Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 27.1928

DOI Artikel:
Berger, Joseph: Über moderne Bauformen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48540#0280
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
224


Architekten Josef Berger und Martin Ziegler, Wien
Geschäftshausneubau in Prag, unter Erhaltung eines unter Denkmalschutz stehenden Barockhauses

ÜBER MODERNE BAUFORMEN

Wenn ein Handwerker, Konstrukteur oder Erfinder einen
Fachartikel schreibt, so untersucht er die seinem Fach-
gebiet zugehörigen Produkte, Ergebnisse und Arbeiten von
ihrer technischen, wirtschaftlichen oder sozialen Seite. Auf
realem Boden stehend, gibt er seine Ansicht der Öffent-
lichkeit zur Kritik. Kein Erfinder schreibt über die Intuition,
ihre Quellen oder ihren Weg, die zur Erfindung geführt
haben. Kein Handwerker über die Gefühle, die ihn wäh-
rend seiner Arbeit bedrängten.
Nur Künstler haben die Schamlosigkeit, diese privaten
Dinge vor der Öffentlichkeit zu analysieren, mit Leiden-
schaft über Gefühl, Abstraktion, innere Gesichte und Ge-
staltung zu diskutieren und damit Laien und Nachstrebende
in gefährliche Verwirrung zu bringen. Hoffen wir, daß die
Sachlichkeit und die Besinnung auf Tradition auch hier zu
größerer Realität und damit zu notwendigen und nützlichen
Resultaten für die Allgemeinheit führen werden. Denn die
sichere Fundierung einer Form im allgemeinen künstle-
rischen Bewußtsein ist heute notwendiger als ein ganzes
metaphysisches Gebäude von Kunstbetrachtung.
Wir haben bald das erste Drittel des 20. Jahrhunderts
hinter uns. Eine Zeit, die uns in der Baukunst etwa fünf
Stile gebracht hat. Nun scheint ein besinnlicher Geist diesen

wirren Lauf der Entwicklung zu meistern und es ist viel-
leicht statthaft, die verschiedenen, noch am Leben befind-
lichen „Richtungen“ ein wenig zu sichten.
Die Erfindungen des Eisenbetons, des Spiegelglases, und
bedeutende Fortschritte auf technischem Gebiet, die Be-
seitigung des Ornaments auf ästhetischem, riefen unter den
Baukünstlern einen wahren Rausch hervor. Er fand seinen
ersten, großzügigen Ausdruck im holländischen Kubismus.
Dort wurden Konstruktion und Masse als ästhetische Werte
entdeckt und überzeugend geformt.
Heute, da wir merken, daß der Eisenbeton die Statistik
keineswegs auf den Kopf gestellt hat, daß auch er im wesent-
lichen den Gesetzen von Stütze und Träger folgt, erscheint
uns vieles in der modernen holländischen Baukunst, trotz
allem Schwung und Feuer, leer, sinnlos und nicht ent-
wicklungsfähig. Die örtliche und zeitliche Distanz von der
Geburt dieses Stiles läßt uns schon heute erkennen, daß
seine Gesetzmäßigkeit, scheinbar aus der Konstruktion kom-
mend, oft zu ästhetischer Willkür führt, zu einer spielerisch-
komplizierten Formenwelt, die unserer innerlich schon gut
fundierten Forderung nach Zweckmäßigkeit widerspricht.
Wir sehen deutlich einen Zwiespalt zwischen verstandes-
mäßigem Bekenntnis zum Konstruktivismus und künstle-
 
Annotationen