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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 12.1913

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Nr. 10
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Wagenführ, Max: Moderne Berliner Landhausbauten, 2
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497

MODERNE BERLINER LANDHAUSBAUTEN II
Von MAX WAGENFÜHR, Berlin-Charlottenburg

Nachdem unsere moderne Baubewegung in ihren Grundzügen
zu einer gewissen Klarheit sich durchgesetzt hat und
über die Prinzipien der Baugesinnung keine Zweifel, wenig-
stens bei allen guten Künstlern mehr bestehen, beginnt jetzt
ein Suchen nach einer bestimmten festen Äusdrucksform,
das an die allgemein anerkannte Forderung der Anpassung
an den Ortscharakter anknüpft und über sie hinaus das
Gemeinsame der Landeskultur, des Volksstammes künst-
lerisch zu fassen gewillt ist. Man hofft auf diese Weise
das Vielerlei der formgebenden Einflüsse endlich zu einer
echten nationalen Kunst zu vereinen. Nicht mehr die großen
historischen Stile, die die Kultur einer Zeitepoche kristalli-
sieren, sondern die naturgewachsenen, bodenständigen Bau-
weisen, die mit dem Volke wurden und unter dem Kleide
der wechselnden historischen Stilmoden dauernd ihren er-
erbten Typ, ihr Familienantlitz bewahrten, sollen den Aus-
gangspunkt bilden. Die Gotik war international, aber die
Art, wie sie von den Völkern aufgenommen und verarbeitet
wurde, weist je nach Orts- und Stammcharakter Verschieden-
heiten auf, die den Forschenden zur Quelle der neuen
Kunst führen sollen. Aus diesem Studium des Grundcharak-
ters des Volksstammes gelangt man besser und sicherer zu
dem Urquell aller Kunst, als durch die gedankenlose Ueber-
nahme der Stilmerkmale der Kulturepochen. Neben der
Verschiedenheit der Stämme findet man Gleichgeartetetes,
so daß sowohl Unterscheidungen in der Kunstübung der
Landschaften, wie Gemeinsames etwa der norddeutschen und
süddeutschen Art, des Nationaldeutschen und schließlich des
Allgermanentums erkennbar werden.
Diese zunächst noch akademische Ueberlegung hat ihren
sichtbaren Niederschlag bisher in der Architektur unserer
Zeit nur vereinzelt gefunden, sie ist noch nicht Allgemein-
gut aller Künstler geworden. Man spürt ihren Einfluß aber
deutlich in den Entwürfen der neuesten Zeit. In Berlin
beginnt eine Künstlergruppe dem spezifisch Nordischen nach-
zuforschen, man studiert die alte Baukultur des Hansastädte,
die Bauten der Wasserkante und läßt sich durch die wissen-
schaftlichen Untersuchungen über den Einfluß nordischer
Kultur anregen. Nicht mehr aus dem schulmäßigen Studium
der historischen Stile, sondern aus dem Leben, dem Ge-
wachsenen soll die neue Befruchtung erstehen.
Betrachten wir unsere heutige Auswahl moderner Ber-
liner Landhausbauten, so spüren wir von diesem neuesten
Geist noch wenig. Wir sehen bei Wollenberg zwar
moderne Baugesinnung, die fern vom Formalismus dem In-
halt schöne und rhythmische Gestalt zu geben weiß, das
Nationalcharakteristische fand aber keinen Ausdruck. Seine
Landhäuser könnten in dieser Form überall in der Kultur-
welt ihren Platz finden. Und doch knüpft Wollenberg be-
wußt an eine Berliner Tradition an, er setzt fort, was die
Schule um Schinkel begann. Die Nationalisten müßten
folgerichtig die Antike und ihre Erneuerung in jeder Form
abiehnen, die unserem Volkscharakter wesensfremd bleibt.
Aber da tritt eine andere Ueberlegung auf, die ihre Berech-
tigung logisch erweist. Unsere Kultur ist international, wie
die Kunst und baut sich historisch auf der Antike auf.
Nahm ein Kulturzentrum wie Berlin willig die Schinkelsche
Kunst an, gab sie ihm eine hervorstechende Note, so ist
sie uns nichts Fremdes mehr, aber die Richtung solchen
Kunstwillens entfernt sich diametral von dem Willen der
Nationalisten, wie der Kosmopolitismus dem Nationalismus
als Gegenpol gegenübersteht. Dem objektiven Kritiker bleibt
nichts anderes übrig, als das Kunstwerk nach den Absichten
des Schöpfers zu werten.
Der Architekt hat zudem dem Willen des Bauherrn zu
folgen. Wollenbergs Kunst findet gerade in der Weltstadt
einen großen Kreis von Liebhabern und Gesinnungsgenossen.
Auch die Nationalisten müssen sie also als eine berechtigte
Erscheinung hinnehmen. Wie der Künstler seine Aufgaben
löste, verdient Bewunderung. Der weite Raum des Harteneck-

schen Grundstückes fand eine monumentale Bebauung,
nichts Kleinliches ist an dem ganzen Gebäude, höchste,
moderne Kultur spricht aus der Formgebung der äußeren,
wie der inneren Gestaltung. Ein feines ästhetisches Gefühl
wog die Massen gegeneinander ab, verteilte Licht und
Schatten, ergründete die harmonische Raumstimmung. Die
Villa Czapski ist aus gleichem Empfinden erwachsen. Hat
sie auch nicht die stolze, fast feierliche Haltung des Land-
sitzes Harteneck, so ist ihr besonderer Wohnhauscharakter
doch nicht minder nach außen abschließend, zurückhaltend
und auf Repräsentation gestellt.
Man erfühlt diese Note deutlich, wenn man Kuhl-
manns und Nitzes Bauten daneben hält. Auch die Villa
in Dahlem wirkt vornehm, aber es ist die gute bürgerliche
Vornehmheit, die weniger abweisend uns gegenüber tritt
und uns warm zum Eintritt auffordert. Nitzes Art weiß
vollends alles Offizielle zu entfernen, hier wohnen gute
Freunde, zu denen es uns zieht, wir wagen nur nicht das
Idyll mit fremder Hand zu stören. —- Und so wurden wir
doch vom Kritiker zum Menschen. Ja, die Bauaufgaben
waren verschieden, aber was uns verführte, — es war doch
die deutsche Note, das Wesensverwandte, die Gemütswärme.
Unsere traulichen Dächer, die heimlichen Sitzplätze, die
zwanglose Fügung der Teile, die warmen Schatten. In
deutscher Art nur können wir Deutschen uns vertiefen.
Und nun Renners Landhaus,— das ist auch „malerisch“,
lustig, wohnlich, aber es hat „Esprit“, und das ist eine fran-
zösische Note. Wir haben hier die akademischen Einflüsse
der historischen Stile, die man individuell zu verdeutschen
suchte, aber nicht das aus der Vollkraft des Volkstums Ge-
schöpfte. Mit Einzelheiten das zu belegen hält schwer. Wie
alle Kunst muß es erfühlt werden und das Gefühl ist indi-
viduell. Es gibt keine objektive Kritik. Der Bauherr wird
seinen Künstler loben, und wir werden ihm zustimmen
müssen, wenn wir von allem persönlich Empfundenen uns
nach Kräften frei zu machen versuchen. Die Gruppierung
der Teile, die Gliederung des Aufbaues, die Verteilung der
Öffnungen, die Behandlung der Einzelheiten, alles hält
strengster Kritik stand. Ein geschlossener einheitlicher Ein-
druck bleibt haften, und damit ist des Künstlers Aufgabe an
sich erfüllt. Den Bau weiter zu analysieren können wir
uns unter Fachleuten ersparen.
Noch einen Bau führen wir vor: ein Gartenhaus von
Hans Jessen. Es hat allerlei Stilmerkmale, die der Histo-
riker wohl durch klassische Vorbilder belegen könnte, und
ist doch nicht stilrein, ein modernes Empfinden überschattet
alle Reminiszenzen. Wir haben hier ein gutes Beispiel für
die Art, die vom Ortscharakter als Grundnote ausgeht. Man
mag darüber streiten, was in dem Konglomerat der Großstadt
Berlin das Charakteiistischste sei, wird aber niemals die Höhen-
kunst Schlüters, der Baumeister Friedrichs des Großen und
Schinkels übergehen können. Das Gemeinsame ihrer Kunst-
übung, das außerhalb des schulmäßig Stilistischen liegt, zu
fassen und mit der besten Tradition der Zwischenzeiten zu
einem einheitlichen Ausdruck in der Architektur zu verbinden,
ist die Aufgabe, die der Lösung noch harrt und an der so-
wohl Messel wie Hoffmann sich mühten. Daß Jessen etwas
schuf, das uns durchaus historisch-berlinisch anmutet und
doch modernem Empfinden gerecht wird, beweist, daß eine
faßbare Note vorhanden ist, die weiterzuführen fruchtbar er-
scheint. Da sie in demselben Klang auch von den andern
besten einheimischen Künstlern erfühlt wurde, ist sie wohl die
einzige, der nachzugehen sich lohnt, wenn man nicht über-
haupt auf die Verbindung mit der Tradition in der „unorga-
nischen“ Reichshauptstadt verzichten und aufs Geratewohl
einen ganz neuen Stil erstreben will. Mag Manchem bei dem
Jessenschen Hause die Anknüpfung an die historischen For-
men vielleicht zu eng erscheinen, die Art der Weiterbildung
und Neubelebung des Überlieferten ist jedoch so frei vom
sklavischen Nachbeten, daß man nur vom Übernehmen der
 
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