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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 12.1913

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Nr. 10
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Schulze, Otto: Die Räume des Architekten Dipl.-Ing. Eduard Lyonel Wehner, Düsseldorf, in den Raumkunstabteilung der "Grossen Kunstausstellung zu Düsseldorf" 1913
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https://doi.org/10.11588/diglit.48360#0715
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513

DIE RAUME DES ARCHITEKTEN DIPL.-ING. EDUARD LYONEL WEHNER,
DÜSSELDORF, IN DER RAUMKUNSTABTEILUNG DER „GROSSEN
KUNSTAUSSTELLUNG ZU DÜSSELDORF“ 1913
Von Professor OTTO SCHULZE, Elberfeld

Es scheint mir nicht erforderlich, dem reichen Abbildungs-
material, dem diese wenigen Zeilen dienen sollen, eine
weitausholende Zeitbetrachtung über Stil- und Wohnungskultur
vorauszuschicken. Es ist ein müßiges Beginnen, jedem
Künstler in der großen Heerschau, und wir haben heute mit
einer sehr großen und respektablen zu rechnen, einen
Sonderplatz einräumen zu wollen. Von den wirklich Produk-
tiven steht keiner außerhalb der Zeit, und nur die theoreti-
sierenden Kritiker gefallen sich darin, bei irgend einer Auf-
den-Schildhebung die Abstände zu den anderen recht weit
zu bemessen. Auch für den Architekten Wehner beanspruche
ich nicht, ihm ein besonderer Fürsprecher sein zu dürfen.
Wir Kritiker sollten keine Kunstpolitik treiben, sondern uns
darauf beschränken, den uns ausgelieferten Künstlern
Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Fände diese Auffassung
allgemeine Verwertung, wahrlich, wir hätten in Laienkreisen
einen geklärteren Geschmack.
Mein Urteil über die Wehnerschen Räume habe ich schon
vor Monaten bei Anlaß eines Vortrages über „Wohnungs-
und Raumkunst“, den ich auf Veranlassung der Ausstellungs-
leitung im Städtischen Ausstellungspalast hielt, öffentlich
abgegeben. Es lautete mehr als anerkennend, es war mehr
als Lob schlechthin, es war eine Würdigung und Heraus-
schälung der Vorzüge, die ich angesichts der Nähe der
Räume auch meinen Hörern zu suggerieren suchte. Wir
bedürfen bei solcher Kritik wirklich keiner Parallelstellung
zu den Leistungen anderer Künstler; wozu sie nennen, um
den Ruhm des anderen ungerechtfertigterweise zu schmälern.
Handelt es sich um ausgesprochene Persönlichkeiten, so
müssen sie unterschiedlich schaffen, handelt es sich um Epi-
gonen und Mitläufer, so ist es wahrlich keine Empfehlung,
ihre Vorbilder und Gewährsmänner zu nennen. Also deshalb :
auch Wehner geht als Künstler eigene Wege, auch er hat
seinen Stil, seinen Formenkreis, seine tektonische Linie, seine
Formen- und Farbenrhythmen. Allerdings ist er nicht so Ab-
sonderungsschaffer, daß er herausfiele. Der heutigen Rich-
tung nach kann man nur noch mit Bluffen herausragen. Das
Niveau der zeitigen Wohnungskultur ist im Durchschnitt viel
höher als das von Darmstadt um 1900. Darum ist es schon
sehr schwer heute, darin überhaupt eine besondere Note zu
erhalten. Aber jene Vorbehaltslobe, eingehüllt von zucker-
süßen ästhetisierenden Kommentaren für den „kommenden“
Mann helfen in nichts über die doch auch nüchternen Seiten
der Praxis in der Wohn- und Raumkunst hinaus. Vergessen
wir nicht, daß auch die Lebensart neben der Fachbildung
und dem eigentlichen Funken Talent gerade bei den sehr
realen Schöpfungen der Raumkunst die Zügel lockert oder
strammt. Und wenn bei den Wehnerschen Räumen gerade
die Vorzüge einer gewissen Disziplin hervorgehoben zu
werden verdienen, ist es auch gerechtfertigt, daß neben der
eigenen straffen Art des Künstlers auch die Erziehung durch
lebenssichere und anspruchsvolle Bestellerkreise für die vor-
nehme Art seiner Raumkunst von Einfluß gewesen ist. Wir

stehen einem Bildhauer und Maler in der Beurteilung ihrer
meistens ganz unabhängig geschaffenen Werke viel freier
gegenüber, als dem doch sehr gebundenen Schaffen des
Architekten. Gerade hier dürfen wir nicht letzthin dem
Gefühl folgen, sondern uns auch von kühlen, abwägenden
Schlüssen abhängig machen. Der Raum ist gleichsam eine
erweiterte Einkleidung unseres Ichs, und ihre Einwirkung
auf unser Gefühlsleben ändert sich wie bei der Kleidung
nach Bestimmung und Inanspruchnahme.
Außer allem Zweifel hat auch Architekt Wehner der Zeit-
stimmung Zugeständnisse machen müssen; er steht vermit-
telnd zwischen der Moderne und dem Eklektizismus als
hochschulgebildeter Architekt. Er liebt die strengere Form,
nicht die arme, nüchterne, denn er belebt das struktive und
tektonische Gefüge mit gefälliger Ornamentik, die begleitet
und mitklingt; er ist eben auch in der Raumkunst durch
und durch Architekt. Und das erachte ich schon als einen
Vorzug, denn die bloße Stimmung macht’s bekanntlich nicht.
Es sind so viele Experimente schon von Nichtzünftigen
gemacht worden, daß man kaum noch zu fragen braucht,
woher der auffallende Rückschlag von der Moderne ins stil-
historische Fahrwasser gekommen ist. Doch ich habe schon
angedeutet, daß ich solchen Erörterungen nicht nachhängen
will. Die hier gebotenen Abbildungen müssen für sich zu-
gunsten des Urhebers dieser Räume sprechen, der auch als
Baukünstler ganzer Häuser, für die er auch das Innere schuf,
sich bereits bestens bewährte. Trotz des scheinbaren Reich-
tums, trotz des Aufwandes kostbarer Materialien und voll-
endet technischer Arbeit, handelt es sich in diesen Räumen
um keine eigentliche Ausstellungskunst; nur die Oertlichkeit
und die Gelegenheit zur Schaustellung stempeln sie zu
solchen. Hinter allen diesen Räumen können Besteller stehn,
so viel Charakter und Lebenserfüllung steckt darin. Es fehlt
so an jeder Neigung zur Effekthascherei, zum Ungewöhn-
lichen ; um so mehr ist künstlerische Reife und Abklärung
überzeugend nachweisbar, die mit hohen ethischen Werten
übereinstimmen. Alle Räume zeigen den Geist wirklicher
Häuslichkeit, die vornehme Note des hochstehenden Familien-
lebens.
Und, seien wir ganz offen. Wirklich Neues, soweit es
Anspruch auf Logik und Verantwortlichkeit erheben soll, ist
kaum noch möglich. Wir können nur darnach streben, manches
der Unvernunft früherer Raumkunst wieder gut zu machen.
Gerade in der jetzigen Ungunst der Verhältnisse müssen wir
nüchtern bleiben und klare Augen behalten demgegenüber,
daß gerade das, was vor fünfzig Jahren gemacht sein soll,
die vollendetste Vorbildlichkeit auszustrahlen vermöchte.
Wehner beweist uns, daß man diese Zeit politischer Ertüch-
tigung getrost in kultureller und schönheitlicher Hinsicht
überspringen darf. Es taugt nicht immer, den Helden des
Tages zu folgen. Wehner schreitet langsam von Erfolg zu
Erfolg, aber sicher. Darum mag es auch mit der hier zum
Ausdruck gebrachten Anerkennung für diesmal genug sein.
 
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