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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 19.1920

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Lehmann, Otto: Schleswig-Holsteinische Bauten von Hans Ross, Neumünster
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https://doi.org/10.11588/diglit.50180#0014
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SCHLESWIG-HOLSTEINISCHE BAUTEN VON HANS ROSS,
NEUMÜNSTER
Von Museumsdirektor Professor Dr. Lehmann, Altona

Hans Roß ist ein schleswig-holsteinischer Archi-
tekt, der in seiner Kunst die Eigenart seiner
Heimat folgerichtig und streng entwickelt hat. Es ist
nicht die Art der Bewohner dieses Landes, von ihrer
Arbeit viel Aufhebens zu machen. Sie arbeiten still
und unverdrossen, oft von ihren eigenen Landsleuten
unverstanden, die mit zäher und starker Eigenart am
Alten hängen und dem vorwärtsdrängenden Künstler
mit Mißtrauen begegnen. Aber auch das hat sein
Gutes, und man macht in den kleineren und mitt-
leren Städten des Landes oft Entdeckungen, die man
nicht für möglich gehalten hätte. Vortreffliche Tisch-
ler, die in handwerklicher Tüchtigkeit das Holz als
Material achten und ihm zu seinem Recht verhelfen,
Goldschmiede, die alte Überlieferungen pflegen und
selbst auf dem platten Lande, besonders Schleswig,
noch Bauhandwerker, die schlicht und recht im
eigentlichen Sinne bauen. Wie sollte es auch anders
sein in einem Lande, in dem das Bauernhaus in den
einzelnen Landschaften noch ganz bodenständig und
der unverkennbare Ausdruck der Stammesart und
der Wirtschaftsweise der Bewohner ist. Wer etwa
mit zugebundenen Augen durch das Land geführt
würde, um an irgend einer Stelle vor einem Bauern-
hause die Augen zu öffnen, kann mit unfehlbarer
Sicherheit sagen, in welcher Landschaft er sich be-
findet; so ausgeprägt ist das Haus Dithmarschens
vor dem der Wilstermarsch, das nordfriesische Haus
vor dem Hause in Angeln oder das Bordesholmer
Haus vor jenem im östlichen Holstein.
Hiervon machen die Städte, die kleineren vor-
nehmlich, keine Ausnahme. Auch sie haben ihre
Eigenart, wenn sie sich auch nicht so unmittelbar
bemerkbar macht. Die Unterschiede sind aber umso
größer, nicht nur je weiter sie voneinander entfernt
sind, sondern je stärker die Bewohner ihre Stammes-
Eigentümlichkeiten und die Eigenart des geogra-
phisch bedingten Wirtschaftslebens gewahrt haben.
In Eutin, dem freundlichen Landstädtchen in lieb-
licher Umgebung, mit seinen von Rosen berankten,
sauberen Häusern, möchte man noch heute den Ein-
fluß der ersten Kolonisten, der Holländer, erkennen.
Und wie anders sieht dagegen Wilster aus, das mitten
in der nahrhaften Wilstermarsch, ebenfalls hollän-
discher Einwanderung seine Bedeutung verdankt.
Beidenfleth aber hat eine „Holländerreihe“, die so
aussieht, als ob sie eben erst von irgend einem Orte
an der Zuidersee hieher gebracht wäre. Man sieht

es den Häusern in Segeberg an, daß die Bewohner
noch vor nicht ganz langer Zeit auch Ackerbürger
gewesen sind, aber die Häuser haben doch einen
anderen Charakter als die alten Bürgerhäuser in
Marne oder Wesselburen oder gar jener Städte, die
den bedeutenden Umschlagsplatz für die nähere und
weitere reiche Umgebung bilden, wie Itzehoe oder
Elmshorn. Tönning mit seiner lebhaften Kleinschiff-
fahrt ist auch im Charakter seiner Häuser durch die
Umwelt der Eiderstedter Bauern so ganz anders als
Tondern, wo die Schiffahrt schon seit Jahrhunder-
ten aufgehört hat und friesischer, niedersächsischer
und jütisch-dänischer Einflußim Bürgerhause ebenso
unverkennbar zu spüren ist, wie man auf der Straße
die drei Sprachen durcheinander zu hören pflegt.
Es ist sicher nicht leicht für einen Architekten,
in diessen Städten Fuß zu fassen, wenn er in der be-
rechtigten Absicht, seine Eigenart zu wahren, doch
in seiner Kunst vorwärtszuschreiten sich anschickt.
An seinen Werken muß es sich zeigen, ob seine Ar-
beit nur handwerksmäßige Schablone ist, nur ein auf
der Akademie Erlerntes oder von anderen erborgtes
Wissen, oder ob er ein wirklicher Meister ist, der
etwas kann. Nur ein Künstler kann es sein, der, wie
es Roß gelungen, vielleicht unbewußt aber doch sicher
die Eigenart der Stadt, in der er baut, mit seiner
eigenen Art glücklich zu verbinden weiß. Er bringt
in seinen Werken mit feinem Gefühl es zum Aus-
druck, daß nicht in jeder Stadt das Gleiche geboten
ist, selbst wenn der Zweck der Gebäude der gleiche
sein mag. Man braucht nur die Abbildungen der
Bankhäuser für Flensburg, Itzehoe, Rendsburg und
Segeberg miteinander zu vergleichen,um zu ersehen,
daß der Künstler auch in der Ausbildung des Ge-
bäudes in den Charakter der ganzen Stadt sich ver-
ständnisvoll eingefühlt hat. Denn Flensburg ist die
mächtig aufstrebende Handelsstadt an der blanken
Föhrde,wo geistig und wirtschaftlich ein frischerWind
weht, wo aber jeder, wenn er auch noch so sehr
Einzelwesen ist, sich dem unwiderstehlichen Zwange
des ganzen wirtschaftlichen Lebens einfügen muß.
Ganz anders in Itzehoe, wo jedes Haus noch Einzel-
wesen sein darf. Das Bankhaus in Rendsburg zeigt
wieder glücklich denCharakter derStadt,eine vorneh-
me, ruhige Zurückhaltung auf sicherem Wohlstände.
So sind die Bauten fein in die Art der Stadt eingefügt.
Es ist klar, daß ein niederdeutscher Baukünstler
nur den Ziegelbau verwenden wird. Dieser liegt ihm

MOD. BAUFORMEN 1920. I, 1.

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