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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 12.1913

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Nr. 4
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Ostini, Fritz von: Zwei neue Bauten von Th. Veil und G. Herms in München
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https://doi.org/10.11588/diglit.48360#0237
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ZWEI NEUE BAUTEN VON TH. VEIL UND G. HERMS IN MÜNCHEN
Von FRITZ VON OSTINI, München

Schon in einer Nummer des vorigen Jahrgangs
(Septemberheft 1912) war auf die außergewöhnlich
wohlgelungene Neugestaltung des Rathauses inRudol-
stadt hingewiesen worden, in der die Münchner
Architekten Th. Veil und G. Herms eine ziemlich
verwickelte Aufgabe mit ebensoviel Geschick und
Geschmack,als Pietät gelöst haben. Esgalt,ein schönes
altes Baudenkmal und Wahrzeichen der Stadt, den
hohen Giebelbau des „Landratsamtes“ in den Kom-
plex einzubeziehen und die neuen Bauteile harmo-
nisch dazu zu stimmen; es galt durch eine glückliche
Gestaltungder letzteren den Uebergangzwischen der
schlichten Wucht jenes alten Amtshauses und einem
wenig günstigen modernen Hotelbau mit flachem
Dach zu vermitteln und auch sonst für das Innere,
wie das Aeußere des Ganzen Ausdrucksmittel zu
finden, die in gleicher Weise pietätvoller Erinnerung
an die Vergangenheit entsprachen, wie dem Sinn
und Wesen der Zeit in der wir leben. Für den
künstlerisch fühlenden Architekten ergab sich aber
noch eine weitere Aufgabe: den Neubau in ge-
schmackvolle Beziehung zu dem darüberliegenden
Schloß zu bringen und so die Schönheit des ganzen
Stadtbildes bedeutsam zu heben.
Bei Gelegenheit eines ausgeschriebenen Wett-
bewerbes war der Entwurf der Herren Veil und
Herms angekauft worden. Keiner der preisgekrönten
Entwürfe aber erwies sich als unverändert brauch-
bar und als der Stadtrat nun unseren Münchner
Meister Gabriel von Seidl als Berater heranzog,
wurde beschlossen, mit den Autoren jenes Entwurfes
— er trug das bezeichnende Motto „Marktturm“ —
wegen Anfertigung der endgültigen Baupläne zu
verhandeln. Der Turm nach dem Marktplatz zu,
der sich, ohne eigentlich „historisch“ stilisiert zu
sein, vollkommen zwanglos an die herb-einfache
Renaissanceform des Landratsamts an- und das
Ganze, man möchte sagen „mit ruhiger Energie“
gegen jenen nüchternen Hotelbau abschließt, gibt
dem Veilschen Entwürfe seinen besonderen Cha-

rakter und bedeutet die ästhetische Lösung des
Problems. In die Ecke zwischen den Turm und den
alten Bau schmiegt sich, ein einziges Schmuckstück
an der sonst in bürgerlich gediegener Einfachheit
durchgeführten Fassade, — ein polygoner Erker von
reicherer Ausführung. Er schafft dem Amtszimmer
des Oberbürgermeisters im ersten Obergeschoß ein
elegantes Vorzimmer und im nächsten Stockwerk
ist im Erker das Eheschließungszimmereingerichtet,
das neben dem Amtsraum des II. Bürgermeisters
und Standesbeamten gelegen ist. Der Erker hat
durch Professor Hermann Hahn in München, ein
Rudolstädter Landeskind, reizvollen und fröhlichen
Skulpturenschmuck bekommen in Gestalt von ge-
lungenen Puttenmedaillons. Dieser Erker und die
Gesimse des Turmbaues wurden in Muschelkalk
ausgeführt. Im übrigen wurde auf allen Prunk in
Haustein verzichtet — aus Sparsamkeitsgründen
wohl. Aber die Sparsamkeit erwies sich hier als
ein Element des guten Geschmacks. Manch Einer,
der an anderen Orten skulpturenüberladene Rats-
paläste aus neuerer Zeit kopfschüttelnd betrachtet,
hat sich schon gewünscht, es hätten auch dort wirt-
schaftliche Erwägungen dazu gezwungen, ein paar
Milliönchen — nicht auszugeben. Gerade am alten
Landratsamt in Rudolstadt läßt sich studieren, wie
da ein Weniger oft ein Mehr bedeutet: das im Grund
sehr bescheidene alte Steinportal, im Neubau un-
verändert erhalten, wirkt da sehr schmuck, ja ge-
radezu repräsentativ in der glatten Wand der Fas-
sade. Der Architekt hat diese Wirkung nur durch
einen leichten Akzent verstärkt, indem er das runde
Fensterchen im Giebel des Portals rechts und links
von diesem noch einmal wiederholte. So gewann
er auch noch mehr Licht für das Vestibül.
Der Ratsturm, auf quadratischem Grundriß sich
erhebend, zeigt schon äußerlich, daß er nicht nur
ein dekoratives Bauglied, sondern ein wichtiger Teil
der ganzen Anlage ist und im Parterre, wie den
vier Obergeschossen geräumige Gelasse enthält. In

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