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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 19.1920

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Pazaurek, Gustav Edmund: Neue Möbelentwürfe: zum Wettbewerb der Möbelfabrik Erwin Behr-Wendlingen im Stuttgarter Landesgewerbemuseum 1920
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NEUE MOBELENTWU RFE
Zum Wettbewerb der Möbelfabrik Erwin Behr-Wendlingen
im Stuttgarter Landesgewerbemuseum 1920
Von Professor Dr. Gustav Pazaurek

Wenn der unselige Weltkrieg mit seiner ganzen
Furchtbarkeit nicht dazwischen getreten wäre,
ständen wir vielleicht heute bereits als die aner-
kannten Führer des neuzeitlichen Kunstgewerbes
da, teils bewundert, teils gehaßt; und doch hätten
die anderen Nationen nirgends eine so folgerichtige
Stilentwicklung selbständigen Formwillens aufzu-
weisen.
Es ist anders gekommen. Die vielversprechenden
Ansätze, die unsere großen deutschen Ausstellungen
der letzten zwei Jahrzehnte in überreicher Folge
vorführten, das Schwelgen in herrlichstem Material,
die geradezu unerschöpfliche Phantasie-Entfaltung
auf allen Gebieten, die durch den wachsenden Wohl-
stand in immer weiteren Kreisen so sehr begün-
stigt worden war und allen hoffnungsvollen Künstler-
Individualitäten ein so reiches Betätigungsfeld ein-
räumte, ist jäh zum Stillstand gekommen. Wir sind
plötzlich arm geworden. Selbst wenn noch Mittel
vorhanden wären, die die Allgemeinheit nicht weg-
steuert, wagt man sich nicht mehr hervor, denn —
da wir uns etwas mit Tischlerei beschäftigen wollen —
„das Schicksal setzt den Hobel an und hobelt alles
gleich“. Aber nicht im gemütlichen Sinne des alten
Wiener Raimund ist dies Wort zu verstehen, ob-
wohl heutzutage vielleicht mehr Verschwender her-
umlaufen als vor rund drei Menschenaltern. Die
immer weiterschreitenden Gleichmacherbestre-
bungen werden den geschmackvollen „einfachen
Hausrat“, den die soziale Fürsorge schon längst
den schlichtesten Arbeiterkreisen fast gegen ihren
Willen zuzuführen nicht müde wurde, kaum noch
dem gutbürgerlichen Mittelstände erreichbar machen.
Hat es da einen Sinn, wenn ein großes, reich-
dotiertes Preisausschreiben für bürgerliche Möbel
veranstaltet wird? Bedarf die hochentwickelte würt-
tembergische Möbelindustrie erst eines Anreizes für
den Absatz ihrer Erzeugnisse?
Gewiß hätte es die bestbekannte Möbelfabrik
Erwin Behr in Wendlingen nicht nötig gehabt,
größere Summen auszuwerfen um einen Fabri-
kationszweig neu zu beleben, dem es derzeit auch
bei den hochgesteigerten Produktionskosten- und
Preisen an Absatz nicht im geringsten mangelt; und
doch war es ein gutes Zeichen weitausschauender
Politik, auch an die Zukunft zu denken, wenn unsere
Zimmereinrichtungen vielleicht nicht mehr so rasch
Abnehmer finden, „wie die warmen Semmeln“. —
Handelt es sich doch nicht nur darum, auch Be-
dürfnisse jener Kreise befriedigen zu können, die
aus der für die Allgemeinheit so trostlosen Lage

Vorteil und Gewinn zu ziehen wußten, sondern in
erster Reihe darum, die Exportmöglichkeiten zu
steigern. Der Antiquitätenhandel hat seine Grenzen;
gute Ware, auch in alten Möbeln, die einem Kriegs-
gewinnler vielleicht am verlockendsten erscheinen
konnte, ist kaum mehr aufzutreiben; und mit Fäl-
schungen oder Nachbildungen von Möbeln in alten
Stilarten wird sich nur ein krasser Emporkömmling
zufriedenstellen lassen, so sehr die erschreckende
Zunahme dieser Menschenklasse die berüchtigte
Fälscherindustrie in den letzten Jahrzehnten auch
bereichert haben mag. Ein ehrlicher, dauernder Er-
folg kann nur einer wirklich gediegenen, technisch
wie ästhetisch auf der Höhe stehenden Arbeits-
leistung beschieden sein.
Gute, neue Möbelentwürfe sind nicht so einfach
aus dem Boden zu stampfen, wie man etwa meinen
könnte. Wenn wir die Leistungen der letzten Jahr-
zehnte überblicken, finden wir in den meisten Durch-
schnittsfällen das alte Wort bestätigt, daß das Gute
nicht neu und das Neue nicht gut ist. Auf der einen
Seite sehen wir unsere Klassizisten der Innen-
architektur, wie Troost und Birkenholz, die noch
unverhüllter als Schulze-Naumburg hundertjährige
Vorbilder mit nicht gerade übersprudelnder Phan-
tasie abwandeln, auf der anderen Seite die ideenreiche
und elegante Wiener Gruppe um Josef Hoffmann,
Dagobert Peche oder Otto Prutscher, denen zwar
immer etwas Neues einfällt, was jedoch nicht immer
als ein konstruktiv praktischer Fortschritt, sondern
vielfach nur als eine prickelnde Künstlerlaune auf-
gefaßt werden darf. Und zwischen diesen beiden
Polen vibrieren und oszillieren zahllose Architekten,
Kunstgewerbler und Möbelzeichner, die teils histo-
rische Reminiszenzen aus der Barockzeit, teils auch
aus den späteren Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts
mehr oder weniger geschickt einschmuggeln, oder
aberbeidem Wunsche, alles alte ängstlich zu meiden,
zu Bizarrerien verleitet werden, die nur auf Kosten
des Gebrauchswertes möglich sind. Wir dürfen doch
nicht vergessen, daß es sich bei den Möbeln weit-
aus in den meisten Fällen nicht um neue Aufgaben
handelt, die erst das 20. Jahrhundert stellt, daß viel-
mehrTische, Stühle, Betten, ja selbst Kästen, Uhren,
SpiegelbereitseinelangeTradition hinter sich haben.
Ebenso muß uns gegenwärtig sein, daß wir es im
wesentlichen nicht mit neuen Stoffen zu tun haben,
sondern daß wir vornehmlich mit Holz und Tex-
tilien, wie bereits im Altertum, zu rechnen haben
und andere Stoffe nur als Akzidenzien hinzutreten
können.

MOD. BAUFORMEN 1920. V, 1.
 
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