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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 26.1927

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Nr. VI
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Schwarz, Rudolf: Dominikus Böhm und sein Werk
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https://doi.org/10.11588/diglit.48543#0288
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226

DOMINIKUS BÖHM UND SEIN WERK
VON DR. RUDOLF SCHWARZ
DIREKTOR DER AACHENER KUNSTGEWERBESCHULE

I. Die Aufgabe
Dominikus Böhm, der Leiter der „Abteilung- für relig-iöse
Kunst“ an den KölnerWerkschulen, steht als ein Führer in einer
der hoffnung-svollsten und entscheidendsten Bewegungen der
Zeit. Man kann sein Werk nicht von ihr trennen und kann seine
Absichten nicht gut erklären, ohne zuvor mit einigen Sätzen
auf sie hingewiesen zu haben.
Es handelt sich um die große Bewegung „Sakralbau“, die
spontan und kraftvoll aus den tiefsten Quellgründen des Zeit-
alters entspringt und die nicht verwechselt oder identifiziert
werden darf mit manchen künstlich konstruierten Programmen,
etwa mit dem Versuch einiger Kreise, „christliche Kunst“ zu
machen. Sie zielt darauf, das Werkschaffen zu seinen höchsten
Aufgaben zurückzurufen. Dieses
Werk nämlich, in seiner ganzen
urwüchsigen Kraft und Echtheit,
leidet an einer tiefen Inhaltslosig-
keit. Das Werk unserer Zeit gleicht
einem jungen Menschen, der nicht
weiß, wo er seine Glieder lassen
soll und was er etwa damit be-
ginnen könnte. So gerät es in Ab-
hängigkeit von den fragwürdigen
Mächten der Wirtschaft, deren Ziel
im günstigstenFall ein geordneter
Haushalt ist (Oikonomia) oder
es erstrebt allenfalls Größe. Die
gewaltigstenUnternehmungen der
Zeit, unsere Großstädte, dienen
diesen beiden Zielen. Oder aber:
Das Werk entartet und dient den
komplizierten Ansprüchen bürger-
licher Oberschichten.
In starkem Protest gegen diese
Zielsetzungen des Werkschaffens
(ein Protest, der sich nicht von
Theorien nährt, sondern echte
geistige Revolution bedeutet) zielt
die BewegungSakralbau auf einen
neuen höchsten Sinn des Bauens
und diesen Sinn sieht sie darin,
in der Epoche und aus der Epoche
das Bild Gottes zu verkünden. Sie
will — ähnlich der romanischen
oder griechischen, der gotischen
oder indischen, der ägyptischen
Architektur — den letzten, gottbezogenen Sinn des Zeitalters
verwirklichen und darstellen. Die es geheimnisvolleInbild
kann in jedem noch so geringen Werk aufleuchten, und das
macht die Bewegung universal. Der große Vorläufer Pölzig
faßte seine Arbeit in Industrie- und Theaterbau so auf. („Die
Architektur fängt da an, wo man für Gott baut.)“
Ihre Krone jedoch fände die Bewegung im Bau der wirklichen
Kathedrale als eines Werks, das nur den einen Sinn hat, für
Gott da zu sein und das göttliche Inbild in unberührter Reinheit
darzustellen. Hier nun treffen Teile der Bewegung auf die
lebende Kirche und hier steht neuer Kirchenbau. Das mag hier
Andeutung bleiben. In dieser Begegnung fand die Bewegung
das, was sie suchte: Ein Mysterium nicht als literarische Phrase,
sondern als wirkende Wirklichkeit. Hier fand sie eine, oft theore-
tisch verhärtete, doch echte Terminologie und Lehre, sie fand
dort das Sakrament und alte tiefe Worte: den Begriff der heilig-
machenden Gnade, die Lehre vom guten Werk (opus Dei), vom
ewigen Leben, von der unbefleckten Empfängnis, die liturgischen
Grundereignisse der Konsekration und Kommunion.
Das mag als Hinweis genügen. Wir möchten nicht, daß diese
tiefen Worte in die Hand der Literaten geraten und lassen es
mit der Andeutung genug sein. Eine große Ordnung des „Hei-
ligen“ soll in neuem Kirchbau Gestalt werden. Damit erhält
dieser zwei Maßstäbe, muß doppeltem Maß gerecht werden, da

er an der Kreuzung zweier Welten steht. Die künstlerische
Forderung erwartet von ihm Glut und Größe, die gottesdienst-
liche Ebenbildlichkeit mit dem göttlichen Inbild der Zeit. Das ist
die höchste, aber auch die schwerste Aufgabe, die sich denken
läßt. Die Unendlichkeit der Forderung relativiert jede noch so
vollendete Leistung.
II. Der Meister
Dominikus Böhm hat lange gelernt und überraschte dann
schließlich mit einer ganz eigenen und sehr starken Form. Seine
Entwicklung ist in allen Phasen revolutionär nicht im Sinne der
Ablehnung des Historischen, sondern seiner Durchglühung
und Verlebendigung. Ähnlich wie ja auch Pölzig wird ihm un-
sere architektonische Vergangenheit zum Erlebnis. So wer-
den seine frühen Arbeiten nicht
Barock, Klassizismus, Romanik,
sondern lebendige Auseinander-
setzung mit den großen Form-
gedanken der Geschichte und be-
deuten sie zugleich die einzelnen
Stufen einer fast biologischen Ein-
verleibung des Geschichtsstoffs.
Eine derart organische Entwick-
lung mag nicht der einzig denk-
bare Weg sein, aber es ist einer,
der vor Voreiligkeiten und Fehl-
griffen besser behütet, als etwa
die Manifeste unserer Techni-
zisten, und einer, der zur Aufgabe
des Sakralbaus selbst besonders
geeignet macht.
Parallel hiermit geht eine immer
stärkere Beherrschung des Bau-
materials, die schließlich zur voll-
endeten Sicherheit wird Gerade
das lebendige Verhältnis zum
Werkstoff zwingt bei den letzten
Werken Böhms zur Bewunderung;
es verhindert, daß Formen einmal
leer „entworfen“ scheinen; es gibt
ihnen ihre Kraft und Stärke. (Man
beobachte Einzelheiten, etwa den
Fußboden der Neu-Ulmer Tauf-
kapelle, der aus Biberschwänzen in
Zementmörtel besteht und nach-
her scharriert wurde; oder den
Mauerverband der Vorhalle, bei
dem altes Material aus Festungsbauten mit Ziegeln durchsetzt
wurde, so daß sich eine fast lebend anmutende Haut ergab;
oder die rein aus den Verschalungsformen entwickelten Ge-
wölbe, wo überhaupt erstmalig die Möglichkeiten des rippen-
losen Eisenbetons ausgeschöpft werden.)
Am Ende dieser langen Lehrzeit steht als erster großer Bau
die Westhalle von Neu-Ulm. Hier ist die Entscheidung erreicht.
Zwar könnte man die Gewalt des Außenbaues „romanisch“
nennen, die Scharfkantigkeit und Labilität des Innenbaues
„gotisch“. Beide aber haben sich bereits zur großen Form
des Meisters verdichtet, und diese Form erhebt sich von da an
zu immer tieferer Glut und immer reinerer Klarheit. Diese
Form macht dann bald Böhm zum berufenen Meister sakraler
Architektur. In einer Zeit, wo man sich nicht einigen kann, ob
Architektur gefrorene Schlagsahne oder dekorativ verwendeter
Maschinenteil ist, steht die große Architekturform Böhms fast
einsam da als Beispiel harter Strenge, keuscher Verschlossen-
heit und zugleich glühender Inbrunst und zuchtvoller Kraft. In
ihrer unvergleichbaren Verbindung von Glut und Zucht scheint
uns diese reine und edle Form zu tiefst religiös zu sein und zur
gottesdienstlichen Aufgabe berufen wie kaum eine andere. Die
Gegenüberstellung des feingliedrigen Neu-Ulmer Baues und
der wuchtigen, in mächtigen Kaskaden aufspringenden Bischofs-
heimer Kirche zeigt die Beweglichkeit und undoktrinäre Viel-


Professor Dominikus Böhm, Köln
Auferstehungskapelle — Gewölbeschluß (1926)
 
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