Jmoderne bauformen
L J MONAISHEFTE FÜR ARCHITEKTUR
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HUGO EBERHARDT
Das Kriterium des Baustils in historischem Sinn
ist die allgemeine Gültigkeit bestimmter For-
men und Verhältnisse für eine gewisse Zeit. Wir
leben im Zeitalter der Individualitäten, welche wild
und kiihn dahinstiirmen, den Durchschnitt weit
hinter sich zuriicklassend. Auf vielen Wegen eilen
sie einer neuen Schönheit zu, einer Schönheit, die
wir ganz besonders suchen müssen, da wir eine
Zeitlang den richtigen Weg verfehlt und in eine
Sackgasse geraten waren. Es ist heute schwer zu
entscheiden, welcher der vielen Individualitäten der
einzelne, der nicht gerade Pfadfinder ist, folgen,
welche Richtung er einschlagen soll. In jeder
Schaffensstube, in der der Ernst der selbständigen
geistigen Arbeit herrscht, spielt sich somit ein
kleiner Kampf ab, ein Kampf nach Stil, ein Kampf, bei
dem sich jeder selbst das Seinige neu erobern muss.
V Hugo Eberhardt hat wie jeder von uns auch
diesen Streit mit sich selbst führen müssen. Das
Resultat liegt in seinen Arbeiten vor uns. Nicht
mit wilden Schwerteshieben schlug er um sich, ein
vorsichtiges Wägen, ein sorgsames Priifen kenn-
zeichnet seine Art. Doch was er einmal in sich
erkämpft hat, weiss er fest zu behaupten, so fest,
dass der Besitz ihm nicht mehr entrissen werden,
dass er getrost davon an andere abgeben kann.
V Die Aufgaben, die ihm bis heute zur Bear-
beitung vorlagen, waren aber auch nicht immer
dazu angetan, allzuweite Vorstösse zu wagen. Der
Charakter eines Schulgebäudes wird immer etwas
Strenges, Klassenförmiges, etwas Schematisches
haben, mag man auch noch so sehr die Forderung
aufstellen, dass es für die Schüler ein Vergnügen
sein muss, in die Schule zu gehen. Selbst die
beste architektonische Leistung dieser Art ver-
möchte kein Kind zu fesseln, wenn der Lehrer
selbst sein Herz nicht gewinnen kann. Ein Schul-
gebäude, ganz gleich welcher Spezialbestimmung,
soll aber auch nicht einer Villa, nicht einem reichen
Palazzo gleichen, nicht einer Steinburg, die kalt
und nüchtern wirkt, nicht einem Gefängnis, wie es
leider bei alten Bauten manchmal scheint, wo
sich der enge Lichthof zwischen hohen Häusern
befindet. Lehrhaft und einladend zugleich, einfach,
grosszügig und doch nicht allzugewaltig soll das
Schulgebäude sein, Bedingungen, die sich umso
schwieriger erfüllen lassen, als auch die Umgebung
von Mietshäusern, von Strassen und Land, von
Wasser, Berg und Tal ein Wort mitzureden hat.
Hugo Eberhardt ist in mannigfachen Lösungen
diesen verschiedenen Bedingungen gerecht gewor-
den. Er hat es vor allem verstanden, durch ge-
schickte Gruppierungen aus der Landschaft auf
die hohen Schulgebäude überzuleiten und bei aller
Schematisierung einen Kasernenstil zu vermeiden.
Mit Glück hat der Architekt bei den hier gezeigten
Anlagen versucht, die Massen, die in solchen Be-
dürfnisbauten konzentriert sind, durch Auflösung
in einzelne grössere und kleinere Baugruppen zu
mildern. Die Treppenhäuser oder die weiter dimen-
sionierten Säle waren ihm die Motive, um in den
Gleichklang der Klassenfenster Abwechselung zu
bringen. In einzelnen Fällen bot eine Strassen-
unterführung einen neuen Gedanken, ein Eckturm
eine starke Dominante, Risalite sorgten für Schatten
im Material, die Turnhallen und kleineren Bedürf-
nisse waren die Schlussakkorde, die das Bild un-
aufdringlich aber bestimmt abgrenzten. Der günstige
Eindruck, den man bei allen Arbeiten Eberhardts
erhält, wird vor allem durch die glücklichen Ver-
hältnisse der Hauptmassen bewirkt. Hohe Dächer,
mannigfach gegliedert, manchmal auch gebrochen
und belebt durch zahlreiche Gaupen oder kleine
Dachreiter, decken organisch die breiten, vielge-
staltigen und doch einheitlichen Bauteile. In der
hierdurch ausgedrückten Ruhe, in dieser Harmonie,
die Eberhardt durchweg gelungen ist, gibt sich eine
reife Schönheit kund, die sich natürlich aus sich
selbst heraus aufbaut. Trotz ihrer Einfachheit
scheinen diese Häuser äusserlich nicht nüchtern,
wenn man auch wünschen könnte, dass in einzelnen
Fällen ein reicherer Schmuck angebracht wäre.
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