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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 9.1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [4]: humoristischer Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.19627#0152

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MODERNE KUNST. 6l

>as jlungerloos.

Humoristischer Roman von
Heinrich Vollrat Schumacher.

[Fortsetzung.] [Nachdruck verboten.]

Jah, wozu sie ihr zurückbringen und
ihr wahrscheinlich wieder eine
Thränenfluth entlocken? Mögen sie da
bleiben, wo sie sie hingestellt hat! Denn,
wenn sie denkt, dass ich sie anrühren
werde — nicht eine einzige, Frau von
Rocholl! In drei Teufels Namen, nicht
eine einzige!"

Die Schritte kehrten zum Tische zu-
rück, ein Stuhl krachte und der Löffel
klirrte gegen den Teller. Frau Amalie
athmete auf.

„Er ist an der Graupensuppe!"
flüsterte sie. „Er isst sie gern süss und
mit viel Pflaumen. Ich habe aber ab-
sichtlich nur ganz wenig daran gethan
und etwas mehr Salz als gewöhnlich
genommen. Er wird durstig werden
und —«

„Heiliges Milliarden!" unterbrach
Winand's Stimme sie von drinnen. „Ver-
salzen, als wenn sie 'ne verliebte Köchin
wäre! Aber wenn Du glaubst, Frau
Amalie, dass ich darum auf die Erdbeeren
hereinfalle . . . wahrhaftig, alles prima
Qualität! Und ein Geruch —! . . Eins . .
zwei . . drei . . vier ..."

Otti hielt mit Mühe einen leisen Auf-
schrei des Schmerzes zurück. Beim Hammelsprung

„Au, Mama! Du kneifst ja!" Originalzeichnung von E. Henseler.

Frau Amalie hörte jedoch nicht; im
Gegentheil, sie presste ihre Hand noch
fester um Otti's Arm, und aus ihren Augen strahlte eine fast diabolische Er deutete auf den Teller, und Otti sah, dass Mama sich verrechnet

Freude. hatte. Sie lagen noch vollzählig da im Zucker, ein Dutzend netto; er hatte

„Er zählt sie, Otti! Er zählt sie! Und wenn er sie erst zählt . . ." sie noch nicht weg gehabt.

„Fünf! . . Sechs! . . Sieben! . . Acht! . . Neun! . . Bei Gott, ein Ueber Herrn von Rocholl's hageres Gesicht ging ein hohnvolles

ganzes Dutzend netto! Verfluchte Verschwendung! Na ja, nun sind sie Lächeln, dann nahm er den gefährlichen Teller zwischen zwei äusserste
richtig in den Zucker hineingerathen! . . Müssen gewaschen werden, ehe Fingerspitzen, als wenn er von glühendem Eisen gewesen wäre, trug ihn
sie auf den Markt kommen! . . Werden natürlich ihr halbes Aroma ver- in die entfernteste, dunkelste Ecke des Zimmers und setzte ihn dort auf
lieren! . . Meiliges Milliarden, das Aroma! Der Duft! . . Oh! . ." ein altes, wackeliges Büchergestell zwischen einen verrosteten Sporn und

Eine Zeitlang blieb Alles still, dann richtete Frau von Rocholl sich auf. einen abgelegten Gummikragen, die daselbst im Verein mit einer Anleitung
„Noch einmal, Otti: Du willst zu ihm?" zur Verbeserung der Schafzucht, dem einzigen Buche, welches der Herr

„Ja, Mama!" von Rochollshof, Templin und Amalienruh besass, seit ungemessener Zeit

„Dann . ." — sie drückte sachte und vorsichtig die Thürklinke herab; ein weltvergessenes Traumleben führten.
— „jetzt! Er hat sie weg!" Sie schob Otti hinein und machte die Thür Dann kehrte Herr von Rocholl zu dem Tische zurück, an dem er

hinter ihr geräuschlos wieder zu. Und dann lehnte sie sich gegen die hochaufgerichtet stehen blieb, die eine Hand fest in die Seite gestemmt,
Wand des Corridors und horchte mit angehaltenem Athem und schwerem mit der andern sich schwer auf die Platte stützend, wie ein siegreicher
Herzen. Zwar hatte sie weder zwei gute Böcklcin geschlachtet, noch die Feldherr, der die bedingungslose Unterwerfung des gedemüthigten Feindes
Felle dieser Böcklein um Otti's Hals und Hände gebunden, dennoch aber erwartet, in Eis gepanzert vom Scheitel bis zur Sohle,
kam sie sich vor wie weiland Rebecca, da sie den armen, alten, blinden „So!" sagte er. „Und nun — was verschafft mir die Ehre, Frau Amts-

Isaak betrog und Jakob an Esau's Stelle zu ihm schickte, damit er ihn segne. richter Martius?"

„Papa!" sagte Otti nach einer Weile leise. Otti sah zu ihm auf. und ihr ganzer, mühsam behaupteter Muth ver-

Herr von Rocholl fuhr zusammen und warf etwas Kleines, Rundes liess sie.
heftig auf den Teller zurück, das er eben mit Daumen und Zeigefinger „Ich . . . ich . . . ich wollte . . . oh, Papa, sei doch wieder gut!"

hatte zum Munde führen wollen. Sie schluchzte laut auf und machte einen Schritt zu ihm hin. Er

„Aha! darum also die Erdbeeren!" nickte er Otti sarkastisch zu. streckte gebieterisch abwehrend die Hand gegen sie aus.
„Sie sind nur ein wenig zu früh gekommen, Frau Amtsrichter! Sie sind „Ich bin gut!" erwiederte er kalt. „Ich bin stets gut zu Dir gewesen,

noch sämmtlich da, ein volles Dutzend! Wollen Sie sich vielleicht Du scheinst das jedoch immer noch nicht einzusehen. Denn wenn Du
überzeugen?" mich bittest, wieder gut zu sein, so liegt darin ein Vorwurf, als wenn ich

IX. 5. III. M.
 
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