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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 7.1908

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Nr. 4
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Lehmann, A.: Die Lutherkirche in Karlsruhe
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https://doi.org/10.11588/diglit.23632#0191
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ÜMODERNE BAUFORA\EN

, j MONÄTSHEFTE für architektur

4



DIE LUTHERKIRCHE IN KARLSRUHE

VON ARCHITEKT A. LEHMANN-MANNHEIM

Die Modernisten!“ so möchte ich im Sinne
unserer heutigen Zeit, im Sinne des Kampfes,
der allenthalben gestritten wird, laut rufen beim
Anblick der Lutherkirche in Karlsruhe. Man nennt
unser Jahrhundert ungläubig, und trotzdem wird
selten eine Zeit sich so vieler neuer Kirchenbauten
rühmen können. Aber ein wesentlicher Unterschied
ergibt sich aus den Motiven und aus den näheren
Umständen ihrer Entstehung, der sich deutlich im
Baucharakter ausdrückt. Die alten Kirchen wurden
vom Volke erbaut, das in seinen Domen die höchste
und letzte Zufluchtsstätte seelischer Erregung suchte
und fand. Zur Verkörperung des Glaubens war
kein Preis, keine Idee zu gross, um nicht bis zur
letzten Höhe durchgefiihrt zu werden. Die ganze
Raumstimmung arbeitete daraufhin, den Menschen
im Gegensatz zum höchsten Wesen klein und niedrig
erscheinen zu lassen, die Pracht des Sinnbildes
der göttlichen Erscheinung zu steigern. Entwicklung
und Dognia waren hierbei die merkwiirdig kombi-
nierten Grundpfeiler des Aufbaues. V

V Nun kommt unsere unheimlich praktische, nur
auf das Notwendigste ausgehende Zeit, die auf ein-
mal die Kirche nicht mehr den einzigen Inhalt
unseres Lebens, sondern nur als einen Teil des-
selben sieht. Das musste sich architektonisch
ausdriicken. Die vielen Riickfälle historischen
Tastens waren fast eine innere Notwendigkeit. Erst
aus dem Bewusstsein des Kontrastes äusserer Form
und inneren Lebens konnte eine neue Kirchenbau-
kunst erstehen. Neue gesunde Kirchenbaukunst
zeigt uns die Schöpfung der Architekten Curjel &
Moser-Karlsruhe. Ein unregelmässiger beschränkter
Platz steht zur Verfiigung. Neben der Kirche soll
aber noch ein Pfarrhaus stehen, dem sich ein
grosser Gemeinde- und Konfirmandensaal anfügt.
Es wurde sogar anfänglich die Möglichkeit bestritten,
diese Gebäude auf dem zur Verfügung stehenden
Grundstück unterzubringen. Wie aber stets die
Schwierigkeit die künstlerische Kraft steigert, so
ergab sich auch hier wohl die reifste Lösung, von

der man fast sagen möchte, sie hätte gar nicht
anders sein können. Die Kirche und ihre zuge-
hörigen Gebäude schliessen sich eng aneinander,
ergeben hierdurch eine ausserordentlich malerische
Baugruppe, was sowohl den praktischen Anforde-
rungen, als auch der architektonisch-ästhetischen
Wirkung zu gute kommt. Die Kirche steht im
Strassenbilde nicht als einzelnes Monument in trost-
loser Einsamkeit, ausser Verhältnis mit ihrer Um-
gebung, in fremder Nachbarschaft, sondern sie wird
von den ihr zugehörigen Gebäulichkeiten, welche
mit der Kirche zusammen entworfen wurden, um-
geben. Es ergibt sich vor allem auch ein reicheres
Bild an Silhouetten, Massenverteilung und Gegen-
sätzen. Die Kirche wächst in angenehmer Steige-
rung organisch aus dem Leben, aus der Baugruppe
zum Mittelpunkt hervor. Mit künstlerischem Fein-
gefühl werden nun in der Anlage die Massen gegen-
einander abgewogen. Das breite nicht allzu hohe
Pfarrhaus bildet das Gegengewicht zum schlanken
hohen Glockenturm, der wieder in sich graziös
seine Wucht durch die leichte Ausgestaltung des
Glockengeschosses aufzuheben versucht. Durch
das Zurückschieben des Pfarrhauses wurde weiter-
hin die ästhetische Wirkung der Gruppen vergrös-
sert und gleichzeitig die praktische Forderungerfüllt,
trotz Anschlusses der Kirche an ihre Umgebung,
den Blick um die Kirche vollkommen frei zu geben
und die Lichtfülle in das Innere von keiner Seite
zu beeinträchtigen. Durch diese Anlage wurde ein
schöner, gegen Süden gelegener Pfarrgarten mög-
lich. Mit feinem Gefühl wurde dieser Garten durch
eine Mauer, welche den Pfarrgarten mit Kirche und
Pfarrhaus verbindet, gegen dieStrasse abgeschlossen.
Ein kleines in die Mauer eingelassenes Garten-
häuschen sorgt für Variation der Einzäunung. Mit
Recht schreiben die Erbauer der Kirche in der zur
Einweihung der Kirche herausgegebenen Festschrift
im Hinblick auf so manche Profanbauten: „Es ist
zu bedauern, dass Vorgärten, mit Rücksicht auf
bestehende Vorschriften, nicht mit Mauern ein-

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