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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 5.1906

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Nr 11
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Schönermark, Gustav: Das moderne im Wohnhausbaue
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https://doi.org/10.11588/diglit.20726#0460
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DAS MODERNE IM WOHNHAUSBAUE

VON DR. G. SCHÖNERMARK-BERLIN

Es wird niemand leugnen, dass wir die Formen
immer noch nicht gefunden haben, die den
heutigen Zeitgeist aussprechen, d. h. das, wohin wir
alle unbewusst streben. Die Gebilde, die diesem
schön und richtig dünken, gefallen einem anderen
durchaus nicht, sind auch grundverschieden von
denen dritter Meister, und doch ist es gewiss, dass
den Formen aller etwas Gemeinsames innewohnt,
was sie als die unserer Tage kennzeichnet. Könnten
wir das Gemeinsame, welches wir alle fühlen, aus-
sprechen, so wäre damit gleichsam das Rätsel ge-
löst. Doch wie zu allen Zeiten lässt sich am aller-
wenigsten von den Kindern der Zeit selber erkennen,
was alle erstreben; erst den kommenden Geschlech-
tern wird das Heute klar vor Augen stehen. V

V Aus diesem Grunde kann man Kunstformen
eigentlich auch nicht erfinden, nicht machen
wollen, sie müssen entstehen. Und sie werden
entstehen, nicht auf Geheiss dieses oder jenes
Künstlers, dieses oder jenes Kunstförderers, sondern
trotz aller Willen und in einer Weise, die schliess-
lich allen zusagt. Wenn man nun auch nicht an-
geben kann, welche Formenwelt entstehen wird, so
kann man doch aus dem Verlaufe der Formenent-
wicklung einer längeren Zeit Schlüsse ziehen auf
die kommenden Formen. Man kann wenigstens im
allgemeinen sagen, wohin die Entwicklung nicht
geht und somit die Richtung erkennen, die sie ein-
schlagen wird. Da im Wohnhausbaue der Mensch,
wie er zur Zeit gerade denkt, sich baulich am zwang-
losesten offenbart, so lässt sich aus den Wohnhäusern
vielleicht am deutlichsten und leichtesten ersehen,
welche Ziele die jeweilige Richtung verfolgt.
Kirchen, Rathäuser und andere Bauten beruhen
viel mehr auf überlieferten Anschauungen; im
Wohnhause will die jeweilige Denkart der Person
zum Ausdrucke kommen. V

V Im Wohnhausbaue wurde denn auch am ehesten
den überlieferten Formen irgend einer früheren
Zeit, in deren Geiste man bisher zu bauen pflegte,

der Krieg erklärt. Ja, eigentlich fing man mit den
Möbeln an. Wir möchten uns nicht auf eine Kritik
des bisher in diesem Sinne Geleisteten einlassen.
Einen Stil in die Acht erklären, ist leichter, als
Ersatz für ihn in neuen Formen schaffen. So viel
ist aber sicher, dass das Ergebnis, mag es noch so
wenig befriedigen, im grossen und ganzen zur Ein-
fachheit und Sachlichkeit zurückführte. Na-
mentlich das Aeussere unserer neuesten Wohnhaus-
bauten zeigte das. Man vernachlässigt es geradezu,
als wenn es nicht gleichwertig mit dem Inneren
wäre, ja als wenn es sich nicht mehr um ein Kunst-
werk handle. Einer englischen Anschauung folgend,
hat z. B. das Einfamilienhaus oft bäuerischen Cha-
rakter gewonnen. Das geht zu weit. Auch ein in
feinen Formen durchgebildeter Bau wird das Auge
befriedigen und das, da er beredter ist als der
bäuerliche, wohl noch mehr. So viel steht fest,
man will zur Einfachheit zurückkehren, den Bau
in Zusammenhang mit seiner Umgebung bringen
und ihn seine eigene Sprache reden lassen. V
V Um das möglich zu machen, muss aber dem
einzelnen Künstler unserer Zeit eine Freiheit in
seinen Schöpfungen zugestanden werden, wie sie
noch nie vordem gewesen ist. Diese künstlerische
Unabhängigkeit ist nicht minder ein Merkmal
modernen Stils und nichts wäre törichter, als hier
intolerant zu sein. Der Künstler kann ja doch nicht
aus den Anschauungen seiner Zeit hinaus; er kann
ebenso wenig wie jeder andere Sterbliche über
seinen eigenen Schatten springen, er ist ein Stück
seiner Zeit. Gewiss, gottbegnadete Geister, die
ihre Zeitgenossen überragen und daher ein Stück
weiter sehen können als diese, kommen vor, aber
sie sind zu vereinzelt, als dass wir sie hier mit zu
berücksichtigen brauchten. Weil nun aber die
Künstler auch in unseren Tagen Kinder ihrer Zeit
sind, so wird trotz aller individuellen Freiheit ihre
Gesamtleistung doch das Gemeinsame nicht ver-
missen lassen, dessen wir oben gedachten. V
 
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