47974#0129

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


LXXV.

HEILIGE NACHT
VON
JULIUS SCHRADER.
uf ein an Thaten und Erfolgen reiches Leben kann der
greise Meister Julius Schrader zurückblicken. Sein Name
ist mit der Berliner Geschichtsmalerei unauflöslich ver-
bunden und in seinen Leistungen spiegelt sich die eine
Seite der künstlerischen Entwickelung, welche von der
V erschmelzung der belgischen und der düsseldorfi-
schen Kunstrichtung in den vierziger Jahren ihren Ur-
sprung genommen hat. Der vor nunmehr Jahresfrist
erfolgte Tod des belgischen Malers Louis Gallait hat die
Erinnerung an jene Kunstrevolution von Neuem wach-
gerufen , nachdem dieselbe bereits fast ganz aus dem
Gedächtniss der jetzigen Generation geschwunden war.
Ganz wie in unseren Tagen erfüllte damals Kritik und
und Tadel die Spalten der Zeitungen, bis die von Eduard
Magnus geführte fortschrittliche Richtung triumphirte. Ludwig Pietsch hat
neuerdings das Verdienst sich erworben, eine Darstellung jener aufgeregten
Zeit zu geben und den Eindruck zu schildern, den die drei Bilder „Die
Abdankung Karls V.“ von Louis Gallait, „Das Kompromiss der Edeln“
von F. de Biefve und „Der Pavillon des Rubens“ von Nicaise de Keyser
bei dem Berliner Publikum und bei der Künstlerschaft hervorriefen. Wie
der genannte Kritiker mit Recht bemerkt, hatte die Ausstellung der bel-
gischen Bilder in Berlin zwei sehr fühlbare Wirkungen; erstens wurde
es Modesache, seine Studien in Belgien oder in Paris zu machen, und
zweitens traten die deutschen Künstler gleichfalls mit kolossalen geschicht-
lichen Darstellungen hervor, unter denen die Arbeiten Julius Schraders bald
immer mehr durch ihre besonderen Vorzüge sich auszeichneten. In ihnen
sprach sich deutlich genug der Einfluss der Belgier aus, aber geläutert
durch das Studium der alten Venetianer und Holländer. Die hervorragende
Stellung, welche Schrader bald einnahm, hat er im Laufe der Zeit zu be-
wahren gewusst, und seine neuesten Werke verrathen in keiner Weise eine
Abnahme des Könnens des schaffensfreudigen Malers.
Julius Friedrich Antonio Schrader ist am 16. Juni 1815 zu Berlin ge-
boren ; seine erste Ausbildung fand er an der heimischen Akademie, die
er später mit der Düsseldorfer Schule vertauschte, wo er sich an Wilhelm
Schadow anschloss. Im Jahre 1844 erschien seine erste grössere Kompo-
sition „Der Aufrührer Cencius vor dem gefangenen Papst Gregor VII. knieend“
(jetzt im Danziger Museum) auf der Berliner Kunstausstellung und erregte
wegen der ungekünstelten Komposition — sonst gerade nicht die stärkste
Seite der Düsseldorfer —, wegen der fesselnden Charakteristik und der
warmen koloristischen Behandlung lebhaftes Interesse. Nachdem noch das
Bild „Vergiftungsversuch an Kaiser Friedrich II.“ erschienen war, begab sich
Schrader im Jahre 1844 nach Italien. Von Rom aus sandte er 1847 das
Gemälde „Uebergabe von Calais an Eduard III. von England“ (Berliner Na-
tionalgalerie) nach Berlin. Mit dieser Leistung hatte er sich in die erste
Reihe der Berliner Künstler gestellt, seine Arbeit gehörte unstreitig zu dem
Besten, was die Berliner Nachahmer Gallait’s geschaffen. Nach der Voll-
endung seines Bildes war Schrader nach England, Holland und Belgien
gegangen, um dort namentlich die. Bilder Rubens’ und van Dyck’s zu stu-
diren. Als Resultate dieser neuen Anschauung zeigten sich bereits 1848
auf der Berliner Kunstausstellung einige Genrebilder (Schlummernder Bac-
chus, Mit Panther spielende Bacchantin, Frauen und Kinder in einer italie-
nischen Vigne), welche namentlich ein tiefgehendes Naturstudium offen-
II. 12.

Antikritik, Lob


baren. Nach seiner Rückkehr nach Berlin im Jahre 1848 wurde Schrader
Professor und Mitglied der dortigen Akademie; sein Einfluss auf die jün-
gere Generation ist ein sehr bedeutender gewesen.
Unter den vielen Arbeiten, welche Schrader geschaffen, ist eine grosse
Anzahl von dauerndem Werthe, und viele derselben sind wahrhaft populär
geworden. So fand das bereits 1849 gemalte Bild „Friedrich II. nach der
Schlacht bei Kollin" eine äusserst beifällige Aufnahme; es war dem Künstler
gelungen, ein Bild zu schaffen, das sich neben den Menzel - Arbeiten auf
diesem Gebiete eine bleibende Stelle erringen sollte. Das Gemälde, welches
eine Hauptzierde des städtischen Museums zu Leipzig bildet, stellt den
königlichen Feldherrn nach der furchtbaren Katastrophe dar; gebeugt, aber
nicht gebrochen erscheint seine Gestalt, noch lebt in ihr die alte Kraft,
welche diese Scharte wieder bald auswetzen wird. — In vielen anderen
Bildern wies Schrader eine gleiche Meisterschaft in der Darstellung seeli-
scher Vorgänge auf. Namentlich waren es die drei nach „Wallenstein und
Seni bei ihren astrologischen Studien“ und nach „Die Töchter Jephthas“
gemalten grossen Bilder: „Der Tod Leonardo da Vinci’s in den Armen
Franz’ L“, „Milton und seine Töchter“ und „Karl s I. Abschied von seinen
Kindern“, welche das damalige Publikum geradezu enthusiasmirten. Doktor
Adolf Rosenberg giebt in seiner bekannten „Berliner Malerschule“ eine
Schilderung der Aufnahme, welche das Bild „Der Tod Leonardos“ fand.
„Dasselbe rief“, so schreibt er, „einen grossen Enthusiasmus in dem nüch-
ternen Berlin hervor, weil jeder etwas fand, das er bewundern konnte, in
erster Linie den Kopf des Sterbenden, in dem man alle Gedanken wieder-
gegeben fand, welche die letzten Augenblicke eines Sterbenden zu erfüllen
pflegen. Aber auch die anderen Figuren, der König, die beiden Schüler
Leonardo’s, die Begleiter des Königs, der Priester und der Chorknabe, zeich-
neten sich durch eine treffende und wohlabgewogene Charakteristik aus.
Vornehmlich waren es aber die Hände Leonardo’s, über welche die Künstler
in Entzücken geriethen. Schrader war nämlich einer der ersten Berliner
Maler gewesen, denen der „nothwendige Zusammenhang der Handformen
mit dem Charakter des Individuums" aufgegangen war. Ein hervorragender
Porträtmaler machte damals folgende Aeusserung: ,Wenn Berlin einmal unter-
geht, wie Herkulaneum und Pompeji, und man fände einen Fetzen mit
dieser Hand wieder auf, so würde sie mehr von unseren Künstlern und
unserer Kunst reden, als halbe Bilder unserer Symboliker' (womit natürlich
Cornelius gemeint war).“
Am bekanntesten ist freilich das 1855 vollendete Bild „Karls 1. Ab-
schied von seinen Kindern“ geworden. Das im Besitz der Berliner Na-
tionalgalerie befindliche Gemälde zeigt auch in koloristischer Hinsicht einen
weiteren Fortschritt des Künstlers, der hier in der That sein Meisterwerk
geschaffen hat. Der tragische Vorwurf und die Vortrefflichkeit der Dar-
stellung — beides trug in gleichem Masse zu dem Erfolge des Bildes bei,
das durch einen ausgezeichneten Stich von M. Dröhmer noch an Popularität
gewann. Weitere Themata aus der englischen Geschichte hat Schrader
noch in folgenden Bildern behandelt: „Elisabeth Claypole warnt ihren
Vater Oliver Cromwell vor der Annahme der Königskrone" und „Cromwell
am Sterbelager seines Lieblingskindes, der Lady Claypole“ — zwei inter-
essante Arbeiten, welche namentlich für die Darstellung Cromwells typisch
geworden sind — ferner in „Elisabeth, das Todesurtheil Maria Stuarts
unterzeichnend“ und „Maria Stuart’s letzte Augenblicke“, während einige
Genrebilder, wie „Lady Macbeth schlafwandelnd“, „Shakespeare als Wild-
dieb vor den Friedensrichter geführt“ gleichfalls Motive aus der englischen
Literatur verwerthen. In jener fruchtbarsten Periode des Schaffens Schrader’s
entstand auch das Gemälde „Esther vor dem Könige Ahasver“ (1856), das
wegen der ausgezeichneten Charakteristik grossen Anwerth fand. Sprach
früher aus den Darstellungen aus der englischen Geschichte eine genaue
Kenntniss der damaligen Zeit, so zeigte das Esther-Bild, dass der Künstler
auch mit den Sitten, Raceneigenthümlichkeiten, Trachten u. s. w. der alt-
 
Annotationen