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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 11.1912

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Nr. 2
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Widmer, Karl: Das Kieler Rathaus von Hermann Billing
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https://doi.org/10.11588/diglit.48361#0093
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DAS KIELER RATHAUS VON HERMANN BILLING
Von KARL WIDMER, Karlsruhe

Gegen Ende des Jahres 1911 sind die beiden
grössten Monumentalbauten, die Hermann
Billing bis jetzt ausgeführt hat, fast gleichzeitig
mit einander fertig geworden. Es ist die Freiburger
Universität und das neue Rathaus in Kiel. Von
ihnen ist das Kieler Rathaus dasjenige von Billings
Hauptwerken, das am engsten mit seiner bisherigen
Gesamtentwicklung verwachsen ist. Als er vor
einem Jahrzehnt als Sieger aus einem allgemeinen
deutschen Wettbewerb um den Neubau des Kieler
Rathauses hervorging, stand er am Anfang seiner
bahnbrechenden Tätigkeit auf dem Gebiet der
modernen Baukunst. Von dem ersten Entwurf, bei
dem ihm überdies durch die Rücksicht auf die
konventionellen Anschauungen der damaligen Preis-
richter noch die Hände gebunden waren, bis zur
Ausführung hat sein Werk eine Reihe durchgreifen-
der Umarbeitungen erfahren, durch die es im Lauf
dieser zehn Jahre zum vollendeten Ausdruck seiner
künstlerischen Bedeutung ausgereift ist. Das gilt
sowohl von der inneren Gestaltung in Grundriss
und Raumaufteilung als von der formalen Behand-
lung der äusseren Architektur. V
V Der Grundriss des Kieler Rathauses umschreibt
ein über hundert Meter langes, ziemlich regel-
mässiges Rechteck. Die gewaltige Fläche, die dieses
Rechteck einschliesst, ist durch drei grosse Innen-
höfe aufgelöst, durch welche die nach innen ge-
legenen Zimmer und Korridore Luft und Licht
erhalten. In den mittlern Hof ist die Stadtkasse
eingebaut. Die Vorderseite des Gebäudes fällt in
die Strassenflucht der Fleethörn. In der Mitte er-
weitert sich die Strasse zu einem Platz, dem Neu-
markt. Hier hat der Beschauer einen freien Aus-
blick auf das Gebäude und damit den Haupteindruck
von der Architektur. Die wichtigste Aufgabe für
die künstlerische Behandlung der Aussenarchitektur
war nun die, die breite Masse der Hauptfront zu
gliedern und zwar in einer Weise, die sowohl im
Grundriss logisch begründet ist, als sich auch der
gegebenen Platz- und Strassengestaltung organisch
einfügt. Vor allem galt es, den mittleren Teil der

Fassade, der mit der Nordseite des Neumarktes
zusammenfällt, zu einem architektonisch wirkungs-
vollen Abschluss des Platzes zu gestalten. V
V Diese Aufgabe ist durch zwei Hauptmittel gelöst
worden: durch die plastische Aufteilung und male-
rische Belebung der Fläche und durch die vertikale
Gliederung der Silhouette. V
V Für die plastischen Motive der Flächenbewegung
gab die Grundrissgestaltung in folgender Weise die
Unterlage. Die Innenräume eines grosstädtischen
Rathauses zerfallen in zwei Hauptgruppen, die
eigentlichen Diensträume und die Räume von mehr
repräsentativer Bestimmung. Zu den letzteren, in
denen der öffentliche Charakter des Hauses am
bedeutungsvollsten zum Ausdruck kommt, gehören
äusser den grossen Versammlungssälen des Magi-
strats und der Bürgerschaftsvertretung auch die
Treppenhallen, Vestibüle u. s. w. Beim Kieler Rat-
haus wurden nun zunächst die grossen Sitzungssäle
in einen hervortretenden Mittelbau zusammengelegt,
der etwas aus der Mitte des Vordertrakts gerückt ist.
Damit treten die Haupträume des Gebäudes auch
nach aussen als Mittelpunkte des Ganzen in die
Erscheinung. Es ist der Teil der Fassade, der den
Abschluss des Neumarktes bildet und sich damit
den Blicken des Beschauers am unmittelbarsten
repräsentiert. Sodann wurde in rhythmisch abge-
wogener Beziehung zum Mittelbau auch die die Trep-
penhäuser und Vestibüle enthaltende Eingangshalle
durch einen besondern Vorbau betont und ausser-
dem durch bildhauerischen Schmuck des Portals
hervorgehoben. V
V Die plastische Wirkung der damit erreichten
Flächengliederung wird noch gehoben durch ein
malerisches Motiv: das Material und seine Farbe.
Die Gesamtarchitektur ist in rotem Backstein aus-
geführt. An die Stelle dieses schlichteren Materials,
dessen Verwendung im wesentlichen mit den für
die Diensträume bestimmten Teilen des Gebäudes
zusammenfällt, tritt für die architektonisch hervor-
gehobenen Teile der Vorderfront ein heller Hau-
stein in etwas reicherer Behandlung. Auch der

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