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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 19.1920

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Baer, Casimir Hermann: Aus amerikanischen Landhäusern
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https://doi.org/10.11588/diglit.50180#0252
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199


Walter Burley Griffin, Chicago, 111. Ein Landhaus in Chicago
AUS AMERIKANISCHEN LANDHÄUSERN

Daß wir heute in Europa nicht mehr so bauen können,
wie es dem allgemeinen Wohnbedürfnis entspricht, hat
seinen Grund nicht allein in den billigen Mieten, den teuren
Baumaterialien und hohen Arbeitslöhnen, sondern auch in
den Wünschen und Anschauungen der Bauherren und Be-
wohner. Der langjährige Krieg mit seinen noch immer nicht
beseitigten Nachwehen hat Deutschland und die Welt ver-
armt. Wie in Nahrung und Kleidung sind daher auch in den
Wohngewohnheiten Einschränkungen nötig für „Minderbemit-
telte" wie tür Reiche.
Noch immer glaubt man, eine Wohnung sei nur begehrens-
wert, wenn sie viele Zimmer und Stuben umfasst, mit Tapeten
oder kostbaren Stoffen verkleidet und drapiert ist und zahl-
reiche Einzelmöbel sowie all die vielen kleinen Ausstattungs-
stücken enthält, mit denen wir je nach Geschmack und Neigung
unsere Räume anzufüllen bemüht waren. Das muß und wird
aufhören. Die Beschränkung der Einzelräume ist ja bereits
polizeilich festgelegt; so werden wir in Zukunft wenigere aber
dafür geräumigere Zimmer bewohnen, in denen auf jede un-
nötige Ausstattung, auf jedes entbehrliche, in Form oder
Material allzu kostspielige Möbelstück verzichtet werden muß.
Alle die dadurch frei werdenden Mittel und Kräfte sind wich-
tigeren, produktiveren Arbeiten zuzuwenden.
Die Aufgabe des modernen Architekten und Raumkünstlers
ist es, trotz dieser Einschränkungen der Wohnung Behaglich-
keit und Schönheit zu erhalten. Wie das ermöglicht werden
kann, wollen die nachfolgenden Abbildungen zeigen, Land-
hausbauten des Architekten Walter Burley Griffin in Chi-
cago, die zwar kurz vor dem Kriege aber doch schon nach
den oben angedeuteten Grundsätzen entstanden sind.
Die Häuser stehen zumeist auf rechteckiger, wenig ge-
gliederter Grundfläche; Ausbauten, Erker, Balkone, Dachver-
schneidungen und Dachaufbauten sind vermieden, die Rauch-
abzüge in ein Kamin zusammengefaßt, die Außenwände
durch die Fensterverteilung gegliedert und durch die Be-
tonung der Materialbesonderheiten belebt.
Im Innern finden sich entsprechend den 4 Ecken des Hauses
zumeist nur 2 bis 4 Räume auf dem Stockwerk, bisweilen

seitlich einer durchgehenden mittleren Halle. Dabei sind die
Innenwände in Pfeiler aufgelöst, deren Zwischenräume reiz-
volle Durchblicke gestatten oder mit eingebauten Schränken
ganz oder teilweise ausgefüllt sind. Wände und Decken der
Räume zeigen unverkleidete Flächen, unterbrochen von den
zur Konstruktion nötigen sichtbaren Holzteilen, belebt durch
Struktur und Farbe des Putzes oder den weiß gefugten Ver-
band der roten oder gelben Kaminsteine. Tapeten, Gardinen,
Portieren fehlen fast überall; nur Teppiche bedecken die ein-
fachen Riemenböden. Neben der Zentralheizung, deren Heiz-
körper zumeist in den Fensterbrüstungen stehen finden sich,
englischer Sitte entsprechend, in allen Zimmern Kamine, die
so angeordnet sind, daß alle den einen Rauchabzug des
Hauses benützen können.
Da die Räume tief und weit, ist eine Belichtung durch
zahlreiche Fenster nötig, deren große durch Vorhänge nicht
wieder verringerte Hächen durch Sprossen gegliedert sind.
Die künstliche Beleuchtung (nur elektrisches Licht) beschränkt
sich auf überlegt angeordnete Einzellampen, indirekte Be-
leuchtungsanlagen zwischen den Zangen der Unterzüge sowie
wenigen Stand- und Tischlampen.
An Möbeln ist neben eingebauten Schränken und Truhen nur
dasNötigste vorhanden: Metallbettstellen und eingebauteWasch-
tische,Tische, Stühle, Büfette und Bücherschränke, meist Typen-
möbel in zwar schweren, aber gleichwohl nicht ungefälligen
Formen. Bilder und Vasen mit frischenBlumen dienen zusam-
men mit den Beleuchtungskörpern als Raumschmuck.
Ueberall also Beschränkung, Einfachheit und Verzicht und
doch nirgends eine Spur von Armut oder Mangel. Dafür
vornehme Großzügigkeit, wohltuende Ruhe und klare Heiter-
keit, die zur Sammlung und Erholung von dem heute so
komplizierten Kampfe des Erwerbslebens besser geeignet sein
dürften, als die kleinen und überladenen Zimmer, die wir
bisher als Wohnung bevorzugt haben. Aber Architekt und
Raumkünstler allein können dies erstrebenswerte Ziel nicht
erreichen. Alles muß mithelfen, die neue Wohnungsform,
deren Grundlagen gefunden sind, weiter auszubilden und
praktisch zu ermöglichen. C. H. B.
 
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